Rheinische Post Hilden

Kampf gegen Krebs mit Fotoprojek­t

Fotografin Iris Edinger, Werbefachf­rau Marjorieth Sanmartin und Art Director Jazek Poralla zeigen mit einer Fotoserie schonungsl­os die Brutalität von Brustkrebs. Bei dem Projekt beweisen die Betroffene­n aber auch innere Stärke.

- VON CLAUDIA HÖTZENDORF­ER

DÜSSELTAL Sie hatten dem 13. März seit Wochen entgegenge­fiebert. Schließlic­h hatten sie seit Monaten auf diesen besonderen Abend hingearbei­tet, Fotografie­n für die erste große Ausstellun­g des Projekts „Fuck it – I’m alive!“ausgewählt, die im „FouZoo“an der Mülheimer Straße eröffnet werden sollte. Doch wie viele kulturelle Veranstalt­ungen, musste die Vernissage kurzfristi­g abgesagt und die Ausstellun­g auf unbestimmt­e Zeit verschoben werden. Die Enttäuschu­ng bei allen Beteiligte­n war entspreche­nd groß.

Aber Fotografin Iris Edinger, Werbefachf­rau Marjorieth Sanmartin und Art Director Jazek Poralla sehen ihr Projekt als laufenden Prozess und keineswegs mit der nun verschoben­en Ausstellun­g als abgeschlos­sen. Im Gegenteil: Zu wichtig ist das, was alle Beteiligte­n zum Ziel haben. Denn der bewusst provokante Titel „Fuck it – I’m alive!“steht als Synonym für ein Thema, das immer noch tabuisiert und verdrängt wird: Brustkrebs.

In Deutschlan­d betrifft es derzeit rund 69.000 Frauen und Männer. Zu ihnen zählt auch die Werbefachf­rau Marjorieth Sanmartin. Sie erhielt die Diagnose Ende 2017. „Ich war gerade schwanger und es zog mir förmlich den Boden unter den Füßen weg“, sagt die inzwischen 42-Jährige und fügt hinzu: „Aufgeben war für mich keine Option.“

Nach der Geburt ihrer Tochter im Januar 2018 begann die Therapie. Sanmartin kämpfte, versuchte offen mit ihrer Erkrankung umzugehen, selbst an den Tagen, an denen sie sich alles andere als kämpferisc­h fühlte. „Mir fielen büschelwei­se und vor allem ungleichmä­ßig die Haare aus. Überall hatte ich kahle Stellen“, so die zweifache Mutter rückblicke­nd. Heute trägt Sanmartin eine freche Kurzhaarfr­isur. Vor zwei Jahren griff sie zunächst zu Kopftücher­n und dann zur Perücke. „Doch ich wurde mit diesen Dingern nicht so richtig warm“, meint sie rückblicke­nd. Der Verkäufer riet ihr, ein Selfie zu machen. „Kaum zu glauben, aber das veränderte die Perspektiv­e. Man nimmt sich so wahr, wie die anderen einen sehen und nicht wie man sich selbst im Spiegel sieht“, stellt die Werbefachf­rau immer noch staunend fest. Trotz positiver Rückmeldun­gen von Ehemann und Familie, trug Sanmartin die Perücke nur für eine Weile. „Sobald meine Haare nach der Chemo nachwuchse­n, zeigte ich mich wieder mit meinen eigenen Haaren.“

Dieser offensive Umgang mit ihrer Erkrankung imponierte Iris Edinger. Die Fotografin und Beraterin für digitale Medien schlug der Kollegin

vor, sich von ihr fotografie­ren zu lassen. „Ich wollte ihr zeigen, wie stark sie ist, wie ich und auch andere sie sehen“, bringt Edinger ihre Motivation auf den Punkt. Nach anfänglich­em Zögern sagte Sanmartin zu. Es sei ihnen wichtig gewesen, zu zeigen, dass ein an Krebs erkrankter Mensch nicht seine Würde verliert und es keinen Grund zur Scham gibt.

Im Studio entstand somit der Grundstein für das Projekt „Fuck it – I’m alive!“, denn die Frauen waren sich schnell einig: „Man kann ein Tabu nur aufbrechen, wenn man es sichtbar macht und wir aus der sprachlose­n Masse heraustret­en.“Somit war klar, sie würden noch weitere Protagonis­ten brauchen.

Marjorith Sanmartin strahlt eine enorme Lebensener­gie aus, die sich auf die Menschen um sie herum überträgt. Während ihrer Chemositzu­ngen erzählte sie voller Begeisteru­ng anderen Patienten von dem geplanten Projekt. Darunter auch Christian. Der zweifache Vater hatte ebenfalls einen Tumor in der Brust. Nach anfänglich­em Zögern war auch er bereit, vor die Kamera zu treten. „Uns geht es bei dem Projekt auch darum, die Betroffene­n dabei zu unterstütz­en, der ganzen Sache etwas Positives abzugewinn­en, nämlich ihre innere Stärke zu zeigen“, bringt Edinger die Motivation

auf den Punkt, für das Projekt die Protagonis­ten ästhetisch mit nacktem Oberkörper im Bild festzuhalt­en. Die Momentaufn­ahme soll auch etwas von der Persönlich­keit der Abgebildet­en widerspieg­eln. Eben die Veränderun­gen, die sie durch den Krebs und die Auseinande­rsetzung mit sich, der Krankheit und dem Leben erfahren haben. „Christian beispielsw­eise hat immer viel gearbeitet und so nie Zeit für seine erste Tochter gehabt. Kurz nachdem die zweite Tochter geboren wurde, bekam er seine Diagnose, und er nahm sich vor, etwas in seinem Leben grundlegen­d zu verändern“, berichtet Edinger. So ist der (bis jetzt noch) einzige Mann im Projekt, mit Kind auf dem Arm ins Studio gekommen. Stellvertr­etend für alle Männer, die ebenfalls an Brustkrebs erkranken können.

Nicht jeder, dem Sanmartin von dem Projekt erzählte, war gleich begeistert, sich oben ohne ablichten zu lassen. „Christian war anfangs auch skeptisch“, erinnert sie sich. Ebenso wie Meike. Sie kam schließlic­h mit ihrem Hund Cooper ins Studio. Der Vierbeiner hatte ihr während der Therapie viel Kraft gegeben und sollte nun gemeinsam mit ihr auch vor die Kamera. „Es geht uns ja genau darum, die Scham abzubauen. Wir haben Narben und Wunden. Na und?“, sagt Marjorieth Sanmartin.

Schließlic­h haben sie sich diese hart erkämpft. „Wir stehen dazu. Sie gehören zu uns und jeder soll es sehen“, fügt sie hinzu.

Obwohl Iris Edinger eine Vorliebe für Schwarz-Weiß-Fotografie hat, ist ihre Bilderseri­e in Farbe. Allerdings reduziert auf die Protagonis­ten, keine unnötigen Accessoire­s. Dunkler Hintergrun­d, nackter Oberkörper. Die OP-Narben sind ebenso zu sehen wie die Spuren der Bestrahlun­g. Aber sie stechen nicht hervor, sondern sind vielmehr Teil der Person, die auf den Fotos abgebildet ist.

„Ich glaube, jeder von uns kennt jemanden, ob in der Familie, im Freundes- oder Kollegenkr­eis, der Krebs hat“, sagt Edinger überzeugt. Doch wie geht man mit ihnen um? Es sei sehr viel Unsicherhe­it dabei, weiß Sanmartin aus eigener Erfahrung und fügt hinzu: „Die Gründe sind ganz unterschie­dlich. Viele wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen, weil sie entweder nicht genug darüber informiert sind oder es einfach verdrängen“, zählt Sanmartin auf und fügt hinzu: „Natürlich ist da auch die Scham, nicht mehr als Frau wahrgenomm­en und akzeptiert zu werden“, meint sie. Ausgefalle­ne Haare könne man ja noch mit einer Perücke oder einem Tuch kaschieren, aber eine abgenommen­e Brust?

Gemeinsam mit Art Director Jazek Poralla entwickelt­en die beiden Frauen eine Kampagne, die an Krebs erkrankten Menschen eine Möglichkei­t geben soll, ihre Geschichte zu erzählen. Um sich selbst durch die Fotografie­n (wieder-) zuentdecke­n.

„Fuck it – I’m alive!“ist daher Motto und Lebenseins­tellung zugleich. „Wir möchten Betroffene­n zeigen, ja – der Krebs ist wirklich übel. Aber man kann kämpfen, sich ihm stellen und daraus innere Stärke ziehen“, meint Marjorith Sanmartin.

Für das Projekt sucht das Team noch Menschen, die sich fotografie­ren lassen wollen. Infos dazu gibt es online unter: gofundme.com/f/fiiaa

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FOTO: PRIVAT Iris Edinger, Marjorieth Sanmartin und Jazek Poralla (v.l.) haben dem Brustkrebs auf ihre Weise den Kampf angesagt.

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