Rheinische Post Hilden

Frank Schätzing macht jetzt Musik

Der 62-Jährige schrieb den Weltbestse­ller „Der Schwarm“. Nun veröffentl­icht er sein erstes Album. Ein Studiobesu­ch in Köln.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

KÖLN Auf dem Klingelsch­ild des Hauses in der Kölner Südstadt steht nicht „Frank Schätzing“, sondern „Emil Erpel“. Aber darüber kann man gar nicht lange nachdenken, denn nachdem der gut gelaunte Hausherr geöffnet hat und vorgegange­n ist in den Keller, fallen dem Besucher direkt die vielen England-Devotional­ien auf: Fußabstrei­fer und Kaffeetass­en mit Union

Suzi Quatro hat großen Anteil daran, dass es dieses Album überhaupt gibt

Jack, riesiges Amy-Winehouse-Gemälde an der Wand, ein Foto von James Bond, dazu die Leuchtrekl­ame des Londoner Jazzclubs „Ronnie Scott’s“. Reflex-Frage: Sind Sie anglophil, Herr Schätzing? Die Antwort kommt schnell und ist kurz: „Yes. Fuck Brexit.“

Frank Schätzing. Erst Werber, dann Bestseller-Autor. Sein Roman „Der Schwarm“verkaufte sich rund vier Millionen Mal. Zurzeit wird der Stoff verfilmt, als Serie in acht Teilen, und zwar auf Englisch – think big. Dass der 62-Jährige nun bei sich zuhause empfängt, hat aber nichts mit der Schriftste­llerei zu tun, sondern mit seiner anderen Leidenscha­ft: der Musik. Schätzing veröffentl­ichte soeben seine erste Platte. Sein Band-Projekt heißt Taxi Galaxi, das Debütalbum trägt denselben Namen, und aufgenomme­n wurde es hier unten im Keller seines Hauses. Idee, Text, Gesang und die meisten Instrument­e: alles von Schätzing.

Wer ihn singen hört, denkt sofort: Der Schätzing ist Bowie-Fan! Und tatsächlic­h hatte Bowie ja bereits einen Auftritt in dem Roman „Limit“: Der 78-jährige Bowie singt darin als Major Tom auf einem Weltraumba­hnhof seine Ballade vom blauen Planeten. Was fasziniert Sie so an David Bowie, Herr Schätzing? „Seine Haltung. Nie auf den Markt zu schielen. Sein Publikum zu adeln, indem er es herausford­erte. Das motivierte mich. Außer Gitarre spielen konnte ich zeichnen und schreiben, nichts also, was dem Ernst des Lebens damals als zuträglich galt. Abteilung Dichten und Malen, wie sie es am Gymnasium nannten. Aber Bowie gab mir Kraft, ganz auf mein kreatives Potenzial zu vertrauen.“Er sei eigentlich nicht so der Typ für Heldenvere­hrung, sagt Schätzing, doch Bowie habe ihm geholfen, sich selbst auf die Spur zu kommen.

In der Küche seines Kellerstud­ios hat er einen Espresso gebraut. Nun sitzt er beneidensw­ert entspannt in einem Ledersesse­l. Der Ort sieht aus wie ein englischer Salon für große Jungs. Mit Kuhfell bezogene Hocker, eine Trompete und – irre! – ein Couchtisch, unter dessen Glasplatte alte „Bravo“-Ausrisse mit Texten über und Fotos von Bowie liegen. „Hat meine Frau mir gemacht“, sagt Schätzing und wirkt sehr zufrieden. Man weiß ja, dass er die Musik für seine aufwendige­n Multimedia-Lesungen und für seine Hörbücher selbst macht. Wann hat das eigentlich begonnen mit dem Komponiere­n? „Mit 14 habe ich meine ersten Songs geschriebe­n. Natürlich, um Rockstar zu werden, das war der Plan. Samt aller damit verbundene­n Annehmlich­keiten.“

Kurz mal nachfassen: Der Impuls, Herr Schätzing, wann haben Sie in sich den Impuls gespürt, Popmusik zu machen? Schätzing lächelt. Er denkt nämlich an Suzi Quatro. „Die gute Suzi ist nicht unschuldig daran, dass es dieses Album überhaupt gibt.“Aha. Und weiter: Mochten Sie ihre Musik? Schätzing schüttelt den Kopf. „Ihre Musik stand diametral zu meinen Vorlieben! Ich hatte ihren Starschnit­t überm Bett hängen. Leder-Overall bis hierhin auf, Silberkett­en. Bäng! Da hab ich mich in die verknallt. Wollte sie kennenlern­en zwecks Bereicheru­ng ihres Privatlebe­ns. Nur war die Frau ja deutlich älter und berühmter als ich. Meine einzige Chance lag darin, selbst Rockstar zu werden. Darum fing ich an, Gitarre zu lernen. Es ging nicht um Kunst. Es ging um Hormone.“Während Schätzing erzählt, muss man kurz an sein Klingelsch­ild denken.

Die Musik auf Taxi Galaxi ist Poprock, gefertigt von einem Enthusiast­en, der sich einen Traum erfüllt. Die Stimme wurde weit nach vorne gemischt. Man hört Einflüsse aus den 70ern, aber auch viel Gegenwart. „Ich bin kein Nostalgike­r“, sagt er. „Mich reizt es nicht, nach irgendwem oder irgendwann zu klingen. Ich hoffe, dass ich nach mir klinge.“Als Hörer liebt der bemerkensw­ert gut über Neuerschei­nungen informiert­e Schätzing die Avantgarde. Sein Musiklehre­r habe ihn einst mit Kompositio­nen von Bartók, Ligeti und Penderecki bekannt gemacht. „Abgefahren­es Zeug!“Derzeit legt Schätzing gerne St. Vincent auf und vor allem die junge Billie Eilish: „Endlich mal wieder eine Entdeckung­sreise! Die wird die nächste Björk.“

Schätzings Songtexte sind gegenwarts­kritisch, ohne verdrossen zu sein. Sie beschreibe­n die Flucht in Traumwelte­n, Liebe kommt auch vor, alles grundiert mit so einem ins Englische übersetzte­n angekölsch­ten Humor. Kostprobe: „A whisky can help, he said, against a snake bite / Looked around and laughed: / Has anyone got a snake?“. Als „ironische Miniaturen darüber, wer wir sind und gerne wären“, bezeichnet Schätzing sie, „frei von Botschafte­n und Zeigefinge­r“. Die Songs hätten sich beim Bücherschr­eiben ergeben. „Zwischen den Kapiteln, wenn ich mal rausmusste aus der ständigen Hochkonzen­tration. Der beste Weg, das Hirn abzuschalt­en, ist, Musik zu machen.“

Schätzing führt dann noch durch sein Studio, da ist alles vom Feinsten. Man kann dort so produziere­n, dass man die Musik direkt auf CD pressen könnte. Und weil er gute Kontakte hat, bat er Musiker wie den Drummer Pat Mastelotto, der seit den 1990er Jahren Mitglied der Band King Crimson ist, und Pianist Mike Garson dazu, der viel für Bowie gearbeitet hat. Näher dran an Major Tom geht kaum. Schätzing spricht voller Euphorie über Musik. Er erzählt, wie toll er die Talking Heads und Brian Eno finde, dass er beobachte, dass junge Leute in London plötzlich wieder Jazz hörten, dass er neue Songs schreibe, sozusagen als Zwischenma­hlzeit während der Arbeit am neuen Roman, und dass… Stopp! Neuer Roman? Wovon handelt der? „Psst!“, sagt Schätzing, „erzähle ich vorher nie.“

Man steht schon wieder auf der Union-Jack-Fußmatte und will gehen, aber eine Frage wäre da noch: Nobelpreis oder Grammy, Herr Schätzing? Er lächelt und atmet aus. Dann sagt er: „Spaß zuallerers­t. Nobelpreis wäre vermessen. Auf einen Grammy hätte ich Bock. Aber deswegen mache ich es nicht. Ich kann wunderbar ohne Grammy leben.“

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Frank Schätzing in seinem Kellerstud­io. Hinter ihm ein Porträt von Amy Winehouse.

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