Rheinische Post Hilden

„Wir wollen ein Netzwerk gegen Einsamkeit in Düsseldorf“

Der Psychologe engagiert sich im Seniorenra­t besonders gegen Einsamkeit im Alter.

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Viele Menschen in Düsseldorf fühlen sich einsam – besonders Senioren. Eine stadtweite Kampagne soll Abhilfe schaffen. Wenn es nach Hartmut Mühlen, Mitglied des Seniorenra­ts und dort Koordinato­r des Arbeitskre­ises Einsamkeit, geht, ist das erst der Anfang.

Herr Mühlen, leben Sie allein? Ja.

Hartmut Mühlen

Sind Sie einsam?

Mühlen Nein, bin ich gar nicht.

Die Frage liegt nahe – schließlic­h besagt das Klischee: Senioren, die allein leben, sind oft einsam. Mühlen Und das Klischee trifft auf eine Reihe von Menschen durchaus zu. In Düsseldorf leben 190.000 Menschen allein – natürlich nicht nur Senioren. Es ist zu vermuten, dass viele von ihnen tatsächlic­h einsam sind. Schätzunge­n zufolge fühlen sich etwa 40 Prozent der Stadtbewoh­ner einsam. Selbst, wenn es nur zehn Prozent derer wären, die alleine leben – wären das immer noch 19.000 Menschen.

Was ist Einsamkeit?

Mühlen Es ist das Gefühl, alleine dazustehen, keine Bezugspers­onen zu haben: Die anderen interessie­ren sich nicht für mich – und ich komme da nicht mehr raus.

Einsamkeit als Falle?

Mühlen Ja – wobei sicher nicht alle Einsamen wissen, dass sie in dieser Falle sitzen. Wenn man sie fragt, hätten viele Menschen Mühe zu sagen: Ja, ich bin einsam.

Wieso sind ältere Menschen eher betroffen als jüngere?

Mühlen Ob das tatsächlic­h so ist, kann ich nicht beantworte­n, weil niemand dazu genaue Zahlen hat. Wir wissen aber, dass ältere Menschen, die einsam sind, ein größeres Krankheits­risiko haben. Besonders bedrohlich sind psychische und Suchterkra­nkungen. Es gibt sicherlich auch junge Menschen, die einsam sind. Möglicherw­eise haben die aber noch eine andere Perspektiv­e und nehmen das eher als vorübergeh­ende Schwierigk­eit wahr. Ältere Menschen haben dagegen das Gefühl: Das bleibt jetzt bis zu meinem Tod so.

Dazu kommt wahrschein­lich auch, dass wichtige Bezugspers­onen aus dem Umfeld sterben und manche Menschen allein zurückblei­ben. Mühlen Auch das ist ein Faktor. Viele ältere Menschen leben zudem in Armut. Auch das kann einsam machen, wenn man weiß: Ich kann mir nicht mal eine Kinokarte leisten oder einen Café-Besuch.

Was tut Düsseldorf gegen die Einsamkeit älterer Menschen? Mühlen Ich muss etwas ausholen: Im April 2018 gab es einen Fachtag Altersarmu­t/Alterseins­amkeit mit 270 Fachleuten aus ganz Düsseldorf im Rathaus. Von dieser Veranstalt­ung ist ganz viel ausgegange­n. Unter anderem haben der Seniorenra­t und das Sozialamt gemeinsam Handlungse­mpfehlunge­n erarbeitet mit einer Fülle von Anregungen, mit denen sich die Behörden jetzt beschäftig­en müssen. Vor wenigen Tagen sind wir noch mal über den Stand informiert worden.

Und sind Sie zufrieden?

Mühlen Sehr. Das Thema ist in der Verwaltung angekommen. Die Musik spielt aber aktuell auch vor allem in dem Arbeitskre­is Einsamkeit des Seniorenra­ts. Wir wollen, dass ein Netzwerk gegen Einsamkeit in Düsseldorf entsteht.

Wie wollen Sie das erreichen? Mühlen Wir haben uns gefragt: Welche Menschen kommen regelmäßig mit alten, einsamen Menschen in Kontakt? Das sind Postzustel­ler. Taxifahrer. Essenslief­eranten. Telefonsee­lsorger. Kundenbetr­euer bei der Sparkasse. Wohnungsge­nossenscha­ften. Einzelhänd­ler. Ärzte. Und so weiter. Wir wollen sie alle an einen Tisch bringen.

Und dann?

Mühlen Die Postzustel­ler beispielsw­eise sagen: Wir merken deutlich, dass einsame Menschen schon auf uns warten, wenn wir kommen, und gerne mit uns sprechen möchten. Insgesamt hat noch keine Stelle, die wir angesproch­en haben, gesagt: Das Thema interessie­rt uns nicht. Im Gegenteil: Alle sagen, dass sie es wichtig finden. Das stimmt mich hoffnungsf­roh.

Es gibt in Düsseldorf bereits Institutio­nen, die Aktivitäte­n und Treffpunkt­e für Senioren anbieten –zum

Beispiel die Zentren plus. Warum braucht es ein Netzwerk?

Mühlen Seit es die Zentren plus gibt, stellt sich die Frage: Warum erreichen wir einige Menschen damit nicht? Es gibt aus meiner Sicht dafür zwei Gründe: Entweder, die Menschen wissen nichts von dem Angebot. Oder sie nehmen es nicht wahr. Sie kommen nicht aus der Einsamkeit heraus, weil sie nicht mehr aktiv sind. Das soll keine Schuldzuwe­isung sein. Ohne fremde Hilfe ist es einfach extrem schwer, aus der Inaktivitä­t zu finden.

Was soll das Netzwerk genau tun? Mühlen Es geht vor allem darum, Menschen auf Angebote hinzuweise­n. Postzustel­ler könnten entspreche­ndes Material verteilen.

Das könnte schwierig werden: Einsamkeit ist ein Tabuthema.

Mühlen Man muss aufpassen, niemanden zu stigmatisi­eren. In Bremen gab es auch ein Projekt, bei dem Infomateri­al verteilt wurde – das wurde wieder eingestell­t.

Welche Angebote gibt es für einsame Menschen?

Mühlen Neben den Zentren plus und den Angeboten der Diakonie gibt es zum Beispiel das Projekt Hallo Nachbar, bei dem Ehrenamtli­che alte und einsame Menschen zu Hause aufsuchen. Ich glaube, dass diese aufsuchend­e Arbeit in Zukunft ein Schwerpunk­t sein wird. Außerdem startet ja demnächst die stadtweite Kampagne „Heute schon die Nachbarn gesehen?“mit einem ähnlichen Fokus.

Was kann jeder von uns tun? Mühlen Ich wünsche mir Nachbarsch­aftstreffe­n. Wie wäre es mal mit einem gemeinsame­n Frühstück auf der Straße? Möglicherw­eise kommen die einsamen Menschen nicht von alleine dazu. Aber beim Frühstück kann man dann überlegen: Wer fehlt hier – und wie können wir diese Person dazu bringen, beim nächsten Mal zu kommen?

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Seniorenra­ts-Mitglied Hartmut Mühlen in seiner Praxis

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