EU-Mitglieder verhandeln über Rettungspaket
550 Milliarden Euro sind im Gespräch. Der Streit um gemeinsame Corona-Anleihen könnte hingegen vertagt werden.
BRÜSSEL Das Wort Corona-Anleihe hat eine seltsame Karriere hingelegt. Vor wenigen Tagen haben es Italiens Regierungschef Guiseppe Conte sowie die Finanzminister von neun EU-Mitgliedstaaten immer wieder benutzt. Dann wurde Corona-Anleihe zum Reizwort. Deutschland, Niederlande, Finnland und Österreich machten klar, dass sie eine gemeinsame Haftung aller EU-Mitgliedstaaten für Staatsschulden auf keinen Fall mitmachen würden. Und plötzlich tilgten die erklärten Anhänger dieses Instruments den Begriff aus dem Sprachgebrauch.
So war es auch, als die Finanzminister der EU-Mitgliedsländer nach dem missglückten ersten Anlauf sich jetzt zum zweiten Mal binnen weniger Tage per Video-Schalte austauschten, um sich auf Instrumente gegen die Rezession zu einigen.
Diesmal war die Runde der Finanzminister besser vorbereitet worden. Die Staatssekretäre hatten unentwegt verhandelt, seitdem es unter den Staats- und Regierungschefs kräftig gekracht hatte und diese den Arbeitsauftrag wieder zurück gegeben hatten an die Finanzminister. Das Ergebnis der Verhandlungen stand bei Redaktionsschluss noch aus, doch schon vorab war klar, wie Schnittmengen aussehen würden. Denn Finanzminister Olaf Scholz hatte vorab Instrumente skizziert, über die es keinen Streit geben sollte.
Erstens: Die Europäische Investitionsbank (EIB) soll ein zusätzliches Kreditprogramm für kleine und mittlere Unternehmen auflegen. Damit die EIB, geleitet von Ex-FDP-Politiker Werner Hoyer, das Programm stemmen kann, braucht sie zusätzliche Garantien der Mitgliedstaaten. „Darüber sollten wir uns heute verständigen“, beschwor Scholz seine Kollegen. In Brüssel heißt es, es könne 200 Milliarden Euro umfassen.
Zweitens: Scholz erwähnte den bestehenden Euro-Rettungsschirm mit der Abkürzung „ESM“(Europäischer Stabilitätsmechanismus). Dieser ist in der letzten Schuldenkrise geschaffen worden, um Staaten zu unterstützen, die an den Finanzmärkten Probleme mit der Kreditaufnahme hatten. Griechenland, Zypern, Spanien und Portugal haben damals Milliarden aus dem ESM bekommen, mussten sich aber wirtschaftspolitisch einer Rosskur unterziehen. Die in Griechenland so verhassten
Kontrolleure der so genannten Troika soll es laut Scholz diesmal aber nicht geben. „Es geht nicht darum, ein volkswirtschaftliches Restrukturierungsprogramm sicherzustellen.“Vielmehr wolle man Hilfe leisten, damit die Staaten mit den wirtschaftlichen Folgen der Krise klarkommen. Scholz nennt ein Volumen: Bis zu zwei Prozent der Wirtschaftsleistung könne jedem Land an Krediten zugänglich gemacht werden. Im ESM stehen Kreditlinien von 410 Milliarden Euro zur Verfügung. Nach dem bisherigen Konzept könnten 250 Milliarden davon jetzt umgewidmet werden für die „Corona-Nothilfe“.
Drittens: Das Instrument, mit dem Deutschland in der Finanzkrise viele qualifizierte Arbeitsplätze gerettet hat, soll auf ganz Europa ausgerollt werden – das Kurzarbeitergeld. 100 Milliarden Euro könnte Mitgliedstaaten dafür zur Verfügung gestellt werden. Da die EU keine Schulden aufnehmen darf, müssten die Mitgliedstaaten 25 Milliarden Euro als Sicherheiten für entsprechende Kredite
zur Verfügung stellen.
Keine Rede ist bei Scholz von den „Corona-Anleihen“. Auch nicht bei Portugals Finanzminister Mario Centeno, der das Treffen leitet und sich zuvor so vehement für die gemeinsamen Schuldtitel eingesetzt hatte. Doch die Corona-Anleihen bleiben auf dem Tisch. Unausgesprochen. Das Lager um Italien, Frankreich und Spanien will zumindest durchsetzen, dass eine gesamtschuldnerische Kreditaufnahme später kommt. Wann? Wenn es darum geht, die darniederliegende Wirtschaft wiederaufzubauen. Scholz weiß: Eine Einigung auf die drei zuvor genannten Instrumente wird es nur geben, wenn Italien und Co. zumindest eine vage Perspektive haben, nach der akuten Pandemie der gemeinsamen Schuldenaufnahme näher zu kommen.