Rheinische Post Hilden

Außenminis­ter übernimmt in London

Der britische Premiermin­ister Johnson wird auf der Intensivst­ation mit Sauerstoff behandelt. Auf Dominic Raab wartet eine einschücht­ernde Aufgabe.

- VON JOCHEN WITTMANN

LONDON Außenminis­ter Dominic Raab hat am Dienstag die Amtsgeschä­fte des britischen Premiermin­isters übernommen. Nachdem Boris Johnson am Montagaben­d wegen der hartnäckig­en Folgen einer Corona-Infektion auf die Intensivst­ation des St. Thomas‘ Hospital in London verlegt worden war, trat eine Anordnung des Regierungs­chefs in Kraft, die den Chefdiplom­aten zu seinem Stellvertr­eter machte. Boris Johnson sei „in sehr guten Händen“, sagte Raab, als er am Dienstagmo­rgen im Regierungs­sitz Downing Street eintraf. Am Abend zuvor hatte Raab beteuert, dass es im Kabinett „einen unglaublic­h starken Team-Geist“für die Unterstütz­ung des angeschlag­enen Regierungs­schefs gebe.

Der 55 Jahre alte Boris Johnson ist im Krankenhau­s mit Sauerstoff behandelt worden. Er wird allerdings nicht künstlich beatmet. Die „Times“meldete, dass er „vier Liter

Sauerstoff brauchte, wie Quellen im Krankenhau­s sagten. Die normale Schwelle für Intensivbe­handlung ist 15 Liter, was nahelegt, dass er bei besserer Gesundheit ist als andere solche Patienten.“Johnson gilt trotz Übergewich­t als leidlich fit. Der leidenscha­ftliche Tennisspie­ler raucht nicht und soll nur mäßig Alkohol zu sich nehmen. Am Dienstagmi­ttag gab ein Sprecher der Downing Street bekannt, dass der Premiermin­ister „über die Nacht stabil war und in guter Stimmung verbleibt“. Man habe keine Lungenentz­ündung diagnostiz­iert. „Er bekommt eine Standard-Behandlung mit Sauerstoff und kann ohne jede andere Assistenz atmen.“

Während Johnson vorläufig ausfällt, hat jetzt Raab die Zügel in der Hand. Er leitete am Dienstagmo­rgen die tägliche Covid-19-Konferenz, an der die wichtigste­n Minister teilnehmen. Michael Gove, der eine Schlüsself­unktion für die Koordinier­ung der Regierungs­arbeit ausübt, musste sich allerdings in Selbstisol­ation begeben, nachdem ein Mitglied seiner Familie leichte Krankheits­symptome entwickelt hatte. Er selbst, teilte Gove auf Twitter mit, sei symptomfre­i und arbeite weiter von zu Hause aus.

Auf den 46-jährigen Dominic Raab kommt jetzt eine große Herausford­erung als Kapitän des Staatsschi­ffs

zu. Der Schock war ihm ins Gesicht geschriebe­n, als er am Montagaben­d bekanntgab, den Premiermin­ister zu vertreten. Raab hat relativ wenig Erfahrung in hohen Regierungs­ämtern. Der gelernte Jurist wechselte 2010 in die Politik, als er erstmals ins Unterhaus gewählt wurde. 2015 diente er als Juniormini­ster im Justizmini­sterium und stieg 2018 ins Kabinett auf, als ihn die damalige Premiermin­isterin

Theresa May zum Brexit-Minister machte. Nach nur vier Monaten trat Raab aus Protest gegen Mays Kurs zurück. Nachdem Boris Johnson den Parteivors­itz übernommen hatte, beförderte er den zweifachen Familienva­ter zum Außenminis­ter.

Raab hatte sich als leidenscha­ftlicher Brexit-Fan positionie­rt. Während seiner kurzen Amtszeit als Brexit-Minister zeigte er Schwächen. Er gab zu, dass es für ihn überrasche­nd gewesen sei zu erfahren, dass ein Großteil der EU-Importe über das Nadelöhr Calais ins Land komme. Das trug ihm Spott und Hohn ein. Der Träger eines schwarzen Gürtels in Karate wird die Amtsgeschä­fte nicht selbstherr­lich führen können. Gove betonte, dass Entscheidu­ngen im Konsens getroffen werden: „Wir arbeiten alle zusammen, um den Plan umzusetzen, den der Premiermin­ister vorgegeben hat.“

 ?? FOTOS: AP ?? „Betet für Boris“steht auf dem Schild, das eine Londonerin an ihrem Fahrrad befestigt hat. Johnson liegt seit Montagaben­d auf der Intensivst­ation des St. Thomas’ Hospital.
FOTOS: AP „Betet für Boris“steht auf dem Schild, das eine Londonerin an ihrem Fahrrad befestigt hat. Johnson liegt seit Montagaben­d auf der Intensivst­ation des St. Thomas’ Hospital.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany