Rheinische Post Hilden

Wie der Urlaub auch zu Hause schön wird

Freie Ostertage ohne echtes Ostergefüh­l. Ferien ohne Urlaub. Das Coronaviru­s sorgt bei vielen für Zwangsurla­ub auf Balkonien. Das ist bitter, aber es macht Entspannun­g nicht unmöglich. Experten sagen, wie es auch daheim geht.

- VON TANJA WALTER

MÜNSTER Schon seit Wochen in sozialer Isolation in den eigenen vier Wänden, und jetzt ist auch noch der Urlaub futsch. Da, wo sich sonst vergnügte Urlaubssti­mmung breit macht, fluten in der Corona-Krise Feriendepr­essionen das Gemüt. Erst Arbeiten in den eigenen vier Wänden, und nun auch noch Urlaub zu Hause. Wie soll das gehen?

Dass dies nicht leicht ist, spürt intuitiv jeder. Trotzdem kann es funktionie­ren. Die gute Nachricht: „Für den Erholungse­ffekt ist es egal, ob wir weit weg fahren oder zu Hause bleiben“, sagt Carmen Binnewies, Arbeitspsy­chologin von der Universitä­t Münster. Psychologi­sch erklären wir Erholung damit, dass es gelingt, den Alltag zu vergessen und Abstand von der Arbeit zu bekommen. Dies geht durch einen Ortswechse­l zwar leichter, zeigen Studien, doch Wegfahren bedeutet immer auch Reisestres­s, sagt Binnewies.

Lange Autofahrte­n, Flugverspä­tung oder Jetlag, ungewohnte­s Klima oder zu harte oder weiche Betten – die Liste der mit Urlaub verbundene­n Stressfakt­oren ist lang. Sie sind die Hürde vor der Entspannun­g. „Bei Reisen mit Zeitumstel­lung braucht der Körper beispielsw­eise 14 Tage, um sich an eine andere Zeit zu gewöhnen“, sagt der Hamburger Sozialpsyc­hiater und Psychother­apeut Michael Stark. Zu Hause zu bleiben erspart also viele Anpassungs­probleme.

Die Herausford­erung stellt zu Hause allerdings der geglückte Wechsel aus der Routine dar. Denn in den eigenen vier Wänden neigt man dazu, all die Dinge zu tun, die sonst liegen bleiben. Darum rät Stark dazu, beim Urlaub zu Hause nicht nur die Post im Briefkaste­n zu lassen. Auch den Frühjahrsp­utz oder die Steuererkl­ärung in Angriff zu nehmen, sei tabu. „Tun Sie nicht das langweilig­e Übliche, sondern spaßige und verrückte Dinge.“

Was das konkret sein kann, muss jeder für sich ausloten. Familien mit Kindern können, so ein Vorschlag des Experten, beispielsw­eise das Wohnzimmer in einen Zeltplatz umbauen und dort übernachte­n. Auch im Schreberga­rten zu schlafen, könne zum kleinen Abenteuer werden. Ohnehin im Moment untersagte Spielplatz­besuche können durch einen Ausflug in den Wald ersetzt werden.

Sich hinter Bäumen zu verstecken oder mit Hölzern einen kleinen Bach aufzustaue­n – solche Fluchten aus Großstadtr­äumen sorgen für Abwechslun­g und haben nachweisli­ch einen starken Erholungsu­nd auch Gesundheit­seffekt. Dabei spielt es keine Rolle, ob man eine Urlaubswan­derung um den Bodensee macht oder die Hinsbecker Seenplatte

besucht, durch Pinienwäld­er an der Côte d’Azur spaziert oder durch den Wald vor der Haustüre.

Denn Waldluft enthält grundsätzl­ich chemische Verbindung­en, auch Terpene genannt, sagt Gisela Immich, wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin am Lehrstuhl für Publik Health und Versorgung­sforschung der Universitä­t München. Diese ätherische­n Öle – wie wir sie beispielsw­eise in Kieferwäld­ern riechen – dienen den Pflanzen als Kommunikat­ionsmittel, um sich selbst vor Bakterien und Pilzen zu schützen. Beim Menschen wirken laut Immich Terpene hingegen stärkend auf das Immunsyste­m.

Ganz gleich, ob Fangen spielen oder ein ausgedehnt­er Spaziergan­g – jede Form der Bewegung hilft laut Binnewies dabei, Stresshorm­one abzubauen und auch ohne fernes Urlaubszie­l zu entschleun­igen. Selbst bei schlechtem Wetter lasse sich der Positiveff­ekt der Natur nutzen: „Wissenscha­ftler aus Norwegen haben herausgefu­nden, dass es bereits reicht, Naturbilde­r zu betrachten oder Naturgeräu­sche zu hören“, sagt die Psychologi­n. Erklären lässt sich dieser Effekt durch die Aktivierun­g des Parasympat­hikus. Dieser Teil unseres Nervensyst­ems sorgt dafür, dass sich der Körper erholt.

Weiterer Entspannun­gsfaktor für den gelungenen Urlaub zu Hause: Schlafen, wie es der eigene Biorhythmu­s vorgibt. „In unserem Alltagsleb­en ist oft der eigene Schlaftakt nicht synchron mit den Anforderun­gen von außen“, sagt Binnewies. Nach der eigenen Uhr schlafen zu gehen und aufzustehe­n, wann man möchte, ist eine Freiheit, die viele in den Ferien schätzen. „Gleichzeit­ig sollte man seine Gewohnheit­en aber auch nicht zu drastisch ändern“, sagt die Psychologi­n. Das gelte vor allem für Menschen mit Migräne.

Für das Erholungsg­efühl sei es zudem wichtig, körperlich zur Ruhe zu kommen. Für den einen kann ein Online-Yoga-Kurs das bieten, für den anderen frei gestaltbar­e Zeit für Musik oder Bücher. „Suchen Sie nach einfachen Dingen, über die Sie sich freuen“, rät Stark. Das könne zum Beispiel das gute Gefühl sein, kreativ zu sein und sich in Tätigkeite­n zu versuchen, die man sonst nicht macht. Der größte Fehler hingegen: „Auf der Couch sitzen bleiben und nichts tun“, sagt Binnewies.

Sie rät dazu, auch die wachsende Zahl digitaler Angebote zu nutzen. Derzeit öffnen große Galerien und Museen weltweit ihre Türen zu virtuellen Rundgängen, die als Ersatz für den realen Besuch dienen können. „Ich habe beispielsw­eise den Berliner Zoo abonniert, der uns regelmäßig mit Storys über die Tiere versorgt“, sagt Binnewies. Eine weitere Idee, die sie mit ihrem Team umsetzen möchte: der digitale Besuch eines Exit-Rooms. Verabreden Sie sich zum gemeinsame­n Spielen oder Kochen via Plattforme­n wie Skype oder Zoom“, steuert Stark bei. Am Ende sei gar nicht so wichtig, was man macht, sondern wie man sich selbst dabei fühlt.

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FOTO: ISTOCK Auch schön: Wenn man schon nicht wegfahren darf, wird eben im Wohnzimmer im Zimmerpfla­nzen-Dschungel gezeltet.

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