Die Rückkehr des „deutschen Diesels“bei Juventus
Nach Verletzungen und dem Aus in der Nationalmannschaft findet Sami Khedira in Turin zu alter Klasse.
DÜSSELDORF Vieles erinnert an eine legendäre Fußball-Nacht im Juli 2014 in Belo Horizonte. Eine entfesselt aufspielende Mannschaft überrollt ihren Gegner mit schnellen Kombinationen und begeisterndem Offensivfußball. Mittendrin ist, wie auch beim WM-Halbfinale der DFB-Auswahl gegen Brasilien vor fünf Jahren, Sami Khedira. Über den Sommer hinweg wurde über die fußballerische Zukunft des gebürtigen Stuttgarters spekuliert, auch ein Abschied aus Turin war Thema. Beim Spitzenspiel am zweiten Spieltag der italienischen Serie A gegen Napoli (4:3) hat sich der Weltmeister im Trikot von Juventus wieder in die Herzen der Fans gespielt.
Beinahe wäre dem 32-Jährigen eine Kopie seines Treffers beim legendären 7:1 gelungen. Die Bewegungsabläufe waren nahezu identisch: Ein Teamkollege arbeitet sich in den gegnerischen Strafraum vor, mit kurzem Antritt bringt sich Khedira in Position, bekommt das Zuspiel in den Rückraum und zieht ab. 2014 schlug der Ball nach Kroos-Vorarbeit zum zwischenzeitlichen 5:0 im linken Eck ein, fünf Jahre später gelang es Napoli-Torhüter Alex Meret gerade noch, das 0:3 aus Sicht der Neapolitaner zu verhindern. Bei Khediras nächstem Abschluss, einem Schlenzer aus rund 18 Metern, war der gegnerische Schlussmann chancenlos – diesmal stand aber das Aluminium im Weg.
Die 40.000 Zuschauer im Stadion der „Alten Dame“bejubelten den Deutschen aber nicht nur wegen seiner Torchancen, Khedira zeigte das, was ihn über Jahre in der DFBElf auszeichnete. Er setzte seine Mitspieler in Szene, schaffte Verbindungen zwischen Defensive und Angriff und scheute keinen Zweikampf. „Er dominiert das Mittelfeld“, fasste es die italienische Tageszeitung „La Stampa“zusammen. Mit Khediras Auswechslung nach 60 Minuten verlor Juve defensiv die Struktur und im Spiel nach vorne den Antrieb. Aus einer 3:0-Führung wurde ein 3:3 – erst in der Nachspielzeit gelang Juventus doch noch der Siegtreffer und das durch ein Eigentor von Verteidiger Kalidou Koulibaly.
In erster Linie war Khedira bei seinem zweiten Startelf-Einsatz immer anspielbar und beackerte das komplette Spielfeld. Für diesen Spielertyp wird mittlerweile auch im deutschen Fußball-Sprachgebrauch der englische Begriff „Box-To-BoxPlayer“verwendet. Im Italienischen wird hingegen, etwas rustikaler und weniger umweltfreundlich, von einem „Diesel“gesprochen – im Falle von Khedira ist der Spitzname gerade wegen seiner deutschen Herkunft beliebt.
Allerdings geriet der Motor des Weltmeisters von 2014 in den vergangenen beiden Jahren immer wieder ins Stocken. 2018 war Khedira nach der schwachen WM das erste Opfer des Umbruchs von Bundestrainer Joachim Löw. Auch in der darauffolgenden Saison mit Juventus lief es überhaupt nicht, verletzungsbedingt kam er nur auf zehn Liga-Einsätze. Dabei waren die Sorgen am größten, als im Frühjahr Ärzte Herzprobleme bei Khedira feststellten und er sich einer OP unterziehen musste.
In diesem Sommer rüstete Juventus gerade auf Khediras Position im zentralen Mittelfeld noch einmal auf und lockte Adrien Rabiot (Paris Saint-Germain) und Aaron Ramsey (FC Arsenal) mit sehr lukrativen Gehältern nach Turin. Schon vorher konnte sich Khedira nicht über mangelnde Konkurrenz beklagen, für seine Position standen ohnehin schon Mittelfeldstratege Miralem Pjanic, der französische Nationalspieler Blaise Matuidi, Juwel Rodrigo Bentancur sowie Khediras ehemaliger Nationalmannschaftskollege Emre Can im Kader. Doch Can steht auf dem Abstellgleis. Khedira nimmt dagegen wieder Fahrt auf. Er darf sich auch beim „Königsklassen“-Auftakt bei Atletico Madrid berechtigte Hoffnung auf einen Platz in der Startelf machen. Aktuell steht der Diesel in Turin halt wieder hoch im Kurs.