„Fitnessprogramm für die Wirtschaft“
Der Bundeswirtschaftsminister über die vielen staatlichen Hilfen gegen den Konjunktureinbruch.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier erreichen wir telefonisch im Homeoffice in seiner Berliner Wohnung. Er hat gerade das größte Stützprogramm aller Zeiten für die deutsche Wirtschaft aufgelegt. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, was zudem noch notwendig sein wird, um die Folgen der Corona-Krise für die Wirtschaft zu lindern.
Herr Altmaier, wie schützen Sie sich persönlich vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus?
Altmaier Ich halte Abstand, erledige vieles per Video oder Telefon, kaufe nur alle paar Tage Obst und frische Lebensmittel und verbringe die meiste Zeit im Ministerium oder zu Hause. Seit 14 Tagen kutschiere ich meinen Dienstwagen selbst durch die Straßen von Berlin, auch um meine Mitarbeiter zu schützen. Falls persönliche Besprechungen wirklich unumgänglich sind, halten wir die Zahl der Teilnehmer so gering wie möglich und stellen die Stühle ausreichend weit auseinander.
Es gibt eine Debatte um das Tragen von Schutzmasken in der Öffentlichkeit. Allerdings fehlen die entsprechenden Produkte sogar in Kliniken, Praxen und in der Altenpflege. Muss die Bundesregierung die Produktion von Schutzkleidung steuern?
Altmaier Die Bundesregierung hilft, wo es geht. Der Krisenstab unter Leitung des Gesundheits- und des Innenministers koordiniert das. Sie beschaffen die Masken national und international. Wir steuern Listen von Unternehmen zu, die uns hierzu ihre Unterstützung angeboten haben. Ich finde es beeindruckend, dass so viele Unternehmen solidarisch sind und auch immer mehr Unternehmen in dieser Krise ihre Produktion auf Güter umstellen, die jetzt besonders benötigt werden. Das sind zum Beispiel Textilunternehmen, die sich in den nächsten Wochen auf die Herstellung von Masken und anderer Schutzkleidung konzentrieren werden. Das gilt aber auch für Unternehmen aus dem Chemiebereich oder Schnapsbrennereien, die nun Alkohol für Desinfektionsmittel produzieren. Ich hoffe, dass weitere positive Beispiele aus der Wirtschaft folgen. Denn das zeigt, dass die Marktwirtschaft das flexibelste Wirtschaftssystem ist, wenn es um kurzfristige Umstellungen geht.
Wann wird Deutschland den Engpass bei den Schutzmasken aufgelöst haben?
Altmaier Ich wünsche mir, dass nicht nur unser Personal in Krankenhäusern, Arztpraxen und Pflegeheimen ausreichend ausgestattet ist, sondern dass geeignete Schutzmasken auch allen Bürgern, die es möchten, bei ihrer Arbeit oder beim Einkaufen zur Verfügung stehen. Dabei dürfen wir uns nicht nur auf Lieferungen aus anderen Ländern verlassen. Deshalb helfen wir bei Produktionsumstellungen unserer heimischen Industrie und nehmen dafür auch Geld in die Hand.
Arbeitet die Bundesregierung an Exit-Strategien für die Wirtschaft? Altmaier Solche Strategien zu verfolgen, ist klug - heißt aber nicht, dass man gleichzeitig darüber öffentlich reden sollte. Es hilft niemandem, wenn alle durcheinander reden. Jetzt steht die Gesundheit im Mittelpunkt. Aber klar ist auch: Wenn die Coronakrise überstanden ist, muss es für unsere Wirtschaft ein Fitnessprogramm geben, damit sie ihre Wachstumskräfte wieder entfalten kann. Heute ist es mir wichtig, ein großes Dankeschön an die Menschen in Deutschland zu sagen, denn sie setzen die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus überaus ernsthaft und diszipliniert um und retten so Menschenleben. Auf diese Leistung dürfen wir alle stolz sein.
Die Krise verändert ja auch die Struktur der Wirtschaft. Amazon zum Beispiel kann seine Position als Online-Händler weiter ausbauen. Sehen Sie da die Notwendigkeit kartellrechtlich einzugreifen? Altmaier Richtig, durch die Krise verändern sich Marktstrukturen. Nach der Krise wird es nicht mehr so sein, wie es vorher war. Das kann aber auch bedeuten, dass es in einigen Bereichen besser wird. Zurzeit tun zum Beispiel viele Unternehmen und öffentliche Stellen enorm viel dafür, bei der Digitalisierung voranzukommen. Der entscheidende Punkt, um langfristig Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, wird aber nicht der Kampf gegen einzelne Unternehmen sein, sondern das Entwickeln eigener wettbewerbsfähiger digitaler Strukturen in Europa.
Die Wirtschaftsweisen erwarten eine schwere Rezession mit bis zu fünf Prozent Schrumpfung der Wirtschaft. Was erwarten Sie? Altmaier Ich werde in den nächsten Tagen eine erste eigene Einschätzung veröffentlichen. Die Einschnitte werden in den Monaten März, April, Mai sehr deutlich spürbar sein. Im zweiten Halbjahr haben wir immer noch die Chance für Aufhol- und Nachholeffekte. Das ist aber mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Denn die Corona-Krise trifft zum Beispiel die USA, einen unserer wichtigsten Handelspartner, viel stärker als bisher angenommen.
Wie läuft die Soforthilfe für kleine Unternehmen an? Wie viele Unternehmen haben sie Stand heute schon beantragt?
Altmaier Die Mittel haben wir bereitgestellt, jetzt arbeiten alle Länder mit Hochdruck daran, die Anträge zu bearbeiten. Allein in Nordrhein-Westfalen wurden bereits über das Wochenende über 100.000 Anträge auf staatliche Soforthilfe genehmigt, in Berlin sind 50.000 Anträge eingegangen. Ich gehe davon aus, dass alle 16 Bundesländer ihren ganzen Ehrgeiz daransetzen, dass kleine Unternehmen und Selbstständige das Geld, das sie jetzt so dringend brauchen, um Mieten und Pachten zu bezahlen, möglichst schnell ausgezahlt bekommen. Wir sind parallel auch dabei, die Kreditprogramme der Förderbank KfW noch gängiger zu machen. Mehrere hundert Unternehmen haben bereits neue KfW-Kredite bewilligt bekommen. Aber da gibt es noch ein paar Unebenheiten.
… viele Unternehmen beklagen, dass die KfW-Kredite schon nach fünf Jahren zurückgezahlt werden müssen.
Altmaier Ja, das ist ein Punkt, der mich sehr umtreibt. Ich werde in meiner Funktion als Verwaltungsratsvorsitzender der KfW vorschlagen, die Laufzeiten für Förderkredite während der Corona-Krise deutlich zu verlängern. Auch besprechen wir weitere Verbesserungen bei den Krediten, gerade für Mittelständler, aktuell mit der EU-Kommission. Gleichzeitig helfen wir unseren Start-ups und jungen Technologieunternehmen
mit einem zwei Milliarden-Soforthilfeprogramm. Innovative Firmen sollen weiter unser Land voranbringen können ohne abwandern zu müssen. Auch dieses Programm lag mir sehr am Herzen.
Wie soll mit den Managergehältern in Unternehmen verfahren werden, die mit Staatshilfe gerettet werden müssen?
Altmaier Ich bin der Meinung, dass in einer Krise alle einen Beitrag leisten müssen, auch starke Schultern müssen ihr Päckchen tragen. Dort, wo der Staat Unternehmen helfen muss, werden wir deshalb auf Kürzungen oder Streichungen z.B. von Boni bestehen. Ich würde mir aber wünschen, dass auch andere Unternehmen von sich aus mit gutem Beispiel voran gehen.
Wie stellen Sie sich in diesem Jahr Deutschland an Weihnachten vor? Altmaier (Pause) Meine tiefempfundene Hoffnung ist, dass sich das persönliche, familiäre und gesellschaftliche Leben bis Weihnachten wieder so weit normalisiert hat, dass Jung und Alt gemeinsam feiern und auf eine erfolgreich bewältigte Krisensituation zurückschauen können. Auch wenn man ehrlicherweise sagen muss, dass das Coronavirus bis dahin nicht verschwunden sein wird. Deshalb ist es mein Wunsch, dass wir möglichst schnell einen Impfstoff gefunden haben, der vor allem unseren besonders gefährdeten Mitbürgern helfen wird.