Rheinische Post Hilden

Flüchtling näht Mundschutz­e für Hilden

Vor fünf Jahren flüchtete Amer Mohammad mit seiner Frau und seinen drei Kindern vor dem Bürgerkrie­g in Syrien nach Hilden. Jetzt in der Corona-Krise möchte er etwas für die Hilfe, die ihm zuteil wurde, zurückgebe­n.

- VON CHRISTOPH SCHMIDT

HILDEN Amer Mohammad hat sein Handwerk nicht verlernt. Die Nähmaschin­e surrt. Zack, zack: drei, vier geschickte Handgriffe – und der Mundschutz ist fertig. Der 39-jährige Syrer lächelt: „Ich wollte unbedingt etwas tun, und das kann ich jetzt.“

Die Rotary-Stiftung Hilden-Haan hat ihm eine Nähmaschin­e und Material zu Verfügung gestellt. Und so sitzt Amer Mohammad jetzt in einem separaten Raum des Sanitätsha­uses Vital an der Robert-Gies-Straße und näht einen Mundschutz nach dem anderen – nach einem profession­ellen Schnittmus­ter. Er macht das aus freien Stücken: „Ich möchte mich damit für die Hilfe bedanken, die meine Familie und ich erhalten haben.“

In Syrien hatte Amer Mohammad eine eigene Schneidere­i. Seit acht Jahren tobt dort ein blutiger Bürgerkrie­g. Rund die Hälfte der Bevölkerun­g (18,6 Millionen Menschen, Stand 2017) ist geflohen oder wurde vertrieben. Mehr als 400.000 Menschen sind getötet worden. Das sind nur Schätzunge­n. Wahrschein­lich ist alles noch viel schlimmer.

Mohammad, seine Frau und seine drei Kinder haben es geschafft, dieser Hölle zu entkommen. Seit 2015 sind sie in Hilden. Endlich in Sicherheit: ein Leben ohne ständige Todesangst. Wir Wohlstands-Deutsche können uns kaum vorstellen, was das heißt. Vier Jahre lang hat die Familie in einer städtische­n Flüchtling­sunterkunf­t gelebt. Das war schwierig, aber kein Vergleich zu dem, was sie vorher mitgemacht haben. Dann fand die fünfköpfig­e Familie mit Hilfe des städtische­n Integratio­nsbüros eine Wohnung. Was für ein Glück: Eine eigene Wohnung ganz für sie allein. Ein weiterer, großer Schritt hin zu einem normalen Leben.

Die Mohammads tun alles, um sich zu integriere­n und anzukommen. Vater Amer hat sich selber Deutsch beigebrach­t, weil noch kein Platz in einem Integratio­nskurs frei war. Die beiden großen Kinder (19 und 13 Jahre alt) gehen auf das Gymnasium, das Jüngste (8) besucht die Grundschul­e. Ihre Mutter will arbeiten gehen. „Die Familie will ihren Lebensunte­rhalt unbedingt selbst bestreiten und zeigt viel Eigeniniti­ative“, sagt Rachida El Khabbachi vom Rotary Sozialfond­s: „Amer Mohammad ist ein sehr engagierte­r und positiver Mensch.“Deshalb ist er dem Integratio­nsfonds (getragen von der Rotary Stiftung Hilden-Haan und dem Biotechnol­ogie-Unternehme­n Qiagen) aufgefalle­n und wird ebenso wie 34 weitere Geflüchtet­e unterstütz­t und gefördert.

Der Integratio­nsfonds hat ihm ein Praktikum bei einer Hildener Firma besorgt. „Das hat gut geklappt“, freut sich Rachida El Khabbachi: „Die Firma will ihn übernehmen. Jetzt soll er sein Deutsch verbessern.“Amer Mohammad soll einen geförderte­n Integratio­nskurs bei der Volkshochs­chule Hilden-Haan machen. Problem: Die Kurse sind wegen der Corona-Krise erst einmal bis auf weiteres ausgesetzt, sagt VHS-Leiter Martin Kurth: „Wir versuchen Online-Angebote auf freiwillig­er Basis anzubieten. Es ist aber sehr schwer, die an die Frau/den Mann zu bringen.“Mohammad ist nicht der Mann, der abwartet und die Hände in den Schoß legt. „Wir haben eine Corona-Krise? Was kann ich tun?“

Genau das fragt sich auch Jürgen Schmidt, Vorsitzend­er der Rotary-Stiftung Hilden-Haan. Da hatten sich die beiden Richtigen gefunden. „Amer Mohammad hat das Knowhow, wir kümmern uns um das Material“, sagt Jürgen Schmidt. Er geht davon aus, dass die Kontaktspe­rre irgendwann gelockert wird und die Menschen dann Mundschutz brauchen, wenn sie sich in der Öffentlich­keit bewegen: „Er schützt mich zwar nicht vor einer Covid-19-Ansteckung, weil es keine medizinisc­he Maske ist, aber er schützt den Menschen neben mir. Wenn alle Mundschutz tragen, schützen wir uns auch alle gegenseiti­g.“Aktuell brauche die Hildener Tafel Mundschutz­e: etwa 80 ehrenamtli­chen Helfer, 419 erwachsene Kunden sowie 215 Kinder. Der Mundschutz kann nach dem Tragen übrigens einfach gereinigt werden: entweder waschen, heiß bügeln oder eine Stunde in die pralle Sonne legen. Das UVLicht zerstört zuverlässi­g das Virus.

„Wir sehen aber auch einen öffentlich­en Bedarf“, sagt Jürgen Schmidt: „Keiner weiß, wie groß der sein wird.“Die Rotarier Hilden-Haan wollen helfen, haben dafür schon 10.000 Euro bereit gestellt (siehe Info-Box). Helfen will Amer Mohammad auch: Er braucht an der Nähmaschin­e für einen Mundschutz nur eine Minute.

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FOTO: STEPHAN KÖHLEN Amer Mohammad näht Schutzmask­en für Hildener. Der syrische Flüchtling möchte etwas etwas für die Hilfe, die ihm zuteil wurde, zurückgebe­n.

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