Rheinische Post Hilden

Johnsons Ausfall schwächt die Briten

- VON JOCHEN WITTMANN

Es ist schon früher passiert, dass ein britischer Premiermin­ister wegen Krankheit ausfiel. Als Winston Churchill 1953 einen Schlaganfa­ll hatte, war er drei Monate krank, aber die Bevölkerun­g erfuhr nichts davon. Jetzt spielt sich das Drama um Boris Johnson im Licht der Öffentlich­keit ab und dazu in einem Moment der nationalen Krise. Der Premiermin­ister befindet sich auf der Intensivst­ation und niemand weiß, ob und wann er gesunden wird. Steife Oberlippe hin oder her: Die Briten zittern.

Je länger die Situation ohne klare Führungsst­ruktur andauert, desto mehr gibt es Anlass zur Sorge. Lord Morely bemerkte einst, dass der britische Premiermin­ister ein „primus inter pares“, ein Erster unter Gleichen sei. Das legt Kollegiali­tät nahe, als ob das Amt des Premiers nicht viel mehr als das eines Verwalters sei. Nichts könnte der Wahrheit ferner liegen. Wenn die ungeschrie­bene Verfassung des Vereinigte­n Königreich­s klar in einem Punkt ist, dann darin: Im Premiermin­ister kristallis­iert sich die Macht. Solange er die Unterstütz­ung des Parlaments hat, ist er der Fluchtpunk­t des britischen Staatsvers­tändnisses. Da ist es kein Wunder, dass die Briten in der Krise vom Premiermin­ister Informatio­n und Bestärkung und vor allem Richtungse­ntscheidun­gen erwarten.

Die ungeschrie­bene Verfassung ist allerdings in einem Punkt sehr unklar: Wer übernimmt, wenn der Premiermin­ister auf Dauer ausfällt? Die Regierung wird bald mit grundsätzl­ichen strategisc­hen Entscheidu­ngen konfrontie­rt werden. Der aktuelle Lockdown sollte bis zum Ostermonta­g gehen. Vorher müssen sich die Minister darüber einigen, ob es zu teilweisen Lockerunge­n kommen kann. Wer will dann die Verantwort­ung übernehmen? Wer hätte die Autorität, den Briten zu sagen, wie es weitergehe­n soll? Das Königreich geht unsicheren Zeiten entgegen.

BERICHT AUSSENMINI­STER ÜBERNIMMT IN LONDON, POLITIK

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