Schwimmern drohen Langzeitschäden
Ausdauerathleten müssen trotz Corona-Stillstand die Belastung des Herz-Kreislauf-Systems hoch halten, um gesundheitliche Spätfolgen zu vermeiden.
DÜSSELDORF Damian Wierling hat Glück. Das Glück, dass seine Eltern ein kleines Fitnessstudio in ihrem Haus eingerichtet haben und über einen 15-Meter-Pool verfügen. Im normalen Alltag würde Deutschlands aktuell bester Kraulschwimmer auf kurzen Distanzen darüber lächeln, aber in der Corona-Krise steht der Essener mit solchen Heimtrainingsmöglichkeiten eben besser da als viele seiner Schwimmkollegen. Und bei denen geht es derzeit um mehr als nur die Bedenken, Form zu verlieren und Gewicht zu gewinnen. Es geht um die langfristige Gesundheit.
„So ein abruptes Herausreißen eines Hochleistungssportlers, der es gewohnt war, zehn bis elf Einheiten pro Woche à zwei bis drei Stunden zu trainieren, ist vom gesundheitlichen Aspekt her nie ganz ohne Risiko. Da muss man auch im Hinterkopf haben, dass ein Sportler, der seine Karriere beendet, dieses so genannte Abtrainieren hinter sich bringen sollte, damit es eben nicht zu Herzrhythmusstörungen oder ähnlichem kommt“, erklärt Henning Lambertz. Der 49-Jährige war von 2013 bis 2018 Cheftrainer im Deutschen Schwimmverband.
Er weiß, dass es bei Ausdauerathleten wie Schwimmern eben fundamental ist, es im „Homeoffice“nicht bei Yoga, Stabilisierungsübungen und Krafttraining zu belassen. „Und ich gehe davon aus, dass ein verantwortungsbewusster Heimtrainer oder der Deutsche Schwimmverband den Athleten die Aufgabe gestellt haben, mehrmals pro Woche Ausdauertraining zu absolvieren – joggen, auf dem Crosstrainer, auf dem Ruder-Ergometer. Damit der gewohnte Reiz, der aufs Herz-Kreislaufsystem gesetzt wird, bestehen bleibt.“
Um diesen dauerhaft hohen Reiz geht es. Und auch wenn das Zurücktrainieren eines vergrößerten Sportlerherzes in der Sportmedizin durchaus kontrovers diskutiert wird, gibt es einen Konsens darüber, dass ein Shutdown von 100 auf null für Hochleistungsathleten keine gesundheitlich sinnvolle Sache ist.
Andreas Bieder bringt noch eine andere Problematik ins Spiel, die Schwimmer in diesen Wochen begegnet. „Das Herz-Kreislaufsystem kann ich auch außerhalb des Wassers
relativ gut trainieren, aber wo wir auf jeden Fall einen Transferverlust hinnehmen müssen, ist bei der Antriebsmuskulatur der Arme“, sagt der Leiter des Lehr- und Forschungsgebietes Schwimmen an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Diese Muskulatur lasse sich nicht eins zu eins außerhalb des Beckens trainieren.
Für die Schwimmer selbst ist es auf jeden Fall auch eine Kopfsache, ihr Pensum aus dem Wasser an die frische Luft zu verlegen. Das gibt Marco Koch, 2015 Weltmeister über 200 Meter Brust, unumwunden zu: „Das Trainingspensum, das wir Schwimmer sonst im Wasser absolvieren, lässt sich nicht ansatzweise an Land verwirklichen. Diese Menge an Landtraining sind wir nicht gewohnt. Daher besteht für uns durchaus die Gefahr der Überlastung“, sagt der 30-jährige Darmstädter. „Natürlich würde ich mir wünschen, wenn wir Profi-Athleten wenigstens in Kleingruppen trainieren dürften. Ob und wie das durch Ausnahme-Genehmigungen möglich wird, bleibt abzuwarten.“
Doch bis dahin ist eben Disziplin gefragt. Körperliche wie mentale. Das betont auch Lambertz: „Ansonsten könnte ich mir vorstellen, dass es bei andauernder Shut-down-Problematik zu gesundheitlichen Problemen kommen kann, die man vielleicht nicht abrupt und sofort merkt, aber die einen langfristig doch verfolgen. Deswegen hoffe ich, dass jeder verantwortungsvoll mit der Situation umgeht.“
Der organisierte Sport in NRW darf seit der Vorwoche im Rahmen der bestehenden Beschränkungen immerhin wieder ein Mindestmaß an leistungsorientiertem Training für seine Besten anbieten. „Wir haben im Moment eine Ausnahmeregelung für Olympiakader und Perspektivkader, also einen sehr kleinen, ausgewählten Kreis von Top-Sportlern, bei denen wir gesagt haben: Die haben teilweise noch Jahreshöhepunkte im Wettkampfkalender dieses Jahr und müssen sich weiter vorbereiten können. Das ist auch im Schwimmsport ein sehr kleiner Kreis von Athleten“, sagt Michael Scharf. Er ist Leistungssportdirektor im Landessportbund (LSB). Bundesstützpunkte im Schwimmen gibt es in NRW zwei: Essen und Wuppertal/Dortmund.
Und in Essen Bahnen zu ziehen ist Damian Wierling viel lieber, als Kilometer durch die Felder zu joggen. Daraus macht er kein Geheimnis. „Auch wenn es das schöne Wetter erträglicher macht, muss ich mich ans Laufen immer noch gewöhnen. Ich habe nach wie vor Muskelkater“, schrieb er bei Instagram.