Haben die Chance, aus der Krise zu lernen
Die Präsidenten von Handwerkskammer und IHK und die Regierungspräsidentin sprechen über die Soforthilfen für kleine und mittlere Unternehmen und Freiberufler.
Wie viele Unternehmen aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf haben bisher die Soforthilfe beantragt? BIRGITTA RADERMACHER Bei uns sind bisher rund 140.000 Anträge eingegangen, knapp 130.000 davon haben wir genehmigt, etwa 5000 sind noch zu klären. Bei der Prüfung geht es oft um Sachverhalte wie etwa versehentliche Doppel-Anträge, wenn das System dem Ansturm nicht gewachsen war und jemand zweimal geklickt hat. Einige wenige müssen wir uns aber genauer ansehen – das machen meine erfahrenen Mitarbeiter aus der Förder-Abteilung. Sie schauen auch, wo es Fälle von versuchtem Subventionsbetrug gibt. Oder ob eine Firma nur gegründet worden ist, um die Gelder zu bekommen. ANDREAS EHLERT Bis zu ein Viertel unserer Betriebe dürfte die Hilfen beantragt haben. Das Handwerk ist besonders getroffen, weil viele Betriebe kaum mehr als fünf Mitarbeiter haben. Sie und viele Solo-Selbständige haben von der Hilfe profitiert, und sie brauchten sie auch, weil ihnen Umsätze weggebrochen sind, die nicht nachholbar sind. Viele bewegte Rückmeldungen an uns zeigen, dass die Politik in Bund und Land schnell und konsequent gehandelt hat. Hier wird mit einem Verantwortungssinn gearbeitet, der mich tief beeindruckt hat. ANDREAS SCHMITZ Ich kann mich dem Lob uneingeschränkt anschließen. Auch bei uns ist es sehr gut angekommen, wie schnell und unbürokratisch gearbeitet wurde. Mit Sicherheit ist auch eine große Anzahl der Betriebe in der IHK betroffen, denn auch zu unseren Mitgliedern gehören viele kleine und mittlere Unternehmen. Das konnten wir schon an den vielen Anfragen an unseren Hotlines ablesen.
Die Hotlines waren sehr gefragt. RADERMACHER Die Zusammenarbeit mit den Kammern hat in diesem Punkt hervorragend funktioniert. Sie haben die Beratungsfunktion übernommen. Das hat uns entlastet und wurde zudem mit viel Sachverstand erledigt. EHLERT 20 bis 30 Mitarbeiter haben bei uns in mehreren Schichten die Betriebe beraten. An den entscheidenden Tagen wurden 6000 Beratungen durchgeführt.
Und wie haben Sie die riesige Menge an Anträgen bewältigt, Frau Radermacher?
RADERMACHER Es haben sich rund 350 Leute aus unserem Haus freiwillig gemeldet, die unter Anleitung meiner Förder-Abteilung geholfen haben. Immerhin sind unsere Gehälter auch in der Krise fest, die der Solo-Selbständigen aber nicht. Da war die Hilfsbereitschaft groß. Wir hatten an dem ersten Wochenende täglich 150 Mitarbeiter im Einsatz. Was jetzt noch aussteht, machen allein die rund 80 Mitarbeiter aus dem Förder-Dezernat. Zu klärende Fälle werden jetzt dort gründlich geprüft und abgearbeitet.
Wie erleben Sie insgesamt die aktuelle Situation?
EHLERT Wir stecken in der schwersten Wirtschaftskrise, die unser Land überhaupt erlebt hat. Nachdem wir nun diesen mächtigen Tropfen auf den heißen Stein gegeben haben, müssen wir schauen, wie wir nach vorne gehen, damit wir das Wirtschaftsleben wieder so in Gang setzen können, wie es nötig ist. SCHMITZ Die aktuelle Lage ist schwieriger als die Euro-Krise 2008/2009, sie knüpft eher an 1929 an. Und sie wird nicht einfach irgendwann enden wie ein Vulkanausbruch, sondern ihre zerstörerische Wirkung an vielen Stellen fortsetzen, an die wir noch gar nicht denken. Allerdings sollten wir uns auch gewiss sein, dass der Staat bei der Suche nach Hilfe nicht überfordert werden darf – damit der Retter nicht irgendwann selbst in Not gerät. Irgendwann muss die Wirtschaft wieder anspringen.
Ist schon die Zeit da, über eine Exit-Strategie zu reden?
SCHMITZ Den Punkt, wann genau man mit der Lockerung der Maßnahmen beginnen kann, muss natürlich der Bund vorgeben. Mir ist es wichtig, dass dann versucht wird, alles komplett einheitlich zu regeln, beispielsweise über den Städteund Gemeindebund. Damit nicht zusätzliche Diskussionen darüber beginnen, warum manche Dinge in der einen Stadt möglich sind, in der anderen aber noch nicht. Von daher gerne so schnell, wie es vernünftig möglich ist, aber auch so einheitlich wie möglich
RADERMACHER Zeitweise gab es beispielsweise in den Niederlanden noch die geöffneten Blumenläden und bei uns die geöffneten Baumärkte – und in der Folge eine heftige Pendelei über die Grenze. Das zeigt, wozu unterschiedliche Regelungen führen. Ich glaube übrigens nicht, dass wir die ersten Lockerungen schon im April erfahren dürfen – auch wenn ich natürlich keine Glaskugel habe. EHLERT Nach wie vor hat Gesundheit oberste Priorität. Je konsequenter wir jetzt die Regelungen befolgen, desto früher sind Lockerungen möglich. Im Hintergrund überlegen und prüfen wir aber natürlich schon, unter welchen Regeln und Vorsichtsmaßnahmen man kleine Schritte in Richtung Normalität gehen kann. In anderen Ländern dürfen beispielsweise Fahrradhändler oder Augenoptiker generell geöffnet sein. Das wären Dinge, über die man auch in NRW nachdenken kann.
Welchen Branchen geht es aktuell noch gut?
SCHMITZ Nahezu jedes Unternehmen ist von der Krise betroffen oder wird es in irgendeiner Form sein. Manche trifft es besonders hart. Man denke nur an den Einzelhandel, der in weiten Teilen schließen musste. Der Textileinzelhandel hat viel Ware in den Lägern – wenn das noch länger dauert, ist die Saison gelaufen. Oder die Gastronomie und Hotellerie: Wo viele Menschen zusammenkommen, ist die Gefahr einer Wiederansteckung besonders groß, so dass es dort sicher besondere Maßnahmen geben muss, um das wieder ins Laufen zu bekommen. EHLERT Die baunahen Handwerke – Dachdecker, Maurer, Installateure – arbeiten zwar noch, aber viele Aufträge werden zurückgezogen. Vor der Krise hatten die Betriebe Auftragsreichweiten von bis zu drei Monaten, davon zehren sie. Bei einer zweiten Welle kann das aber schnell anders aussehen. Insofern würde ich mir wünschen, dass gerade die Öffentliche Hand jetzt Aufträge an das Handwerk vergibt. Nichts lässt sich einfacher sanieren als Straßen, auf denen kaum ein Auto fährt, oder Schulen, die geschlossen sind. Das wäre ein starkes Signal. Am Ende werden wir über kräftige Konjunkturimpulse reden müssen – vielleicht auch über eine Senkung der Einkommenssteuer oder der Mehrwertsteuer. Wir müssen schauen, dass die Menschen wieder investieren und andere dadurch Arbeit haben.
Gibt es denn keine Branche, die gut läuft – außer den Toilettenpapierherstellern?
SCHMITZ Bei einer IHK-Umfrage war der Tenor vieler Branchen, dass es im April noch gerade so geht – wenn die Lage aber anhält, wird es schwierig. Die wenigen Branchen, denen es gerade wirklich gut geht, sind der große Lebensmitteleinzelhandel und alles, was mit Medizintechnik zu tun hat. Aber die Konsumzurückhaltung macht uns Sorgen, sie wird viele treffen. Dieses Problem wird nicht nur mit Liquiditätshilfen zu beheben sein – aber Ideenreichtum und Flexibiität sind ja ein wunderbares Merkmal der deutschen Industrie, das nicht unterschätzt werden sollte.
Welche Schlüsse werden wir aus der Krise mitnehmen? RADERMACHER Erstens wird die Abhängigkeit von anderen Ländern bei den Lieferketten deutlich. Die Menschen merken, dass deutsche und europäische Ware eine Qualität hat, die man nicht so einfach bekommt – gerade im Vergleich mit den Angeboten für Hilfsmaterialien aus Drittländern. Nicht umsonst wurden nordrhein-westfälische
Unternehmen gebeten, ihre Produktion jetzt umzustellen, und viele tun das ja auch. Und es wird künftig bei den Krankenhäusern ein anderes Vorratsdenken herrschen, und kein Verwalter wird sagen: Das ist aber unwirtschaftlich. EHLERT Wir haben eine große Chance, aus der Krise zu lernen. Welche Bürokratie hat sich als hinderlich oder überflüssig erwiesen? Wie kann Arbeit weiter flexibilisiert werden? Damit haben wir ja nun bereits begonnen. SCHMITZ Was gerade passiert, stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl und zeigt, dass unser Staat schnell und konsequent handeln kann, wenn es nötig sind. Etwas Sorgen macht mir das Thema Europa, denn das Zusammenwirken in der EU und innerhalb der Währungsunion ist sehr wichtig. Wir als Deutsche müssen unseren Teil dazu beitragen, dass Europa erhalten bleibt. Dann folgt auf Regen hoffentlich Sonnenschein. Wir haben die Stärke, eine solche Krise solidarisch durchzustehen.