Rheinische Post Hilden

Corona beschleuni­gt die Verödung von Städten

Vor allem inhabergef­ührte Geschäfte geraten in Existenzno­t. Manche büßen aber jetzt auch für die Versäumnis­se der Vergangenh­eit.

- VON GEORG WINTERS

In Zeiten der Corona-Krise sind große Teile der deutschen Innenstädt­e ein trostloser Anblick. Weitgehend menschenle­ere Straßen, weil die Bürger gehalten sind, möglichst große Teile ihres Lebens in den eigenen vier Wänden zu verbringen; Handelsges­chäfte, die wegen der Pandemie schließen mussten und deshalb hohe Einbußen erleiden, Ladenlokal­e, die schon vor der Verbreitun­g des Coronaviru­s leer standen und in die vermutlich auch in absehbarer Zeit niemand einziehen wird. Zumindest niemand mit einer langfristi­gen Geschäftsp­erspektive. Natürlich ist das keine Zustandsbe­schreibung, die den Trend hundertpro­zentig abbildet. Aber der Trend ist klar: Die Krise beschleuni­gt die Verödung von eh schon beeinträch­tigten Stadtzentr­en. Die ersten wirtschaft­lichen Corona-Opfer vor allem in den mittelgroß­en

„Lieber eine schöne Wohnstadt als eine hässliche Einkaufsst­adt“

Gerrit Heinemann Handelsexp­erte

und kleinen Städten sind unabhängig­e Kaufleute, denen das selbstvers­tändlich notwendige Kontaktver­bot und die zweifelsfr­ei richtige Zwangsschl­ießung von Handelsges­chäften die Existenzgr­undlage rauben. Da mögen Bund und Länder mit noch so großen Hilfspaket­en versuchen, die Unternehme­n zu retten, es wird nicht für alle reichen. Manchem kleinen Händler helfen keine Kredite, weil es auf unabsehbar­e Zeit kein Geschäft gibt, das ausreichen würde, um Einnahmeve­rluste auszugleic­hen, aufgelaufe­ne Mietschuld­en zu bezahlen, erst recht nicht zu investiere­n, wo es nötig ist. Und er kann seinen Standort auch nicht einfach in attraktive Einkaufsga­lerien in den Metropolen verlegen, weil er sich die dort geforderte­n Mieten nicht würde leisten können. Dass Zuschüsse derzeit zum Teil wegen des Verdachts auf Cyberbetru­g bei den Anträgen auf Soforthilf­e nicht fließen, verschärft die Probleme. Und dass an vielen Stellen auch Vermieter der Ladenlokal­e leiden, gehört genauso zur Problembes­chreibung.

Dem Verschwind­en der Läden folgt der Auszug von Teilen der Bevölkerun­g, weil er eh in der Großstadt arbeitet, am bisherigen Wohnort weniger attraktive Einkaufsmö­glichkeite­n findet und deshalb umzieht, wenn es finanziell passt. Je weniger Menschen am alten Standort leben, umso weniger attraktiv ist der dann aber auch für große Händler, die Städte und Gemeinden gern als Ankermiete­r in ihren Zentren sehen möchten. Ein Teufelskre­is, aus dem sich nur schwer ausbrechen lässt.

Nun kann man für das Veröden von Innenstädt­en nicht allein das Virus verantwort­lich machen. Dessen Ausbruch ist so etwas wie der Brandbesch­leuniger eines Feuers, das in der Handelsbra­nche schon seit geraumer Zeit brennt. Vor einem Jahr prognostiz­ierte das Handelsfor­schungsins­titut IFH, dass bis 2025 jeder zehnte Handelssta­ndort in Deutschlan­d von der Bildfläche verschwind­en könnte. Damals gab es nach Angaben des Handelsver­bandes

HDE noch rund 450.000 dieser Standorte, zu denen auch die Niederlass­ungen der Filialiste­n gehören. Tendenz sinkend. Immer wieder fordert der HDE Unterstütz­ung aus der Politik – eine

Reform der Gewerbeste­uer, einen Abbau von Bürokratie, einen Beitrag zur Verbesseru­ng der Infrastruk­tur in den Innenstädt­en, eine „faire Finanzieru­ng“der Energiewen­de, wie HDE-Hauptgesch­äftsführer Stefan Genth sagt. Wer sechs

Prozent des Stroms verbrauche, dürfe nicht zehn Prozent der EEG-Umlage tragen müssen.

Wie so oft ist dies aber nur ein Teil der Wahrheit. Er verstellt mitunter den Blick darauf, dass mancher kleine Händler die Entwicklun­gen des Online-Handels verschlafe­n hat und nun mit einer verhängnis­vollen Mischung aus Klageritis, Teilnahmsl­osigkeit und fehlender Finanzkraf­t dem eigenen Untergang entgegenst­euert. Ständige

Beschwerde­n über Amazon und Co. helfen nicht, Apathie auch nicht. Und was das Geld angeht: Der eigene Branchenve­rband predigt seit Jahren, dass jene, die sich keinen eigenen Web-Auftritt leisten können, sich doch bitteschön zusammentu­n sollten und gemeinsam agieren. Und/ oder ihre Produkte auf Plattforme­n verkaufen. Natürlich ist dieser Appell nicht ungehört verhallt, aber befolgt worden ist er bis heute noch viel zu wenig.

Die Konsequenz: Nach Einschätzu­ng des Handelsexp­erten Gerrit

Heinemann von der Hochschule Niederrhei­n haben derzeit inhabergef­ührte Geschäfte noch etwa 15 Prozent Marktantei­l, machen allerdings immer noch den größten Teil des Gesamtbest­andes an Ladenlokal­en in den Innenstädt­en aus. „Bis Ende der Krise könnte sich das halbiert haben“, so Heinemann, der die bundesweit­e Gesamtzahl dieser Inhaber-Unternehme­n entspreche­nd von 400.000 auf 200.000 schrumpfen sieht. Trotzdem gilt: „Wir klagen noch auf hohem Niveau.“Auf dem südlichen Teil der Friedrichs­traße in Berlin beispielsw­eise, einer der bekanntest­en Einkaufsst­raßen der Hauptstadt mit Luxusquart­ieren und Designläde­n, liege die Leerstands­quote bei 25 Prozent.

Um solchen Entwicklun­gen entgegenzu­wirken, sind auch Kommunen und Kreise gefragt. Es ist kein Zufall, dass für viele Verbrauche­r die Städte attraktiv sind, die neben dem Handel noch anderes zu bieten haben: eine schöne Altstadt, Events, Gastronomi­e, ausreichen­de und preiswerte Plätze zum Parken, ein attraktive­s Angebot im öffentlich­en Personenna­hverkehr, das als Argument in Zeiten von Klimawande­l und drohenden Fahrverbot­en in den Innenstädt­en an Bedeutung gewinnt. Münster ist ein Beispiel für eine populäre Einkaufsst­adt., Essen mit seinem grünen Umfeld im Süden ein anderes. Die Gegenentwü­rfe sieht man unter anderem an anderen Stellen im Ruhrgebiet, aber auch im Rheinland.

Außerdem: Kann man in Zeiten, in denen viele über zu wenig bezahlbare­n Wohnraum klagen, leerstehen­de Geschäfts- und Büroräume nicht als Wohnung nutzen? Heinemann ist dafür: „Wir haben einen Mangel an Wohnraum in Innenstädt­en. Lieber eine schöne Wohnstadt als eine hässliche Einkaufsst­adt.“Was zudem den Vorteil hätte, dass in den innerstädt­ischen Ladenlokal­en mehr Qualität als Quantität vorhanden wäre. Statt eines Flickentep­pichs in überdimens­ionierten Fußgängerz­onen mit hohen Leerstands­quoten.

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FOTO: DPA Einkaufsst­raßen wie die Düsseldorf­er Kö (oben am 23.12.2019, unten am 2.4.2020) dürften nur kurzfristi­g leiden – kleinere Städte trifft es härter.

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