Kunst im unbegrenzten Raum
Die Julia-Stoschek-Collection präsentiert das Werk der Video-Künstlerin A. K. Burns in einer anspruchsvollen Einzelausstellung.
Ein Spotlight scheint auf einen Plattenspieler. Dahinter laufen auf einer großen, schräg im dunklen Raum lehnenden Leinwand im ersten Stock der Julia Stoschek-Collection wacklige Bilder einer Wüstenlandschaft. Langsam verwandelt sich die Sonne am Himmel in ein schwarzes Loch. Überblendet werden die Aufnahmen mit Wüstenpflanzen und Grashüpfern, aus dem Hintergrund dröhnt der Klangteppich des Plattenspielers.
Zur Sonnenfinsternis 2017 ist die Video-Künstlerin A. K. Burns nach Nebraska gereist, wo sie das Himmelsspektakel mit einer 16mm-Kamera filmte. Denn dieses schwarze Loch steht im Werk der Amerikanerin für den Negativraum. Mit dem kunstgeschichtlichen Begriff des Raumes, der das Kunstwerk umgibt, beschäftigt sich Burns in allen ihren Arbeiten. Denn in diesem unbegrenzten Raum sieht Burns das meiste künstlerische Potential. Hier ist sie sich übrigens mit dem Bildhauer Richard Serra einig, der seine Skulpturen um den negativen Raum herum konzipiert.
In ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung zeigt Burns in der Julia Stoschek-Collection mit „Negative Space“ein anspruchsvolles und spannendes Video- und Installationswerk. Kuratiert wurde die Schau von Lisa Long, die ein Jahr lang sechs Ausstellungen im Stammhaus der Sammlung und in der Berliner Dependance unter dem Titel „horizontal vertigo“kuratiert. Im Kern von Longs Arbeit stehen Positionen, die von „feministischen, queeren und dekolonialen Perspektiven“geprägt sind. So soll Long der Sammlung neue Impulse und einen erweiterten Blickwinkel geben, sagt Hausherrin Julia Stoschek.
Im zweiten Raum der Schau steht mit „A smeary spot“der erste Teil ihres Video-Zykluses „Negative Space“. Auf drei großen Leinwänden wechseln sich Aufnahmen von Wüsten und aus einem Theaterraum ab. Perfomer laufen darin durch die Wüste, im Theaterraum wird an einem Tisch diskutiert; oder eine Performerin schmiert sich Matsch ins Gesicht – bis sie entstellt ist.
Dabei stellen die Performer für Burns in einer Umkehrung des filmischen Prinzips keine Protagonisten dar. Dieser ist das Setting der Filme, wie der Theaterraum und immer wieder die Wüste. Denn diese repräsentiert wie wohl wenig Anderes das weiße, männliche Amerika. Angefangen mit der „manifest destiny“, der offensichtlichen und göttlichen Bestimmung in den Westen des Kontinents zu expandieren, bis hin zu John Fords Western-Filmen, in denen die Wüste von starken Männern erobert wird.
Die Absurdität dieser Eroberung wird besonders in Aufnahmen vom Lake Mead deutlich. Der durch den Hoover Damm aufgestaute See ist ein Meer in mitten der lebensfeindlichen Wüste. Und taugt wunderbar als Spiegel für eine Gesellschaft, die offenen Auges in die Klimakatastrophe rennt. Weil die Golfplätze in der Wüste grün sein müssen und die Autos besonders groß.
Als nächster Teil des Zyklus folgt die Videoinstallation „Living Room“in einem eigens für die Ausstellung gebautem Raum. Auf einem flauschigem Teppich steht ein durchsichtiges, leuchtendes Sofa. Das auf zwei Leinwände projizierte Video wurde in einem Gebäude in New York gedreht. So sitzt eine Perfomerin in der Badewanne und unterhält sich mit einem Afro-Amerikaner, der ironischerweise über und über mit weißen Pflastern beklebt ist. Am Ende stellt die Frau Jacques-Louis Davids Bild „Der Tod des Marat“nach. Mit Turban auf dem Kopf liegt auch sie nackt in der Badewanne, einen Zettel in der Hand. Dazwischen laufen dann Perfomer mit schwarzen T-Shirts mit Schlagwörtern auf politischen Kampagnen des Präsidentschaftswahlkampf 2016 durch einen dunklen Raum.
Natürlich taucht auch Donald Trumps Slogan „Make America great again“auf. Denn der Kulturkampf in den USA ist vor allem für trans-feministische Künstlerinnen wie Burns in vollem Gange. Überall seien die Kunst aber auch der queere Lebensstil unter Beschuss, sagt sie dazu. Doch Burns nimmt den Kampf an. Der Abschluss ihrer Videos bildet eine Tanzszene. Denn für sie ist der Tanz ein Akt der Befreiung, der Moment, in dem Körper und Geist frei sind.
Faszinierend sind Burns komplexe Videoarbeiten, weil sie aktuell, anspruchsvoll, aber auch humorvoll sind. Allerdings hat sie einen Kosmos erschaffen, auf den sich der Zuschauer einlassen muss. Wer sich also an einem herbstlichen Sonntag einige Stunden Zeit nimmt und Burns auf sich wirken lässt, wird eine der eigenständigsten Video-Künstlerinnen unserer Zeit entdecken.