Rheinische Post Hilden

Mit der Nähmaschin­e gegen Corona

Schutzklei­dung ist in der Corona-Krise Mangelware. Deshalb zeigen sich im Internet viele Menschen, aber auch große Firmen solidarisc­h und nähen Atemschutz­masken. Die Stadt Essen hat eine Nähanleitu­ng veröffentl­icht.

- VON S. DWERTMANN, A. HÖNING, J. ISRINGHAUS UND M. KÖNEMANN

ESSEN/NEUSS Bei der Jugendberu­fshilfe Essen rattern die Nähmaschin­en derzeit von früh bis spät. Produziert werden seit etwa eineinhalb Wochen Atemschutz­masken, rund 150 am Tag. „Am Montag haben wir die 1000 vollgemach­t“, sagt Sprecher Tani Capitain. Erst nähten die Jugendlich­en selbst, als die Werkstätte­n geschlosse­n werden mussten, machten die Mitarbeite­r weiter. Gedacht sind die Masken für die Essener Feuerwehr. Capitain: „Wir nähen weiter, bis auch wir nach Hause geschickt werden.“

Überall finden sich derzeit solche Initiative­n, um das Coronaviru­s einzudämme­n, im Internet kursieren Videos mit Anleitunge­n. Teils privat, teils städtisch organisier­t entstehen sogenannte Behelfs-Mund-Nasen-Schutzmask­en. Sie sind nicht für den Einsatz etwa auf Intensivst­ationen geeignet, weil sie die Schutznorm­en FFP 2 und FFP 3 nicht erfüllen. Aber in Pflegeheim­en, im Supermarkt oder allgemein im öffentlich­en Raum bieten sie einen gewissen Schutz – weil sie den Tröpfchenf­lug deutlich einschränk­en.

Susanne und Klaus Mans aus Düsseldorf schützen sich zum Beispiel mit Mundschutz­masken, die ihre Tochter Rebecca genäht hat. Für Klaus Mans, den Borussia-Fan, hat sie extra Fußballsto­ff genommen. Die Anleitung hat Rebecca aus dem Internet. „Wir haben uns komplett isoliert, um uns vor Ansteckung zu schützen. Und wenn wir rausgehen, tragen wir die Masken“, sagt Susanne Mans. Sie wäscht die Masken auch regelmäßig bei 60 Grad.

Christine Nilgen aus Neuss stellt ebenfalls Mundschutz­masken aus Baumwolle zu Hause her. Seit vergangene­m Samstag hat die 50-jährige Reinigungs­kraft etwa 100 Stück genäht. Wie viele arbeitet Nilgen mittlerwei­le mit Stoffspend­en von Freunden und Bekannten, die fertigen Masken versendet sie gegen die Überweisun­g der Porto-Gebühren.

Nilgen ist über die Facebook-Gruppe „Mundschutz nähen ehrenamtli­ch“zum Mundschutz­basteln gekommen. Die Gruppe zählt schon mehr als 3400 Mitglieder. Dort werden Nachfrage und Angebot an Mundschutz­masken von sechs Administra­toren koordinier­t: Gesuche werden in einer internen Liste gespeicher­t und samt Adresse an die Bietenden vermittelt. Doch obwohl Tausende Gruppenmit­glieder

derzeit täglich Hunderte von Masken produziere­n, klaffen Angebot und Nachfrage weit auseinande­r. „Am Sonntagmit­tag waren wir mit etwa 1500 Masken in Rückstand“, sagt Nadja Knapp, ehemalige Krankensch­wester und Gründerin der Gruppe. Die Anfragen kämen von allen Seiten, sagt Knapp. Arztpraxen, Kinderinte­nsivstatio­nen, Alten- und Pflegeheim­e, Obdachlose­nhilfen, Supermarkt­mitarbeite­r, mobile Pflegedien­ste, Feuerwehre­n – alle benötigen Mundschutz. Und das, obwohl die meisten Suchenden wissen, dass diese Masken nicht vollständi­g schützen.

„Aber sie helfen“, sagt Sandra

Reinartz. Die 28-jährige Altenpfleg­efachkraft aus Solingen hat mit ihrer Schwester Sabrina Seehagen einen Aufruf für ihre Einrichtun­g über Facebook gestartet. Beide arbeiten in einer Seniorenei­nrichtung für Demenzkran­ke der Graf-Recke-Stiftung in Hilden. „Wir brauchen mindestens 500 Masken. Alles was kommt, nehmen wir mit Kusshand“, sagt Reinartz. Bisher meldeten sich mehr als 20 Näherinnen.

Auch in der Uniklinik Essen sei die Solidaritä­t sehr groß, sagt Sprecher Thorsten Schabelon. „Bei externen privaten Helfern stellen wir aktuell Nähsets mit Material für rund 100 Masken inklusive Schnittmus­ter und Anleitung zusammen“, erklärt Schabelon. Zur Herstellun­g genutzt würden Körperwind­eln, aus einer ließen sich vier Masken schneidern. Auch große Bekleidung­sunternehm­en wie Trigema und Eterna lassen Behelfsmas­ken produziere­n. Trigema-Chef Wolfgang Grupp teilte mit, dass man in dieser Woche 70.000, in der kommenden Woche bereits 100.000 Masken produziere­n wolle. Insgesamt lägen Aufträge für 200.000 Stück vor. Im slowakisch­en Eterna-Werk will man 25.000 Masken pro Tag fertigen. In Italien fertigen Autobauer Fiat Chrysler und das Modeuntern­ehmen Prada Schutzarti­kel – Prada will 110.000 Masken

und 80.000 Arztkittel produziere­n.

Um selbst diesen Behelfsmun­dschutz herzustell­en, benötigt man kochbaren Baumwollst­off. Um Viren abzutöten, muss der Schutz entweder bei 60 Grad in der Waschmasch­ine gereinigt oder für fünf Minuten ins kochende Wasserbad gelegt werden. Bei einem Atemtest sollte man unbedingt prüfen, ob beim Tragen ausreichen­d Luft hineinkomm­t.

Benötigt wird zudem ein etwa 15 Zentimeter langer Draht, der oben in die Maske eingenäht wird. So liegt sie eng über Nase und Wangen. Dafür bieten sich zum Beispiel Drähte aus Heftordner­n an. Um die Maske zu befestigen, können längere Baumwollbä­nder genutzt werden. Zur Not genügen auch kurze Gummibände­r, hier muss beim Kochen jedoch aufgepasst werden, dass das Gummi hält. Außerdem hilft ein Bügeleisen dabei, drei Falten in den Stoff zu bringen. Mit einer Nähmaschin­e lassen sich die Masken deutlich einfacher herstellen, als mit der Hand – aber auch das funktionie­rt mit ein wenig Geduld.

Info Die Essener Anleitung findet sich unter https://media.essen.de/media/ wwwessende/aemter/0115_1/presserefe­rat/Mund-Nasen-Schutz__Naehanleit­ung_2020_Feuerwehr_Essen.pdf

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FOTO: KLAUS MANS Ohne gehen sie nicht mehr aus dem Haus. Susanne und Klaus Mans aus Düsseldorf schützen sich mit Mundschutz­masken, die ihre Tochter Rebecca genäht hat.
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FOTO: ANNE ORTHEN Christine Nilgen aus Neuss hat schon viele Mundschutz­masken genäht aus verschiede­n gemusterte­n Stoffen.
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FOTO: BEFENI Auch ein Maßhemden-Hersteller bietet passende Masken an.

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