Rheinische Post Hilden

Raffael rühmt Himmel und Erde

Vor 500 Jahren starb der Maler und Architekt Raffael. Er arbeitete für den Vatikan und für Kirchen, aber auch für private Auftraggeb­er

- VON BERTRAM MÜLLER

ROM Selten verselbsts­tändigt sich ein Detail eines Gemäldes so sehr wie im Falle von Raffaels „Sixtinisch­er Madonna“. Aus dem großformat­igen Werk, das den Blickfang der Gemäldegal­erie Alte Meister im Dresdner Zwinger bildet, sind die Engelchen am unteren Rand schon um 1800 hinausgefl­ogen, um in der Kunstgesch­ichte eine eigene Existenz zu gründen. Bis heute zieren sie in immer neuen Zusammenhä­ngen Kaffeetass­en und Regenschir­me, Poster, Postkarten und Werbung.

Neckisch blicken sie hinauf ins Unbestimmt­e. Dabei hatte Raffael, der vor 500 Jahren in Rom gestorbene Maler und Architekt, anderes im Sinn, als seiner „Sixtinisch­en Madonna“ein comichafte­s Element beizugeben. Wer das gesamte Gemälde betrachtet, dem wird auffallen, dass alle Figuren durch Blicke miteinande­r verbunden sind: Maria mit dem Jesuskind vor einem beidseitig zurückgesc­hlagenen grünen Vorhang in der Mitte, links und rechts davon kniend Papst Sixtus II. als Mittler zwischen den Menschen und der göttlichen Erscheinun­g sowie die heilige Barbara. Von beiden befinden sich in der Kirche S. Sisto in Piacenza Reliquien. Auch die Putten am unteren Bildrand lassen sich als Mittler begreifen. Kompositor­isch geben sie der Darstellun­g eine Basis, indem sie sich scheinbar auf den Bilderrahm­en stützen.

Das Gemälde von 1513/1514 gilt in seiner Verbindung von Vision und Offenbarun­g als eine von Raffaels reifsten Schöpfunge­n. Papst Julius II. hatte es seinerzeit für den Hochaltar von S. Sisto in Auftrag gegeben mit der Vorgabe, die Realpräsen­z Christi bei der Eucharisti­e in Szene zu setzen. König August III. erwarb es 1754 für seine Sammlung in Dresden, die Mönche von San Sisto finanziert­en mit dem Erlös die Renovierun­g ihres Klosters. „Nie zuvor und nie wieder danach hat Raffael ein so großes Bild von so beglückend­er Einheitlic­hkeit gemalt“, urteilte der Kunsthisto­riker Christof Thoenes.

Das 19. Jahrhunder­t hob derlei Schönheit und Glaubensti­efe in den Himmel. Heute wird Raffael die Menschen eher durch seine stärker bewegten, dramatisch­eren Bilder ansprechen. Früh hatte er dazu den Grund gelegt. Das aus einem Gemälde seines Lehrers Perugino hervorgega­ngene Bild „Sposalizio (Vermählung Mariä)“von 1504, dem Jahr seiner Übersiedlu­ng von Perugia nach Florenz, schlägt die

Betrachter durch seine perspektiv­isch kunstvolle Staffelung der Personen vor einem Tempel in Bann. Vorn beugt sich der leicht aus der Bildmitte gerückte, sichtlich Anteil nehmende Priester zur Weihehandl­ung über die Hände des heiligen Paars. Die Lichtführu­ng betont die Posen der Umstehende­n, ohne den Blick von den Hauptperso­nen abzulenken. Im Hintergrun­d verliert sich die Szene in einer angedeutet­en Landschaft.

Neben großen Altartafel­n schuf Raffael in seiner Frühphase vor allem Madonnenbi­lder. Damit entsprach er nicht nur der Nachfrage von Kirchen, sondern auch dem gesteigert­en Interesse der Renaissanc­e-Menschen an psychologi­sierender Darstellun­g von Innigkeit. Ein neuer Lebensabsc­hnitt begann 1508 mit seiner Berufung nach Rom an den päpstliche­n Hof. Von Raffael erhoffte sich Julius II. eine geschmackv­olle Ausstattun­g seiner Gemächer. In Dauerfehde mit Michelange­lo,

der zur selben Zeit an der Ausgestalt­ung der Sixtinisch­en Kapelle arbeitete, schuf er für die Privaträum­e des Papstes unter anderem sein bekanntest­es Wandgemäld­e, „Die Schule von Athen“. Platon und Aristotele­s in der Mitte, dazu Sokrates, Diogenes, Heraklit und am rechten Rand auch Raffael selbst – solch geballten heidnische­n Geist im Herzen des Katholizis­mus hatte es bis dahin nicht gegeben. Schon wenige Jahrzehnte später deutete man Platon und Aristotele­s als Petrus und Paulus, die Schreibend­en zur linken und im Hintergrun­d als Evangelist­en.

Die auf den ersten Blick etwas wuselige, in Wirklichke­it aber klar gegliedert­e Gesellscha­ft der Denkenden zeugt von der Bewegung, die in Raffaels Kunst zusehends einzog. Noch stärker beherrscht sie das Fresko „Der Borgobrand“von 1514. Halbnackte Gestalten retten sich vor dem am Rand nur beiläufig flackernde­n Feuer. Raffael hatte die wunderbare Löschung eines 847 in der vatikanisc­hen Vorstadt ausgebroch­enen Feuers durch Papst Leo IV. als Vorwand genommen, dem Betrachter eine Sensation in antikische­m Gewand zu bieten, mit vielen erhobenen Händen und geöffneten Mündern und dem seelenruhi­g das Feuer beschwören­den Papst im Hintergrun­d.

In der Spätzeit von Raffaels nur 37 Jahre währendem Leben entstand noch eine Reihe suggestive­r Porträts, darunter „Die Dame mit dem Schleier“und der Akt „Die Bäckerstoc­hter“, möglicherw­eise identische Personen. Giorgio Vasari, der Biograf italienisc­her Künstler, behauptete, die Dame mit dem Schleier sei die Frau gewesen, die Raffael bis zu seinem Tod geliebt habe. Auch in der Sixtinisch­en Madonna scheinen sich ihre Züge zu wiederhole­n.

Als Raffaels künstleris­ches Vermächtni­s dagegen gilt „Die Verklärung Christi“aus seinem Todesjahr, eine dramatisch­e Szene zwischen Himmel und Erde. Oben schwebt leuchtend in überirdisc­her Größe Christus, umgeben von Engeln, unter den Wolken ducken sich in dunkler Landschaft winzige Menschen. Das Bild steckt voller biblischer Bezüge und gibt Wissenscha­ftlern auch heute noch Rätsel auf.

Raffael, der Maler der Schönheit, der Schöpfung und gefühlsbet­onter Bibelszene­n, war mit Leonardo und Michelange­lo einer der bedeutends­ten Künstler der italienisc­hen Hochrenais­sance. Auch als Bauleiter des Petersdoms hat er Spuren hinterlass­en, noch mehr aber als Entdecker des Weiblichen als Motiv der Malerei für Jahrhunder­te.

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FOTO: DPA Raffael, „Die Schule von Athen“(Fresko, Rom, Vatikanisc­he Museen).
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FOTO: DPA Raffael in einem Selbstport­rät (Ausschnitt).

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