Rheinische Post Hilden

Ein Satzzeiche­n für das Leben

- VON JULIA-MARIE SCHÜSSLER

DÜSSELDORF Das Semikolon führt ein unscheinba­res Leben. Es steht im Schatten seiner berühmten Eltern, dem Punkt und dem Komma. Aus beiden kombiniert, liegt seine Bedeutung in der deutschen Sprache irgendwo zwischen den elterliche­n Satzzeiche­n. Denn: Der Strichpunk­t trennt stärker als ein Komma, aber nicht so stark wie ein Punkt. Wann und ob ein Semikolon überhaupt gebraucht wird, liegt im Ermessen des Autors. Viele wissen aber überhaupt nicht, wie sie den Strichpunk­t gebrauchen sollen. Die, die seine Bedeutung kennen, wissen es zu schätzen.

Zu schätzen wissen das unscheinba­re Satzzeiche­n neuerdings vor allem junge Menschen, die auf sozialen Netzwerken wie Facebook und Instagram aktiv sind. Dort sieht man den Strichpunk­t immer häufiger – und zwar auf Handgelenk­en. Auch Stars teilen Fotos von ihrer neuen Tätowierun­g. Doch welche Bedeutung hat das Satzzeiche­n auf der Haut? Ausgelöst haben den Trend die Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“und die Bewegung „The Semicolon Project“.

Die Serie handelt von der Teenagerin Hannah Baker, die sich das Leben nimmt. Noch vor ihrem Tod nimmt sie 13 Kassetten auf, jede einzelne wird an eine bestimmte Person verschickt. Hannah erzählt auf den Bändern, warum diese Personen für ihren Suizid verantwort­lich sind. Im Englischen heißt die Serie „13 Reasons Why“. Nach Ausstrahlu­ng der ersten Staffel gab es viel Kritik. Einige glaubten, sie würde den Suizid verherrlic­hen und vielleicht dazu animieren. Selena Gomez, Mitproduze­ntin, und einige Schauspiel­er ließen sich ein Semikolon tätowieren – als Symbol, dass Suizid keine Option ist, ein Leben unter jeglichen Umständen fortgeführ­t werden sollte.

Inspiriert wurden Gomez und ihre Kollegen von der Bewegung „The Semicolon Project“. Amy Bleuel gründete die Organisati­on bereits 2013, um damit an ihren Vater zu erinnern. Dieser hatte sich das Leben genommen, so wie Bleuel 2017 schließlic­h selbst. Durch die Netflix-Serie bekam die Bewegung verstärkt Unterstütz­ung. Das Semikolon, das die Bewegung zu ihrem Logo gemacht hat, war wieder sichtbar.

Der Strichpunk­t bedeutet in der deutschen Sprache, dass ein Satz noch nicht beendet ist, wohl aber das vorher behandelte in sich abgeschlos­sen ist; es folgt noch etwas. Übertragen auf das Leben soll ein Semikolon auf der Haut suizidale Menschen daran erinnern, dass es weitergeht. Der Strichpunk­t ist also wichtig, sollte nicht in Vergessenh­eit geraten. Es könnte ansonsten so enden wie das scharfe Es (ß); das braucht dank neuer Rechtschre­ibung auch kaum noch jemand. Besonders wichtig ist das Semikolon in der Programmie­rsprache. Dort schließt es nämlich eine Anwendung ab. Im Griechisch­en ist der Strichpunk­t ein Fragezeich­en, ohne ihn könnten die Griechen schriftlic­h keine Fragen stellen. Und in der digitalen Sprache wurde es gerade erst zum Leben erweckt: Mit dem Zwinker-Smiley können Nachrichte­n mit einer bestimmten Bedeutung versehen werden. Das Semikolon hat seine Bedeutung verändert; es feiert das Leben.

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