Die virtuelle Hauptversammlung
Wegen des Versammlungsverbots müssen Aktionärstreffen eigentlich verschoben werden – es sei denn, die Eigentümer können von zu Hause aus teilnehmen. Das sieht ein Gesetzentwurf der Regierung vor.
DÜSSELDORF Bei Hauptversammlungen der börsennotierten deutschen Unternehmen sind oft Hunderte, mitunter auch Tausende dabei. Sie drängen in den Saal und ans Buffet, sie knubbeln sich am Eingang und auf den Toiletten. Das ist in Zeiten der Coronakrise natürlich undenkbar und nach dem Versammlungsverbot vom Wochenende auch nicht erlaubt. Viele Aktionärstreffen sind bereits abgesagt worden. Am Montag verschoben die Bayer-Abspaltungen Covestro und Lanxess ihre für den 17. April respektive 13. Mai geplanten Hauptversammlungen bis auf Weiteres.
Damit die jährlichen Zusammenkünfte der Anteilseigner und deren Vertreter überhaupt noch stattfinden können, ist der Bund den Konzernen am Montag mit einem Gesetz zur Seite gesprungen. Es ermöglicht den Unternehmen, statt der laut Aktiengesetz zwingend vorgeschriebenen Präsenz-Hauptversammlung das Treffen online zu veranstalten. „Aktiengesellschaften können nun erstmals virtuelle Hauptversammlungen durchführen“, sagte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht nach Verabschiedung des Gesetzentwurfs. Das heißt: Die Aktionäre wählen sich zu Hause etwa über den heimischen Laptop ein. Diese Variante bieten große Konzerne wie Daimler und die Deutsche Telekom schon an; in ihrer Satzung steht diese Möglichkeit ausdrücklich drin. Dennoch war auch beim Autobauer und beim Telekom-Konzern das Angebot einer Präsenzveranstaltung bisher vorgeschrieben. Bei anderen ohne entsprechende Satzung war eine Online-Teilnahme gar nicht möglich.
All das ist in Corona-Zeiten anders. Allerdings sind mit der gesetzlichen Regelung längst nicht alle Probleme gelöst. Ganz wichtig bei der virtuellen Hauptversammlung, bei der es eine Bild- und Tonübertragung geben muss, ist beispielsweise, dass Aktionäre ihre Rechte auch online ausüben können. Zu diesen regelmäßigen Rechten gehören die Abstimmung über die Dividendenzahlung, die Entscheidung über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, Beschlüsse über Kapitlerhöhungen oder Abspaltungen von Unternehmensteilen.
Nach dem Aktiengesetz müssen Hauptversammlungen innerhalb von acht Monaten nach dem Ende des Geschäftsjahres stattinden. Dieser Zeitraum solt auf ein volles Geschäftsjahr verlängert, die Frist für die Einladung von 30 auf 21 Tage verkürzt werden.Bei den virtuellen Aktionärstreffen soll die Stimmabgabe logischerweise online erfolgen – oder per Brief.
Auch Fragen sollen die Eigentümer des Unternehmens spätestens zwei Tage vor der Hauptversammlung online einreichen können. Aber da scheiden sich die Geister.
Funktioniert die Technik, wenn Tausende sich zuschalten, und funktioniert damit auch das Online-Fragerecht der Aktionäre? Wenn nicht alle Fragen zugelassen werden und der Vorstand laut Gesetzentwurf „nach pflichtgemäßem freiem Ermessen“auswählen kann, besteht nicht die Gefahr, dass unliebsame Fragen außen vor bleiben? Schwieriges Terrain.
Das Deutsche Aktieninstitut begrüßte die Regelungen und forderte, dass Fragen schon vier Tage vor der Hauptversammlung eingereicht werden sollen. Ein Sprecher der Aktionärschützervereinigung DSW sagte unserer Redaktion: „Die Reaktion der Bundesregierung ist nachvollziehbar und aktienrechtlich in Ordnung. Wichtig ist, dass die Online-Hauptversammlung zeitlich begrenzt ist und wir nach der Krise zur Präsenzveranstaltung zurückkehren.“Begrüßenswert sei, dass das Unternehmen einen Abschlag auf die Dividende zahlen könnten.