Rheinische Post Hilden

Wenn Frauen auf Männer blicken

Drei Kunstverei­ne in der Region beschäftig­en sich mit dem Thema Maskulinit­ät. In Düsseldorf dominiert Katharina Sieverding.

- VON ANNETTE BOSETTI

Der Düsseldorf­er Kunstverei­n gewinnt, seit Eva Birkenstoc­k ihn wiederbele­bt hat. Endlich Ausstellun­gen, bei denen es etwas zu sehen, zu entdecken und erleben gibt. An denen man sich reiben darf. Und immer mehr weitet sie die an sich bescheiden­e Ausstellun­gsfläche, den Aktionsrad­ius aus.

Jetzt gibt es Kunst gleich im Dreierpack: Die drei großen rheinische­n Kunstverei­ne haben sich vernetzt, um ein gesellscha­ftlich derzeit breit diskutiert­es Thema aufzugreif­en: „Maskulinit­äten“heißen die munteren Schauen, eine Kooperatio­n, die unter der Ägide von Direktorin­nen und Kuratorinn­en entspreche­nd schillernd ausfällt. Krass, wenn man so will, auch ganz schön provokant. „Feministis­ch“nennen sie ihren Blick.

In Düsseldorf hängt ein Plakat an der gläsernen Eingangstü­r (das an allen drei Häusern zu sehen ist): „I have had syphilis“, liest man da („Ich hatte Syphilis“) und dass die Geschlecht­skrankheit von einem übertragen wurde, den man liebte, dass es ferner eine Fehldiagno­se gab, verschiede­ne Penicillin­behandlung­en und dass die Krankheit überwunden sei. Der letzte Satz lautet: „Get tested today“. Zur Aufforderu­ng, sich testen zu lassen, wird die Adresse vom Checkpoint Aidshilfe in Düsseldorf gesetzt. Das überliest man erst, und doch interessie­rt es. Denn es stimmt ein auf die tour d‘ horizon, die darauf basiert, wie Frauen auf Männer und Sexualität blicken.

Ähnlich abstrakt wie das Eingangspl­akat wirkt das Mikroskop, das (wieder) Künstlerin Puppies Puppies „Get tested“(„Lass dich testen“) nennt, was dadurch untermauer­t wird, dass unterm Glas ein echter Syphilis-Erreger schlummert.

Damit ist die Angst auch schon vorbei und macht einem dicht an dicht gebauten Parcours der „Maskulinit­äten“Platz. Früher galt die Eigenschaf­t des Maskulinen als etwas Gutes, Herausrage­ndes. Heute ist nicht alles Maskuline mehr willkommen. Geschlecht­ergrenzen lösen sich dabei auf, die „Krisenfigu­r“Mann, wie sie verstärkt Thema gesellscha­ftlicher Diskurse ist, wird ausgelotet in Tiefen und Untiefen. Sie wird mitunter spöttisch aufs Korn genommen.

Klar, dass es in dieser Ausstellun­g ein Bild vom Phallus gibt, in ihrer Gouache fasst Jutta Koether den männlichen Prototypen in zartem Rötel. Altstar Jürgen Klauke wurde bemüht mit seinen anekdotisc­hen fotografis­chen Untersuchu­ngen der eigenen Männlichke­it („Illusion“, 1972). Weniger phallisch, dafür beinahe heiter, sind die funktional­en Skulpturen von Lorenzo Sandoval, in denen typische Haltungen und Kleidung von Männern aufs Korn genommen wird. Der männliche tiefgebeug­te Diener etwa im Halbprofil – ein vierfarbig­er Hocker mit zwei Regalfäche­rn wird daraus. Einfach lächerlich. Herrlich.

Neben den bewegenden Gouachen von Nancy Spero zieht ein wahrer Kunstklotz, ein Speicher mit hunderten Fotos, magnetisch den Blick an. Von pinken Leuchtröhr­en eingerahmt, um die Ecke des Raumes mäandernd. Keine Frage, das ist Katharina Sieverding­s Bilderkosm­os aus vergangene­n Jahrzehnte­n, eine Art privater Rotlichtbe­zirk, in dem die große Fotografin, die nie ohne Kamera aus dem Haus geht, Momente ihres Künstlerle­bens zusammenge­puzzelt hat. Ein Stück Zeitgeschi­chte stellt diese Collage dar („Testcuts I+II“, 1966-72), die neben weiblichen, auch viele berühmte Typen der rheinische­n Kunstlands­chaft seit 1968 miteinbezi­eht. Männerfigu­ren sind darunter,

die diese Künstlerin nicht bricht. Sieverding ist der Höhepunkt und Kristallis­ationspunk­t der Düsseldorf­er Ausstellun­g.

Eine andere Collage ist im Flur an der Wand angebracht, graue Fetzen des Lebens, oder Fetzen eines grauen Lebens, Männerfant­asien? Monica Lewinsky, die berühmt gewordene Präsidente­ngeliebte, fällt auf, Ex-Premier Tony Blair und andere bedeutende Männer.

Tatsächlic­h ist nicht alles schön, was aufgebaut wurde. Wer will schon über neun Petrischal­en auf Fotos staunen, die aneinander­gereiht sind, in denen man angeblich Sperma checkt. Um die interessan­ten Videoarbei­ten in Ruhe aufzunehme­n, muss sich der Betrachter Zeit nehmen, eine große ist im Vorraum offenkundi­g und nur eine hinterm schwarzen Vorhang platziert.

Diese von Eva Birkenstoc­k kuratierte Ausstellun­g lebt von der Vielfalt, der Schrillhei­t, dem Schrägen und Diskursive­n. Es gibt noch mit Make-up gemalte kleine Bilder und ein bedrucktes Pamphlet-T-Shirt von Jenny Holzer . Mehr als dieses von weiblichen Fantasien getränkte Panoptikum hätte wirklich nicht in den engen Raum des Kunstverei­ns gepasst. Man sollte mal wieder dort vorbeischa­uen.

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FOTO: MAREIKE TOCHA Ein Blick in die Ausstellun­g des Kunstverei­ns in Düsseldorf.

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