Was sich durch die Krise ändern muss
Seit mehr als vier Wochen arbeiten wir an der Eindämmung der Corona-Pandemie. Es ist uns bisher gelungen, die Zahlen so klein zu halten, dass unsere Kliniken alle Erkrankten auf höchstem Niveau behandeln können. Das muss so bleiben – in ganz Deutschland, und darüber sind sich auch alle einig.
Der Preis, den wir zahlen, um das Virus einzudämmen, ist gleichwohl hoch. Kindergärten und Schulen sind geschlossen, Restaurants und Geschäfte mussten ebenfalls schließen, fast alle Unternehmen leiden unter hohen Umsatzeinbußen, das öffentliche Leben findet nicht mehr statt. Wenn dieser Preis nicht vergeblich gezahlt worden sein soll, müssen wir den eingeschlagenen Weg noch eine Zeit lang fortsetzen. Trotzdem ist verständlich, dass der Ruf nach mehr Normalität lauter wird.
Deshalb ist es unser Ziel, vernünftige Lösungen finden, um zum richtigen Zeitpunkt in eine neue Normalität zu finden. Dabei müssen wir drei Grundbedürfnisse unseres demokratischen Gemeinwesens berücksichtigen: unsere bürgerlichen Freiheitsrechte, eine funktionierende Wirtschaft, die auch sozialen Zusammenhalt garantiert, und den Schutz der Gesundheit aller. Daran arbeiten wir alle auf Bundes-, Landesund kommunaler Ebene jeden Tag mit Hochdruck.
Ein weiteres Ziel muss aber sein, dass wir in Zukunft Krisen noch besser und schneller kontern können. Vier Punkte sind wichtig.
1. Eigene Krisenreserven aufbauen
Wir haben uns in den vergangenen Jahren zu sicher gefühlt. Nach Beendigung des Kalten Kriegs wurden alle krisenrelevanten Systeme heruntergefahren: Eigene personelle, materielle und technische Ressourcen wurden abgebaut, die Abhängigkeit vom Ausland ist in vielen dieser Bereiche stark gestiegen. Rettungsdienste, Krankenhäuser, öffentliche Gesundheitsdienste wurden im gleichen Maße auf Wirtschaftlichkeit getrimmt, Personal und Lagerhaltung für Krisenzeiten abgebaut. Die aktuelle Situation zeigt schonungslos die Systemschwächen auf. Das Virus trifft hier auf ein ausgezehrtes System.
Wir müssen im wahrsten Sinne des Wortes wieder aufstocken. Der Mangel an systemrelevanter Ausstattung wie Schutzmasken und Schutzkleidung zeigt, dass wir eigene Fähigkeiten und krisensichere Lieferketten benötigen, um in der Krise bestehen zu können.
2. Krisenbewältigung vor Ort stärken
Schon in der Flüchtlingskrise ist deutlich geworden, dass die Hauptlast der Krisenbewältigung von den Kommunen getragen wurde. Vor Ort kennen wir die Lage und haben Zugriff auf operativ leistungsfähige Organisationen wie die Ordnungsbehörden, die Berufsfeuerwehren, Rettungsdienste und Hilfsorganisationen. Diese Strukturen müssen gegen den Trend der vergangenen Jahre gestärkt werden. Vor dem Hintergrund knapper Kommunalfinanzen sind die Gesundheitsämter personell ausgedünnt worden. Und als die ersten Corona-Fälle in der Kölner Feuerwehr auftauchten, stellte sich die Frage, ob das System dieser Belastung gewachsen ist.
Deshalb brauchen wir nicht weniger als eine Renaissance des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Was die Menschen im Gesundheitsamt gerade 24 Stunden am Tag leisten, ist kaum zu beschreiben. Sie sorgen dafür, dass Kontaktpersonen ermittelt und in der Quarantäne betreut werden, kranke Personen in die richtige Klinik kommen und das Virus sich nicht unkontrolliert ausbreitet. Die Teams wachsen ständig, wir qualifizieren Leute nach. Diese Kompetenzen müssen weiter ausgebaut und professionalisiert werden.
3. Beschaffung zentral organisieren
Auch starke kommunale Strukturen bedürfen an einigen Stellen der Unterstützung durch den Bund. So zeigt sich am Beispiel der Beschaffung von Schutzausrüstung und Beatmungsgeräten ein absurdes Problem. Hier tritt gerade jeder gegen jeden an: Städte gegen Kliniken, Länder gegen Kommunen – und wenn dann ein weiterer Player wie die
Großmacht USA auf dem leergefegten Markt auftaucht, kann sich jeder denken, dass das lebensrettende Gerät eher in Amerika als in Düsseldorf landen wird. Das kann nicht sein!
Die Krise zeigt, dass die Beschaffung relevanter Güter und der Aufbau von Krisenreserven in einer zentralen Beschaffungsstelle beim Bund verankert werden müssen. Die Kommunen melden an, was sie benötigen, bestellt wird zentral, gebündelt und zu einem angemessenen Preis. Dann wäre Schluss mit der zurzeit auch hier vorherrschenden Wildwest-Mentalität.
Mehr Koordination wäre auch in Bezug auf weitere Behandlungskapazitäten sinnvoll. Zurzeit planen große Städte auf eigene Faust eigene Behelfskrankenhäuser – eine zentrale Planung wäre sinnvoller.
4. Systemrelevante Arbeit vernünftig bezahlen
Das Virus ist ein enormer Stresstest für unser personell ausgezehrtes Gesundheitssystem. Wie lange wissen wir schon vom Pflegenotstand und den stressigen Bedingungen in den Krankenhäusern – und was wurde wirklich dagegen getan?
Wenn wir die Krise überwunden haben, müssen wir hier aktiv werden. Wir spüren mehr denn je, wie abhängig unsere ganze Gesellschaft von guter medizinischer Betreuung ist. Deshalb müssen wir unseren Pflegesektor und die Krankenhäuser personell stärken. Dazu gehören natürlich auch eine bessere Bezahlung des Pflegepersonals und die Förderung qualifizierter Zuwanderung in diesem wichtigen Bereich.