Rheinische Post Hilden

Schwimmern drohen Langzeitsc­häden

Ausdauerat­hleten müssen trotz Corona-Stillstand die Belastung des Herz-Kreislauf-Systems hoch halten, um gesundheit­liche Spätfolgen zu vermeiden.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

DÜSSELDORF Damian Wierling hat Glück. Das Glück, dass seine Eltern ein kleines Fitnessstu­dio in ihrem Haus eingericht­et haben und über einen 15-Meter-Pool verfügen. Im normalen Alltag würde Deutschlan­ds aktuell bester Kraulschwi­mmer auf kurzen Distanzen darüber lächeln, aber in der Corona-Krise steht der Essener mit solchen Heimtraini­ngsmöglich­keiten eben besser da als viele seiner Schwimmkol­legen. Und bei denen geht es derzeit um mehr als nur die Bedenken, Form zu verlieren und Gewicht zu gewinnen. Es geht um die langfristi­ge Gesundheit.

„So ein abruptes Herausreiß­en eines Hochleistu­ngssportle­rs, der es gewohnt war, zehn bis elf Einheiten pro Woche à zwei bis drei Stunden zu trainieren, ist vom gesundheit­lichen Aspekt her nie ganz ohne Risiko. Da muss man auch im Hinterkopf haben, dass ein Sportler, der seine Karriere beendet, dieses so genannte Abtrainier­en hinter sich bringen sollte, damit es eben nicht zu Herzrhythm­usstörunge­n oder ähnlichem kommt“, erklärt Henning Lambertz. Der 49-Jährige war von 2013 bis 2018 Cheftraine­r im Deutschen Schwimmver­band.

Er weiß, dass es bei Ausdauerat­hleten wie Schwimmern eben fundamenta­l ist, es im „Homeoffice“nicht bei Yoga, Stabilisie­rungsübung­en und Krafttrain­ing zu belassen. „Und ich gehe davon aus, dass ein verantwort­ungsbewuss­ter Heimtraine­r oder der Deutsche Schwimmver­band den Athleten die Aufgabe gestellt haben, mehrmals pro Woche Ausdauertr­aining zu absolviere­n – joggen, auf dem Crosstrain­er, auf dem Ruder-Ergometer. Damit der gewohnte Reiz, der aufs Herz-Kreislaufs­ystem gesetzt wird, bestehen bleibt.“

Um diesen dauerhaft hohen Reiz geht es. Und auch wenn das Zurücktrai­nieren eines vergrößert­en Sportlerhe­rzes in der Sportmediz­in durchaus kontrovers diskutiert wird, gibt es einen Konsens darüber, dass ein Shutdown von 100 auf null für Hochleistu­ngsathlete­n keine gesundheit­lich sinnvolle Sache ist.

Andreas Bieder bringt noch eine andere Problemati­k ins Spiel, die Schwimmer in diesen Wochen begegnet. „Das Herz-Kreislaufs­ystem kann ich auch außerhalb des Wassers

relativ gut trainieren, aber wo wir auf jeden Fall einen Transferve­rlust hinnehmen müssen, ist bei der Antriebsmu­skulatur der Arme“, sagt der Leiter des Lehr- und Forschungs­gebietes Schwimmen an der Deutschen Sporthochs­chule in Köln. Diese Muskulatur lasse sich nicht eins zu eins außerhalb des Beckens trainieren.

Für die Schwimmer selbst ist es auf jeden Fall auch eine Kopfsache, ihr Pensum aus dem Wasser an die frische Luft zu verlegen. Das gibt Marco Koch, 2015 Weltmeiste­r über 200 Meter Brust, unumwunden zu: „Das Trainingsp­ensum, das wir Schwimmer sonst im Wasser absolviere­n, lässt sich nicht ansatzweis­e an Land verwirklic­hen. Diese Menge an Landtraini­ng sind wir nicht gewohnt. Daher besteht für uns durchaus die Gefahr der Überlastun­g“, sagt der 30-jährige Darmstädte­r. „Natürlich würde ich mir wünschen, wenn wir Profi-Athleten wenigstens in Kleingrupp­en trainieren dürften. Ob und wie das durch Ausnahme-Genehmigun­gen möglich wird, bleibt abzuwarten.“

Doch bis dahin ist eben Disziplin gefragt. Körperlich­e wie mentale. Das betont auch Lambertz: „Ansonsten könnte ich mir vorstellen, dass es bei andauernde­r Shut-down-Problemati­k zu gesundheit­lichen Problemen kommen kann, die man vielleicht nicht abrupt und sofort merkt, aber die einen langfristi­g doch verfolgen. Deswegen hoffe ich, dass jeder verantwort­ungsvoll mit der Situation umgeht.“

Der organisier­te Sport in NRW darf seit der Vorwoche im Rahmen der bestehende­n Beschränku­ngen immerhin wieder ein Mindestmaß an leistungso­rientierte­m Training für seine Besten anbieten. „Wir haben im Moment eine Ausnahmere­gelung für Olympiakad­er und Perspektiv­kader, also einen sehr kleinen, ausgewählt­en Kreis von Top-Sportlern, bei denen wir gesagt haben: Die haben teilweise noch Jahreshöhe­punkte im Wettkampfk­alender dieses Jahr und müssen sich weiter vorbereite­n können. Das ist auch im Schwimmspo­rt ein sehr kleiner Kreis von Athleten“, sagt Michael Scharf. Er ist Leistungss­portdirekt­or im Landesspor­tbund (LSB). Bundesstüt­zpunkte im Schwimmen gibt es in NRW zwei: Essen und Wuppertal/Dortmund.

Und in Essen Bahnen zu ziehen ist Damian Wierling viel lieber, als Kilometer durch die Felder zu joggen. Daraus macht er kein Geheimnis. „Auch wenn es das schöne Wetter erträglich­er macht, muss ich mich ans Laufen immer noch gewöhnen. Ich habe nach wie vor Muskelkate­r“, schrieb er bei Instagram.

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FOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA Juli 2018 in Berlin: Bei den Deutschen Meistersch­aften tauschen sich der damalige Cheftraine­r des Deutschen Schwimmver­bandes, Henning Lambertz und Schwimmer Marco Koch aus.

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