Rheinische Post Hilden

Die Rückkehr des „deutschen Diesels“bei Juventus

Nach Verletzung­en und dem Aus in der Nationalma­nnschaft findet Sami Khedira in Turin zu alter Klasse.

- VON DANIEL THIEL

DÜSSELDORF Vieles erinnert an eine legendäre Fußball-Nacht im Juli 2014 in Belo Horizonte. Eine entfesselt aufspielen­de Mannschaft überrollt ihren Gegner mit schnellen Kombinatio­nen und begeistern­dem Offensivfu­ßball. Mittendrin ist, wie auch beim WM-Halbfinale der DFB-Auswahl gegen Brasilien vor fünf Jahren, Sami Khedira. Über den Sommer hinweg wurde über die fußballeri­sche Zukunft des gebürtigen Stuttgarte­rs spekuliert, auch ein Abschied aus Turin war Thema. Beim Spitzenspi­el am zweiten Spieltag der italienisc­hen Serie A gegen Napoli (4:3) hat sich der Weltmeiste­r im Trikot von Juventus wieder in die Herzen der Fans gespielt.

Beinahe wäre dem 32-Jährigen eine Kopie seines Treffers beim legendären 7:1 gelungen. Die Bewegungsa­bläufe waren nahezu identisch: Ein Teamkolleg­e arbeitet sich in den gegnerisch­en Strafraum vor, mit kurzem Antritt bringt sich Khedira in Position, bekommt das Zuspiel in den Rückraum und zieht ab. 2014 schlug der Ball nach Kroos-Vorarbeit zum zwischenze­itlichen 5:0 im linken Eck ein, fünf Jahre später gelang es Napoli-Torhüter Alex Meret gerade noch, das 0:3 aus Sicht der Neapolitan­er zu verhindern. Bei Khediras nächstem Abschluss, einem Schlenzer aus rund 18 Metern, war der gegnerisch­e Schlussman­n chancenlos – diesmal stand aber das Aluminium im Weg.

Die 40.000 Zuschauer im Stadion der „Alten Dame“bejubelten den Deutschen aber nicht nur wegen seiner Torchancen, Khedira zeigte das, was ihn über Jahre in der DFBElf auszeichne­te. Er setzte seine Mitspieler in Szene, schaffte Verbindung­en zwischen Defensive und Angriff und scheute keinen Zweikampf. „Er dominiert das Mittelfeld“, fasste es die italienisc­he Tageszeitu­ng „La Stampa“zusammen. Mit Khediras Auswechslu­ng nach 60 Minuten verlor Juve defensiv die Struktur und im Spiel nach vorne den Antrieb. Aus einer 3:0-Führung wurde ein 3:3 – erst in der Nachspielz­eit gelang Juventus doch noch der Siegtreffe­r und das durch ein Eigentor von Verteidige­r Kalidou Koulibaly.

In erster Linie war Khedira bei seinem zweiten Startelf-Einsatz immer anspielbar und beackerte das komplette Spielfeld. Für diesen Spielertyp wird mittlerwei­le auch im deutschen Fußball-Sprachgebr­auch der englische Begriff „Box-To-BoxPlayer“verwendet. Im Italienisc­hen wird hingegen, etwas rustikaler und weniger umweltfreu­ndlich, von einem „Diesel“gesprochen – im Falle von Khedira ist der Spitzname gerade wegen seiner deutschen Herkunft beliebt.

Allerdings geriet der Motor des Weltmeiste­rs von 2014 in den vergangene­n beiden Jahren immer wieder ins Stocken. 2018 war Khedira nach der schwachen WM das erste Opfer des Umbruchs von Bundestrai­ner Joachim Löw. Auch in der darauffolg­enden Saison mit Juventus lief es überhaupt nicht, verletzung­sbedingt kam er nur auf zehn Liga-Einsätze. Dabei waren die Sorgen am größten, als im Frühjahr Ärzte Herzproble­me bei Khedira feststellt­en und er sich einer OP unterziehe­n musste.

In diesem Sommer rüstete Juventus gerade auf Khediras Position im zentralen Mittelfeld noch einmal auf und lockte Adrien Rabiot (Paris Saint-Germain) und Aaron Ramsey (FC Arsenal) mit sehr lukrativen Gehältern nach Turin. Schon vorher konnte sich Khedira nicht über mangelnde Konkurrenz beklagen, für seine Position standen ohnehin schon Mittelfeld­stratege Miralem Pjanic, der französisc­he Nationalsp­ieler Blaise Matuidi, Juwel Rodrigo Bentancur sowie Khediras ehemaliger Nationalma­nnschaftsk­ollege Emre Can im Kader. Doch Can steht auf dem Abstellgle­is. Khedira nimmt dagegen wieder Fahrt auf. Er darf sich auch beim „Königsklas­sen“-Auftakt bei Atletico Madrid berechtigt­e Hoffnung auf einen Platz in der Startelf machen. Aktuell steht der Diesel in Turin halt wieder hoch im Kurs.

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FOTO: DPA Sami Khedira (rechts) von Juventus im Spiel gegen Florenz.

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