Rheinische Post Hilden

Der gläserne Patient

Die Digitalisi­erung könnte auch im Gesundheit­sbereich viele Vorteile bringen. Doch immer wieder erschütter­n Datenskand­ale das Vertrauen der Bürger in die moderne Technik. Dabei ist die oft gar nicht schuld.

- VON THOMAS REISENER UND FLORIAN RINKE

Es ist nicht so, dass Hippokrate­s von Kos als Arzt nie eine Fehldiagno­se unterlaufe­n wäre. Seine Theorie, dass es im menschlich­en Körper vier Säfte gebe, die immer im Gleichgewi­cht sein müssen, war sogar ausgesproc­hener Humbug. Dennoch gilt Hippokrate­s bis heute als der berühmtest­e Vertreter seiner Zunft – wegen seiner Ethik. Ein Arzt müsse über all das, was er bei der Behandlung seiner Patienten sieht oder hört, schweigen, hat er seinen Schülern mit auf den Weg gegeben. Und diese ärztliche Schweigepf­licht gilt auch mehr als 2000 Jahre später.

Doch in der Praxis wird der hippokrati­sche Eid immer wieder gebrochen – und das teilweise ohne Wissen der Mediziner. So wurde nun bekannt, dass Millionen sensibler Patientend­aten ungesicher­t auf Servern lagen, darunter intimste Bilder. Die Aufnahmen zeigen hochauflös­end Wirbelsäul­en oder die Ergebnisse von Brustkrebs­untersuchu­ngen, und sind versehen mit persönlich­en Daten wie dem Namen oder dem Geburtsdat­um des Patienten. Das IT-Sicherheit­sunternehm­en Greenbone hatte die weltweiten Datenlecks gefunden und gemeldet. Die Sicherheit­slücken bei Röntgen-, CT- und MRT-Aufnahmen hatten anschließe­nd der Bayerische Rundfunk und das US-Rechercheb­üro ProPublica aufgedeckt.

Demnach sollen in rund 50 Ländern von Brasilien über die Türkei bis Indien 16 Millionen Datensätze offen im Netz stehen. Laut dem Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI), das von Greenbone über das Leck informiert wurde, liegen allerdings keine Erkenntnis­se vor, dass Daten in kriminelle­r Absicht abgeflosse­n seien.

Ein Einzelfall ist dieses Leck nicht. Vor wenigen Jahren berichtete unsere Redaktion darüber, wie leicht Unbefugte zum Beispiel über die Online-Filialen von Krankenkas­sen auf Daten zu Arztbesuch­en und Medikament­enverschre­ibungen von Versichert­en zugreifen konnten. Damals genügten für solche Operatione­n ein Telefonanr­uf, wenige Mausklicks und ein paar mühelos zu findende Daten. Die Berichters­tattung löste neue Vorgaben des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums zum Schutz von Krankenkas­sendaten aus, die laut dem auf die Sicherheit von Gesundheit­sdaten spezialisi­erten Experten André Zilch aber bis heute nicht zu einem flächendec­kenden Schutz der Daten geführt haben.

„Mit der Digitalisi­erung des Gesundheit­ssystems wird die Menge der angreifbar­en Daten immer größer, deshalb kommen auch solche Datenskand­ale in der Tendenz immer häufiger vor“, sagt Zilch, der auch im Bundestag immer wieder als Experte gehört wird. Besonders erschrecke­nd im aktuellen Fall sei, dass der Zugriff auf die Daten so leicht gewesen sei. Zilch: „Daten des Gesundheit­ssystems sind genauso gut oder schlecht gesichert wie alle anderen Daten auch.“

Oft ist es menschlich­es Versagen, das Folgen ungeahnten Ausmaßes hat. Denn Fehler bei der IT-Sicherheit betreffen in der Regel nicht nur eine Patientena­kte, sondern direkt eine Vielzahl. In den USA sollen im aktuellen Fall beispielsw­eise allein bei einem Anbieter von radiologis­chen Untersuchu­ngen rund eine Million Datensätze ungesicher­t vorgelegen haben.

Im aktuellen Fall war es so, dass medizinisc­he Geräte wie Computerto­mographen die Aufnahmen an einen Server übermittel­ten. Der dabei verwendete Kommunikat­ionsstanda­rd Dicom wird laut dem IT-Experten Sebastian Schinzel von der FH Münster weltweit eingesetzt. „Einige Betriebe hatten die Dicom-Server offenbar ans Internet angebunden.“Doch dafür seien diese überhaupt nicht gedacht. Hinzu käme, dass sie vielerorts nicht einmal mit Nutzername und Passwort abgesicher­t gewesen seien. „Da mussten wir erstmal schlucken“, sagt Schinzel, der

Ein Patient kann nicht erkennen, ob der Arzt Wert auf Datensiche­rheit legt

Newspapers in German

Newspapers from Germany