Corona-Experte Drosten kritisiert Heinsberg-Studie
Der Bonner Virologe Hendrik Streeck legt erste Ergebnisse seiner Untersuchung aus dem Landkreis vor. Sein Berliner Kollege hält davon wenig.
DÜSSELDORF Die gesamte Republik wartet derzeit auf Nachrichten aus Heinsberg. Dort kam es zum ersten großen Ausbruch des neuen Coronavirus. Und dort erforscht ein Team um den Bonner Virologen Hendrik Streeck, wie die Infektionsketten aussahen und wie hoch die „Durchseuchung“in der kleinen Gemeinde Gangelt ist. Streeck stellte am Donnerstag im Landtag erste Zwischenergebnisse seiner Feldstudie vor.
Die Infektionsrate in der bisher gezogenen repräsentativen Stichprobe liege bei 15 Prozent, sagte er. Das bedeutet, dass 15 Prozent der Einwohner eine Infektion bereits durchgemacht haben oder derzeit infiziert sind. Sie seien nach bisherigen Schätzungen für sechs bis 18 Monate immun, sagte Streeck. Anhand der bereits verfügbaren Tests war dieser Wert bisher nur auf fünf Prozent geschätzt worden. Damit sei der Prozess bis zum Erreichen einer Herdenimmunität bereits eingeleitet.
Das Forscherteam machte auch Angaben zur Sterblichkeit der Viruskrankheit. Diese liege in der Gemeinde Gangelt bei 0,37 Prozent. Die in Deutschland derzeit von der
Johns-Hopkins-Universität berechnete Sterblichkeitsrate beträgt 1,98 Prozent. In den „Heinsberg-Protokollen“heißt es dazu: „Die von der Johns-Hopkins-Universität berechnete fünffach höhere Letalität im Vergleich zu dieser Studie in Gangelt erklärt sich aus der unterschiedlichen Bezugsgröße der Infizierten. In Gangelt werden mit dieser Studie alle Infizierten erfasst, auch diejenigen mit asymptomatischen und milden Verläufen.“In Gangelt wurden also deutlich mehr Menschen (positiv) getestet als im Rest Deutschlands. Die Zahlen lassen sich damit nicht auf die Bundesrepublik übertragen.
Der Berliner Virologe Christian Drosten kritisierte die Präsentation der Ergebnisse. „Ich kann daraus überhaupt nichts ableiten“, sagte er während eines Online-Seminars des Kölner Science Media Center. Drosten merkte an, das derlei Daten üblicherweise zuerst in einem wissenschaftlichen Manuskript zusammengefasst würden, bevor man damit an die breite Öffentlichkeit und auch an die Politik gehe. Zudem sei unklar, inwieweit der von Streeck verwendete Antikörpertest tatsächlich eine Immunität auf dieses neue Coronavirus nachweisen könne. Im ZDF sagte Drosten später: „Diese
Labortests haben eine hohe Rate an falsch positiven Signalen, rein technisch.“Die Tests schlagen auch bei herkömmlichen, saisonalen Coronaviren an, die für rund ein Drittel aller Erkältungskrankheiten verantwortlich sind. Streeck verwies auf die vom Testhersteller angegebene Spezifität. Sie liege bei 99 Prozent. Das heißt, dass nur in rund einem Prozent der Fälle der Test falsch anschlägt.
Kritik gibt es auch wegen der Einschaltung der PR-Agentur Storymachine, hinter der unter anderem der PR-Manager Michael Mronz steht. Die Landesregierung, die die Studie mit 65.000 Euro unterstützt, erklärte auf eine Anfrage der SPD, ihr lägen keine eigenen Erkenntnisse zum Engagement von Storymachine vor. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Sarah Philipps, sagte: „Hier fließen öffentliche Gelder in ein öffentliches Projekt. Da kann es keine Privatentscheidung von Professor Streeck und Herrn Mronz sein, wer die Öffentlichkeitsarbeit und PR-Vermarktung dazu macht.“Sie sprach von einem unlauteren Wettbewerbsvorteil für Storymachine. Die Agentur könne auf ein Referenzprojekt verweisen, das bestimmt auch Konkurrenten von Storymachine gerne gehabt hätten.