Corona beschleunigt die Verödung von Städten
Vor allem inhabergeführte Geschäfte geraten in Existenznot. Manche büßen aber jetzt auch für die Versäumnisse der Vergangenheit.
In Zeiten der Corona-Krise sind große Teile der deutschen Innenstädte ein trostloser Anblick. Weitgehend menschenleere Straßen, weil die Bürger gehalten sind, möglichst große Teile ihres Lebens in den eigenen vier Wänden zu verbringen; Handelsgeschäfte, die wegen der Pandemie schließen mussten und deshalb hohe Einbußen erleiden, Ladenlokale, die schon vor der Verbreitung des Coronavirus leer standen und in die vermutlich auch in absehbarer Zeit niemand einziehen wird. Zumindest niemand mit einer langfristigen Geschäftsperspektive. Natürlich ist das keine Zustandsbeschreibung, die den Trend hundertprozentig abbildet. Aber der Trend ist klar: Die Krise beschleunigt die Verödung von eh schon beeinträchtigten Stadtzentren. Die ersten wirtschaftlichen Corona-Opfer vor allem in den mittelgroßen
„Lieber eine schöne Wohnstadt als eine hässliche Einkaufsstadt“
Gerrit Heinemann Handelsexperte
und kleinen Städten sind unabhängige Kaufleute, denen das selbstverständlich notwendige Kontaktverbot und die zweifelsfrei richtige Zwangsschließung von Handelsgeschäften die Existenzgrundlage rauben. Da mögen Bund und Länder mit noch so großen Hilfspaketen versuchen, die Unternehmen zu retten, es wird nicht für alle reichen. Manchem kleinen Händler helfen keine Kredite, weil es auf unabsehbare Zeit kein Geschäft gibt, das ausreichen würde, um Einnahmeverluste auszugleichen, aufgelaufene Mietschulden zu bezahlen, erst recht nicht zu investieren, wo es nötig ist. Und er kann seinen Standort auch nicht einfach in attraktive Einkaufsgalerien in den Metropolen verlegen, weil er sich die dort geforderten Mieten nicht würde leisten können. Dass Zuschüsse derzeit zum Teil wegen des Verdachts auf Cyberbetrug bei den Anträgen auf Soforthilfe nicht fließen, verschärft die Probleme. Und dass an vielen Stellen auch Vermieter der Ladenlokale leiden, gehört genauso zur Problembeschreibung.
Dem Verschwinden der Läden folgt der Auszug von Teilen der Bevölkerung, weil er eh in der Großstadt arbeitet, am bisherigen Wohnort weniger attraktive Einkaufsmöglichkeiten findet und deshalb umzieht, wenn es finanziell passt. Je weniger Menschen am alten Standort leben, umso weniger attraktiv ist der dann aber auch für große Händler, die Städte und Gemeinden gern als Ankermieter in ihren Zentren sehen möchten. Ein Teufelskreis, aus dem sich nur schwer ausbrechen lässt.
Nun kann man für das Veröden von Innenstädten nicht allein das Virus verantwortlich machen. Dessen Ausbruch ist so etwas wie der Brandbeschleuniger eines Feuers, das in der Handelsbranche schon seit geraumer Zeit brennt. Vor einem Jahr prognostizierte das Handelsforschungsinstitut IFH, dass bis 2025 jeder zehnte Handelsstandort in Deutschland von der Bildfläche verschwinden könnte. Damals gab es nach Angaben des Handelsverbandes
HDE noch rund 450.000 dieser Standorte, zu denen auch die Niederlassungen der Filialisten gehören. Tendenz sinkend. Immer wieder fordert der HDE Unterstützung aus der Politik – eine
Reform der Gewerbesteuer, einen Abbau von Bürokratie, einen Beitrag zur Verbesserung der Infrastruktur in den Innenstädten, eine „faire Finanzierung“der Energiewende, wie HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth sagt. Wer sechs
Prozent des Stroms verbrauche, dürfe nicht zehn Prozent der EEG-Umlage tragen müssen.
Wie so oft ist dies aber nur ein Teil der Wahrheit. Er verstellt mitunter den Blick darauf, dass mancher kleine Händler die Entwicklungen des Online-Handels verschlafen hat und nun mit einer verhängnisvollen Mischung aus Klageritis, Teilnahmslosigkeit und fehlender Finanzkraft dem eigenen Untergang entgegensteuert. Ständige
Beschwerden über Amazon und Co. helfen nicht, Apathie auch nicht. Und was das Geld angeht: Der eigene Branchenverband predigt seit Jahren, dass jene, die sich keinen eigenen Web-Auftritt leisten können, sich doch bitteschön zusammentun sollten und gemeinsam agieren. Und/ oder ihre Produkte auf Plattformen verkaufen. Natürlich ist dieser Appell nicht ungehört verhallt, aber befolgt worden ist er bis heute noch viel zu wenig.
Die Konsequenz: Nach Einschätzung des Handelsexperten Gerrit
Heinemann von der Hochschule Niederrhein haben derzeit inhabergeführte Geschäfte noch etwa 15 Prozent Marktanteil, machen allerdings immer noch den größten Teil des Gesamtbestandes an Ladenlokalen in den Innenstädten aus. „Bis Ende der Krise könnte sich das halbiert haben“, so Heinemann, der die bundesweite Gesamtzahl dieser Inhaber-Unternehmen entsprechend von 400.000 auf 200.000 schrumpfen sieht. Trotzdem gilt: „Wir klagen noch auf hohem Niveau.“Auf dem südlichen Teil der Friedrichstraße in Berlin beispielsweise, einer der bekanntesten Einkaufsstraßen der Hauptstadt mit Luxusquartieren und Designläden, liege die Leerstandsquote bei 25 Prozent.
Um solchen Entwicklungen entgegenzuwirken, sind auch Kommunen und Kreise gefragt. Es ist kein Zufall, dass für viele Verbraucher die Städte attraktiv sind, die neben dem Handel noch anderes zu bieten haben: eine schöne Altstadt, Events, Gastronomie, ausreichende und preiswerte Plätze zum Parken, ein attraktives Angebot im öffentlichen Personennahverkehr, das als Argument in Zeiten von Klimawandel und drohenden Fahrverboten in den Innenstädten an Bedeutung gewinnt. Münster ist ein Beispiel für eine populäre Einkaufsstadt., Essen mit seinem grünen Umfeld im Süden ein anderes. Die Gegenentwürfe sieht man unter anderem an anderen Stellen im Ruhrgebiet, aber auch im Rheinland.
Außerdem: Kann man in Zeiten, in denen viele über zu wenig bezahlbaren Wohnraum klagen, leerstehende Geschäfts- und Büroräume nicht als Wohnung nutzen? Heinemann ist dafür: „Wir haben einen Mangel an Wohnraum in Innenstädten. Lieber eine schöne Wohnstadt als eine hässliche Einkaufsstadt.“Was zudem den Vorteil hätte, dass in den innerstädtischen Ladenlokalen mehr Qualität als Quantität vorhanden wäre. Statt eines Flickenteppichs in überdimensionierten Fußgängerzonen mit hohen Leerstandsquoten.