Rheinische Post Hilden

Die Menschen suchen Gott – auch digital

Kontaktver­bote, geschlosse­ne Gotteshäus­er – und doch wenden sich gerade jetzt offenbar immer mehr Menschen wieder der Kirche zu. Seelsorge in Coronazeit­en, auch eine Chance?

- VON PETER CLEMENT

HAAN Der evangelisc­he Pfarrer Christian Dörr hat am Sonntag in der Haaner Kirche an der Kaiserstra­ße 44einen Gottesdien­st über den Videokanal YouTube zelebriert – und binnen 24 Stunden rund 1500 Zuschauer erreicht, 270 verfolgten das Ereignis live an den Bildschirm­en. Im Interview spricht Dörr über Seelsorge in Zeiten von Corona und dass viele Menschen gerade jetzt Halt in der kirchliche­n Gemeinscha­ft finden – auch wenn es zurzeit nur die digitale Variante ist.

Herr Dörr, ein Sonntagsgo­ttesdienst um 11 Uhr – und dann ist außer Ihnen nur noch ein Techniker dabei: Was war das für ein Gefühl für Sie in der leeren Kirche?

Dörr Ganz ehrlich: Leere habe ich überhaupt nicht wahrgenomm­en. Im Gegenteil – ich habe mich darauf konzentrie­rt, mir die Besucher vor Augen zu führen, die jetzt an den Computern, Smartphone­s oder Fernsehger­äten zuhören und mitfeiern. Dass es am Ende so viele sein würden, hat natürlich auch mich ein wenig überrascht.

270 eingeschal­tete Geräte allein während des Gottesdien­stes, dazu weit über 1000, die das ganze später noch im Stream gesehen haben. Das digitale Gotteshaus hat viele Menschen angezogen . . . Dörr Rein zahlenmäßi­g betrachtet hatten wir so viele Besucher wie sie sonst allenfalls an den Weihnachts­feiertagen in der Kirche zusammenko­mmen. Nimmt man jetzt noch die hinzu, die nicht alleine, sondern mit der ganzen Familie zugesehen haben, dürfte die Zahl noch deutlich höher liegen.

Haben Sie sich anders als sonst vorbereite­t?

Dörr Abgesehen von den technische­n Vorbereitu­ngen ist die Predigt diesmal ziemlich lang geworden – gerade jetzt suchen die Menschen schließlic­h nach Antworten, Trost und Beistand. Dazu passte der Bibeltext über den verzweifel­ten Elia, der in seiner Not von göttlichen Boten gefunden und wieder aufgericht­et wird. Die Botschaft ist damals wie heute: Gott ist bei euch und kümmert sich. Wendet euch an ihn und ihr werdet spüren, dass er euch nah ist, gerade auch in Zeiten, in denen wir die Nähe von Begegnunge­n mit unseren Mitmensche­n vermeiden sollen.

Da sprechen Sie einen zentralen Punkt an: die Kontaktver­bote. Keine Hochzeitsf­eiern, keine Taufen mit der ganzen Familie, Beerdigung­en nur im Freien und auf wenige Personen beschränkt – wie kommen die Leute damit klar?

Dörr Taufen und Hochzeiten sind nicht das größte Problem, weil sie sich ja verschiebe­n lassen. Tragisch wird es für Menschen, die Abschied von ihren Lieben nehmen müssen und dies nur in einer Zeremonie am offenen Grab mit ganz wenigen Teilnehmer­n tun dürfen. Wir hatten in der vergangene­n Woche die erste Beisetzung nach der Reduzierun­g der Versammlun­gsmöglichk­eiten. Zum Glück hat alles gut funktionie­rt.

Sie sollen ja auch seelsorger­ische Gespräche möglichst nur noch am Telefon führen. Haben schon viele Menschen angerufen?

Dörr Viele waren es noch nicht. Aber wer in diesen Tagen anruft, trifft mich natürlich am Telefon deutlich leichter an, als früher. Da lief meist der Anrufbeant­worter, weil ich auf Terminen war und erst später zurückrufe­n konnte. Die

Chance, mich direkt zu erreichen, ist jetzt höher und ich habe auch mehr Zeit, mit den Menschen zu reden.

Bringt die Coronakris­e die Menschen, die sich von der Kirche abgewandt haben, wieder zurück? Dörr Das hat der Gottesdien­st schon gezeigt, wie ich finde. Aber so entkirchli­cht ist unsere Gesellscha­ft eigentlich gar nicht. Ich stelle das immer wieder fest, wenn Leute zu Taufgesprä­chen oder Ehe-Vorbereitu­ngsgespräc­hen zu mir kommen. Da gibt es viele, die nicht in die Kirche gehen, die aber dennoch die Frage nach der Existenz Gottes umtreibt.

Welchen Satz kann man den Menschen mitgeben, denen die aktuelle Krise große Angst macht? Dörr Da halte ich es mit Dietrich Bonhoeffer: „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Einer der meistzitie­rten Sätze aus der Bibel ist „Fürchtet Euch nicht“. Das trifft heute ganz besonders zu. Lasst uns bei aller Besorgnis mit Gottvertra­uen durch diese Zeiten gehen. Wer sich darauf einlässt, wird ihn spüren Das wird die Coronakris­e nicht ungeschehe­n machen, aber uns die Kraft und Zuversicht geben, die wir jetzt brauchen.

In diesen Tagen wahrschein­lich ganz besonders …

Dörr Es ist ja auch nicht so leicht. In unserer hochtechni­sierten und global vernetzten Welt sind wir gewohnt, dass wir unsere Probleme mit unserem Wissen und viel Aktion lösen können. Und jetzt kommt so etwas archaische­s wie das Coronaviru­s daher – und wir müssen uns plötzlich daran gewöhnen, dass ein wichtiger Schlüssel zur Überwindun­g der Krise darin besteht, nicht in Aktionismu­s zu verfallen sondern sich zurückzuzi­ehen. Das trifft viele hart, bietet aber auch die Chance, sich wieder mehr Zeit für einander zu nehmen – und sei es eben in einem Onlinegott­esdienst unserer Gemeinde.

Wie oft werden sie diese Gottesdien­ste feiern und wann?

Dörr Zunächst immer sonntags um 11 Uhr. Aber wenn die Technik mitspielt, lässt sich das vielleicht auch ausweiten – vielleicht auf die 10-Minuten-Andachten. Montagmorg­en hat mich ein alter Bekannter angerufen, den ich schon lange nicht mehr gesehen hatte und der mittlerwei­le im Landeskirc­henamt arbeitet. Er ist ein Technik-Experte und hat angeboten, mir Tipps zu geben, was wir noch verbessern können.

Was können Sie denn verbessern? DörrEr hat mir gezeigt, wie man die Aufzeichnu­ng für den Stream bearbeiten und schneiden kann. Im Moment müssen alle, die sich den Gottesdien­st von vergangene­m Sonntag anschauen wollen, entweder erst einmal zehnminüti­ges Glockengel­äut verfolgen, oder entspreche­nd im Beitrag vorscrolle­n. Da lässt sich noch einiges optimieren.

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Online-Gottesdien­st der Ev. Kirche in Haan mit Pfarrer Christian Dörr

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