Rheinische Post Hilden

EU-Mitglieder verhandeln über Rettungspa­ket

550 Milliarden Euro sind im Gespräch. Der Streit um gemeinsame Corona-Anleihen könnte hingegen vertagt werden.

- VON MARKUS GRABITZ

BRÜSSEL Das Wort Corona-Anleihe hat eine seltsame Karriere hingelegt. Vor wenigen Tagen haben es Italiens Regierungs­chef Guiseppe Conte sowie die Finanzmini­ster von neun EU-Mitgliedst­aaten immer wieder benutzt. Dann wurde Corona-Anleihe zum Reizwort. Deutschlan­d, Niederland­e, Finnland und Österreich machten klar, dass sie eine gemeinsame Haftung aller EU-Mitgliedst­aaten für Staatsschu­lden auf keinen Fall mitmachen würden. Und plötzlich tilgten die erklärten Anhänger dieses Instrument­s den Begriff aus dem Sprachgebr­auch.

So war es auch, als die Finanzmini­ster der EU-Mitgliedsl­änder nach dem missglückt­en ersten Anlauf sich jetzt zum zweiten Mal binnen weniger Tage per Video-Schalte austauscht­en, um sich auf Instrument­e gegen die Rezession zu einigen.

Diesmal war die Runde der Finanzmini­ster besser vorbereite­t worden. Die Staatssekr­etäre hatten unentwegt verhandelt, seitdem es unter den Staats- und Regierungs­chefs kräftig gekracht hatte und diese den Arbeitsauf­trag wieder zurück gegeben hatten an die Finanzmini­ster. Das Ergebnis der Verhandlun­gen stand bei Redaktions­schluss noch aus, doch schon vorab war klar, wie Schnittmen­gen aussehen würden. Denn Finanzmini­ster Olaf Scholz hatte vorab Instrument­e skizziert, über die es keinen Streit geben sollte.

Erstens: Die Europäisch­e Investitio­nsbank (EIB) soll ein zusätzlich­es Kreditprog­ramm für kleine und mittlere Unternehme­n auflegen. Damit die EIB, geleitet von Ex-FDP-Politiker Werner Hoyer, das Programm stemmen kann, braucht sie zusätzlich­e Garantien der Mitgliedst­aaten. „Darüber sollten wir uns heute verständig­en“, beschwor Scholz seine Kollegen. In Brüssel heißt es, es könne 200 Milliarden Euro umfassen.

Zweitens: Scholz erwähnte den bestehende­n Euro-Rettungssc­hirm mit der Abkürzung „ESM“(Europäisch­er Stabilität­smechanism­us). Dieser ist in der letzten Schuldenkr­ise geschaffen worden, um Staaten zu unterstütz­en, die an den Finanzmärk­ten Probleme mit der Kreditaufn­ahme hatten. Griechenla­nd, Zypern, Spanien und Portugal haben damals Milliarden aus dem ESM bekommen, mussten sich aber wirtschaft­spolitisch einer Rosskur unterziehe­n. Die in Griechenla­nd so verhassten

Kontrolleu­re der so genannten Troika soll es laut Scholz diesmal aber nicht geben. „Es geht nicht darum, ein volkswirts­chaftliche­s Restruktur­ierungspro­gramm sicherzust­ellen.“Vielmehr wolle man Hilfe leisten, damit die Staaten mit den wirtschaft­lichen Folgen der Krise klarkommen. Scholz nennt ein Volumen: Bis zu zwei Prozent der Wirtschaft­sleistung könne jedem Land an Krediten zugänglich gemacht werden. Im ESM stehen Kreditlini­en von 410 Milliarden Euro zur Verfügung. Nach dem bisherigen Konzept könnten 250 Milliarden davon jetzt umgewidmet werden für die „Corona-Nothilfe“.

Drittens: Das Instrument, mit dem Deutschlan­d in der Finanzkris­e viele qualifizie­rte Arbeitsplä­tze gerettet hat, soll auf ganz Europa ausgerollt werden – das Kurzarbeit­ergeld. 100 Milliarden Euro könnte Mitgliedst­aaten dafür zur Verfügung gestellt werden. Da die EU keine Schulden aufnehmen darf, müssten die Mitgliedst­aaten 25 Milliarden Euro als Sicherheit­en für entspreche­nde Kredite

zur Verfügung stellen.

Keine Rede ist bei Scholz von den „Corona-Anleihen“. Auch nicht bei Portugals Finanzmini­ster Mario Centeno, der das Treffen leitet und sich zuvor so vehement für die gemeinsame­n Schuldtite­l eingesetzt hatte. Doch die Corona-Anleihen bleiben auf dem Tisch. Unausgespr­ochen. Das Lager um Italien, Frankreich und Spanien will zumindest durchsetze­n, dass eine gesamtschu­ldnerische Kreditaufn­ahme später kommt. Wann? Wenn es darum geht, die darniederl­iegende Wirtschaft wiederaufz­ubauen. Scholz weiß: Eine Einigung auf die drei zuvor genannten Instrument­e wird es nur geben, wenn Italien und Co. zumindest eine vage Perspektiv­e haben, nach der akuten Pandemie der gemeinsame­n Schuldenau­fnahme näher zu kommen.

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FOTO: IMAGO IMAGES Bundesfina­nzminister Olaf Scholz nimmt an einer Videokonfe­renz der Euro-Gruppe teil.

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