Wie Paare durch die Krise kommen
Viele Menschen sind in der Corona-Krise auf längere Zeit auf die eigenen vier Wände beschränkt. Experten befürchten die Zunahme häuslicher Gewalt. Die Psychologin Susanne Altweger gibt Tipps, wie der Frieden daheim gewahrt bleibt.
NEUSS Plötzlich zu Hause, und zwar von früh bis spät, das ist für die meisten Menschen gerade eine Herausforderung. Vor allem, wenn eine zeitliche Perspektive fehlt: Mag man als Paar gemeinsam noch einen zweiwöchigen Urlaub locker meistern, verlangt die durch das Coronavirus erzwungene Auszeit daheim, zusätzlich überschattet von Existenzängsten, nach ganz anderen Spielregeln. „Die gute Nachricht“, sagt die Neusser Psychologin Susanne Altweger, „es handelt sich nicht um die Rente.“Allerdings würde sich der neue Zustand vorübergehend ähnlich anfühlen und einen radikalen Bruch mit Gewohnheiten bedeuten. Um das als Paar gut zu überstehen, braucht es gemeinsame Strategien.
Altweger empfiehlt, manche Dinge ähnlich anzugehen wie im Wirtschaftsleben. Dazu gehört es, dem Tag eine Struktur zu geben, einen Plan aufzustellen. Morgens setzt man sich zusammen, bespricht, was ansteht und wer welche Aufgaben übernehmen will. „Daran muss man sich auch halten, sonst gibt es Streit“, sagt Altweger. Grundsätzlich seien Enge und Aggression miteinander verbunden, was Konflikte begünstige. Das bedeutet etwa, dass Fälle von häuslicher Gewalt zunehmen, wenn Paare aufeinander hocken. Das hat die monatelange Isolation in China gezeigt. Daher sei es sinnvoll, Streitgespräche etwa über die Zukunft einer Beziehung und damit Eskalationsthemen erst einmal zurückzustellen. Altweger: „Da muss man sofort ein Stopp-Zeichen geben.“
Denn im häuslichen Bereich fehlen oft die Rückzugsräume. Die sind aber wichtig, um Stress abzubauen, sagt die Psychologin. Jeder müsse am Tag eine Art „Quality time“für sich haben, in der er tun und lassen kann, was er will. Lesen, Yoga machen, Fernsehen, was auch immer – aber alleine. Dazu zählt auch, mal alleine spazieren zu gehen, auf kleine, schöne Dinge zu achten, das Wetter zu genießen. Menschen brauchen Privatsphäre, zum Beispiel bei Gesprächen mit Freunden. Täglich einen lieben Menschen anzurufen und zu plaudern, also die sozialen Kontakte zu pflegen, sei wichtig, sagt Altweger. „Das sollte man sich ruhig zur Gewohnheit machen.“Kinder können je nach Alter konfliktverschärfend wirken, aber auch hier gilt es laut der Psychologin, ihr Rückzugsbedürfnis zu berücksichtigen.
Für Beziehungen aller Art bedeutet diese Ausnahmesituation einen Stresstest. Manche Menschen sind psychisch widerstandsfähiger, meistern die Krise leichter, andere leiden mehr. Miteinander zu reden relativiere vieles, auch Ängste auszusprechen, sich Mut zu machen. Wichtig sei es, sich gegenseitig zu motivieren, erklärt Altweger, sich zu loben für gut erledigte Aufgaben, also eine positive Atmosphäre zu schaffen. Und sich auch optisch nicht gehen zu lassen, selbst wenn „nur“der langjährige Partner mit am Tisch sitzt. Heißt: Nicht in Jogginghosen den Tag verbringen, sondern sich adrett anziehen. Getreu Karl Lagerfelds Credo „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“
Überhaupt, die Kontrolle. „Menschen besitzen die große Fähigkeit zur Sublimierung“, sagt Altweger. Das bedeutet, sie können schwere Probleme sozusagen umleiten und ersatzweise Situationen schaffen, die sich kontrollieren lassen. Damit entkommen sie dem Gefühl der Ohnmacht, das momentan übermächtig ist. Gesünder zu essen, lässt sich etwa kontrollieren, oder mehr Sport zu treiben, um das Immunsystem zu stärken. Auch Rituale stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl – gemeinsam zu kochen und zu essen zum Beispiel, zu spielen oder in alten Fotoalben zu blättern, um sich an schöne Zeiten oder liebe Menschen zu erinnern. Sex ist auch wichtig, werden dabei doch Endorphine und Bindungshormone ausgeschüttet.
Nach der Krise wird es wohl mehr Babys geben, aber möglicherweise auch mehr Trennungen. Altweger selbst nimmt sich die Worte des Dichters Rainer Maria Rilke als Leitlinie: „Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles“. Und der Mensch, sagt sie, habe seine große Überlebensfähigkeit hinlänglich bewiesen. „Noch besser wäre es, wenn wir am Ende aus der Krise etwas lernen.“