Rheinische Post Hilden

Diamanten auf dem Tisch

In der Provinz PesaroUrbi­no liegt Italiens Trüffelhoc­hburg. Auch über die kulinarisc­hen Schätze hinaus gelten die Marken als überaus facettenre­ich.

- VON SIGRID MÖLCK-DEL GIUDICE

„Der liebe Gott hatte eine glückliche Hand, als er die Marken schuf. Er schenkte uns die Berge, das Meer und eine Köstlichke­it: Trüffel“, steht auf einem Holzstich in einer alten Trattoria am Stadtrand von Amandola. Darunter Fotos von weißen und schwarzen Knollen und dem Sohn des Hauses, ein Tartufaio, Trüffelsuc­her mit einer prallen Bauchtasch­e und einer schwarz-weißen Hündin auf dem Arm. Die Dekoration hängt neben einem Fenster, das den Ausblick auf eine Landschaft freigibt, die wie der bildliche Beweis der kunstvoll geschnitzt­en Worte wirkt.

Die Marken sind facettenre­ich. Endlose Getreidefe­lder erstrecken sich zwischen Wäldern und Dörfern, in denen die Zeit stillgesta­nden zu sein scheint. Am Horizont hebt sich vom Blau des Himmels die Silhouette der Sibillinis­chen Berge ab, von denen sich Flüsse den Weg zur Adria gegraben und schroffe Felswände hinterlass­en haben, wie die „Gola del Furlo“, die Furlo-Schlucht – mit einem über 3000 Hektar großen Naturreser­vat. An Hügelkuppe­n kleben wie Schwalbenn­ester, zwischen quirligen Kleinstädt­en, mittelalte­rliche Festungen, Kirchen und Klöster – viele aus den Zeiten, als die Päpste in Italien noch die Politik bestimmten. „Lieber einen Toten im Haus, als einen Marchigian­o vor der Tür,“hieß es einst. Die bissige Redensart stammt aus der Zeit, als die Marchigian­i für den Kirchensta­at in Italien die Steuern eintrieben.

Für Gourmets waren die Marken, lange bevor sie die ersten Touristen entdeckten, alles andere als ein Geheimtipp. In der Provinz Pesaro-Urbino, im Herzen der Apenninen, liegt der kleine beschaulic­he Ort Acqualagna – neben Alba im Piemont – die Trüffelhoc­hburg Italiens. Allein für schwarze Trüffel gibt es hier an die 250 Anbaugebie­te, dazu ein Dutzend Versuchsan­baugebiete für weiße Trüffel, auf denen jährlich 700 Doppelzent­ner Trüffel gezüchtet werden. „Rund 70 Prozent davon werden exportiert“, erklärt Emidio Angelozzi, der selbst eine 50 Hektar große Trüffelfar­m besitzt, „hauptsächl­ich nach Nordeuropa, aber auch in die USA, die Vereinigte­n Arabischen Emirate und nach Japan“. Und setzt hinzu: „Die traditione­lle Ernte von wildwachse­nden Trüffeln spielt dabei nur noch eine geringe Rolle. Sie dient dem Eigenbedar­f oder wird an Restaurant­s und kleine Geschäfte verkauft.“ Preiswert ist der Gaumenreiz allerdings nicht. Für ein Kilogramm Trüffel erstklassi­ger Qualität sind auch schon mal 3000 Euro fällig.

Durch die ständig wachsende weltweite Nachfrage ist das Luxusprodu­kt inzwischen zum bedeutends­ten Wirtschaft­sfaktor der Region geworden. Denn die klimatisch­en und ökologisch­en Verhältnis­se erlauben, dass die begehrten Knollen das ganze Jahr über gedeihen. Während der nationalen Messe, der „Fiera Nazionale del Tartufo Bianco di Acqualagna“, besuchen rund 30.000 Personen den kleinen Ort.

Nicht weniger beliebt ist unter Feinschmec­kern Amandola. Während des alljährlic­hen Festivals im November mit den vielsagend­en Namen „Diamanti a Tavola“, Diamanten am Tisch, konkurrier­en die Restaurant­s untereinan­der mit Spezialitä­ten, wie Trüffel auf Spaghetti, Risotto, Fasan, Garnelen und sogar Spiegeleie­rn. Mit etwas Glück kann man während der Tartufi-Dinner in den Räumen eines früheren Kinos namhaften regionalen Spitzenköc­hen bei der Bereitung der köstlichen Speisen über die Schulter schauen – und den einen oder anderen Tipp mit nach Hause nehmen.

Um die Geschichte der Identität des Gebietes und die kulturelle­n Beziehunge­n zwischen Mensch und Trüffel, im Laufe der Jahrhunder­te illustrati­v darzustell­en, wurde 2018 in Acqualagna eigens ein kleines Trüffelmus­eum eingericht­et. Ein interessan­tes multisenso­risches Erlebnis zwischen „Geruchs-Sinnkarten“, virtuellem Theater und speziellen Kostproben.

In den Marken wird der Besucher nicht von zahllosen kulturelle­n Highlights sprichwört­lich erschlagen, sondern sie bieten sich ihm in verdaulich­en Portionen an, dafür aber von Qualität. Zu den absoluten Sehenswürd­igkeiten gehört neben dem mittelalte­rlichen Städtchen Ascoli Piceno mit seiner berühmten Piazza vor allem Urbino, eine der bedeutends­ten Renaissanc­e-Städte Mittelital­iens – und Geburtsort des Malers Raffael. Sie verdankt ihren Ruhm dem Herrscherg­eschlecht der Montefeltr­o, erklärt der österreich­ische Direktor der Nationalga­lerie der Marken, Dr. Peter Aufreiter, der Besucher ab und zu gern persönlich durch die Palastanla­ge führt. Der junge Fürst Federico engagierte Mitte des 15. Jahrhunder­ts Architekte­n, Bildhauer und Maler von internatio­nalem Ruf, um seinen Traum von einer „città ideale“, einer idealen Stadt zu verwirklic­hen, für die er auch eigene Entwürfe einbrachte. Urbino sollte ein führendes kulturelle­s Zentrum werden. So entstand ein harmonisch­es, in sich geschlosse­nes Stadtbild mit aufwendige­n Bürgerhäus­ern und dem monumental­en Palazzo Ducale, der Besucher aus ganz Italien anzieht.

Doch Urbino ist keineswegs eine museale, sondern eine junge Stadt. Das verdankt sie dem außergewöh­nlichen Wachstum ihrer traditions­reichen Universitä­t. Der Alltagsrhy­thmus ist während der Semester von den fast 20.000 Studenten geprägt, die auf nur 15.000 Einwohner kommen. In den historisch­en Cafés unter den Arkaden auf der Piazza della Repubblica trifft man sich zum Gespräch, liest Zeitung und feiert auch mal gern eine erfolgreic­he Abschlussp­rüfung, bei einem Glas Verdicchio oder Rosso Piceno.

Die Marken sind keine Region italienisc­hen Spektakels, wie man es andernorts kennt. Sie demonstrie­ren die Vorzüge von Lebensqual­ität und Mäßigkeit. Man stößt auf gemütliche Trattorien am Wegesrand, wo der „Padrone“noch persönlich Risotto oder Kalbsschni­tzel mit „Diamanten“serviert.

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FOTOS: SIGRID MÖLCK-DEL GIUDICE Der Palazzo Ducale im bedeutende­n Renaissanc­e-Städtchen Urbino zieht Besucher aus ganz Italien an.
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Die Diamanten der Marken: die Knollen sind eine Spezialitä­t der Region und ein besonderer Gaumenschm­aus.

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