Corona kommt der Kämpferin für ein besseres Klima in die Quere
„Fridays for Future“hat vor der Krise die Regierungen wegen des Klimas unter Druck gesetzt. Nun plätschert die Welle vor sich hin. Luisa Neubauer kämpft weiter. Über eine junge Frau, die von den einen als Besserwisserin beschimpft, von den anderen als Iko
Ostern wäre für sie die perfekte Gelegenheit gewesen. Was die Friedensbewegung im Kalten Krieg war, ist „Fridays for Future“heute: Sie bringen Hundertausende Menschen zu friedlichen Demonstrationen auf die Straße. Das Jahr 2020 hatte für die von der schwedischen Jugendlichen Greta Thunberg initiierte Klimaschutzbewegung schon vielversprechend begonnen. Die Forderung an die Regierungen dieser Welt, die Klimaziele einzuhalten und für die Senkung des Kohlendioxidausstoßes zu sorgen, beherrschte die Schlagzeilen. Die grausame Realität mit vernichtenden Bränden in Australien ließ die Kritiker leiser treten. Jetzt hätten eindrucksvolle Ostermärsche den Druck auf die Politik erhöhen können.
In Deutschland stach mit eindringlichen Appellen schon früh Luisa Neubauer hervor, eine junge Hamburgerin mit langen braunen Haaren und im Winter einer Pudelmütze auf dem Kopf. Sie polarisierte. Die einen schimpften sie eine Besserwisserin, die anderen nannten sie eine Ikone. Ostersamstag hätte sie an der Spitze eines Demonstrationszugs laufen und im Chor mit ihren Mitstreitern rufen können: „Wir sind hier, wir sind laut, weil Ihr uns die Zukunft klaut.“Doch dann kam Corona.
Seit Wochen sind Luisa Neubauer und die anderen im digitalen Klimastreik. Die 23-Jährige twittert viel und erreicht darüber mehr als 125.000 Follower. Sie schreibt für Medien und gibt Interviews. Aber die hohe Welle, die „Fridays for Future“getragen hat, ist gebrochen und plätschert jetzt dahin. Gegner melden sich zurück und ätzen, dass es eben etwas noch viel Schlimmeres als den Klimawandel gebe und sich die verwöhnten Schüler und Studenten nun in der Welt wiederfänden, die sie gefordert hätten: Zum Beispiel ohne die Mobilität von Flugzeugen und Autos, aber nun vielleicht mit generell eingeschränkten Möglichkeiten, wenn ihre Eltern in Kurzarbeit geschickt würden und nicht mehr alles bezahlen könnten. Neubauer twittert dann: „Die einen träumen von einer solidarischen Bewältigung der Coronakrise, von Klimagerechtigkeit und resistenten Sozialsystemen – die anderen vom Ende der Klimademos. Sagt eigentlich alles.“Doch bundesweit für Aufmerksamkeit sorgt sie damit nicht.
In den ersten Wochen des neuen Jahrzehnts konnte eine breite Öffentlichkeit noch staunend verfolgen, zum Teil ungläubig, aber auch beeindruckt, wie die Geographie-Studentin den Vorstandsvorsitzenden von Siemens, Joe Kaeser, wegen einer Signaltechnik-Lieferung für eine 200 Kilometer lange Eisenbahnstrecke in Australien an den Pranger stellte. Da brannte der Kontinent, und Siemens sicherte dem indischen Konzern Adani die Technik zu, mit der einmal Kohle aus einem neuen Bergwerk zum Hafen transportiert werden soll, während sich Deutschland um den Kohleausstieg bemüht. Letzteres nach Neubauers Vorstellungen allerdings so halbherzig, dass sie mit mehreren Umweltorganisationen Klima-Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesregierung eingereicht hat. Das Ziel: Die Regierung von Angela Merkel soll das Klimaschutzgesetz nachbessern.
Für Siemens ist der Auftrag in Australien von nicht einmal 20 Millionen Euro lächerlich klein. Für Neubauer war es die große Chance, eine Machtfrage zu stellen. Kaeser ließ sich herausfordern. Neubauer warf ihm vor, sich nach außen als fortschrittlicher Klimaschutzfreund unter den großen CEOs zu präsentieren und zugleich den Bau eines neuen Steinkohlebergwerks zu unterstützen, das einen massiven Kohlendioxidausstoß nach sich ziehen und die internationalen Bemühungen
zur Reduktion der CO2-Emissionen konterkarieren würde. Kaeser, Boss von fast 400.000 Beschäftigten in einem Unternehmen mit annähernd 100 Milliarden Euro Umsatz im Jahr, hätte das abtropfen lassen können. Aber ihm gefiel die Auseinandersetzung mit der Studentin. Er lud sie zu einem Gespräch ein und bot ihr einen Posten in einem Aufsichtsgremium von Siemens Energy an. Neubauer in einem Gremium unter Kaeser – damit hätte er den Kopf der Klimaschutzbewegung in Deutschland eingekauft und dem Protest die Spitze gebrochen.
Die 23-Jährige lehnte ab, gab dem 62-Jährigen stattdessen Tipps, wie er es besser machen könnte und erhöhte den Druck. Der Siemens-Chef wurde derweil von Aktionären kritisiert, wie er es so weit habe kommen lassen, dass eine Studentin den Welt-Konzern derart in Bedrängnis bringen könne. Selbst bei der Siemens-Hauptversammlung im Februar war der 20-Millionen-Auftrag eines der bestimmenden Themen. Zwar konnte Neubauer nicht für den Stopp des Projekts sorgen, aber sie verschaffte sich durch das öffentlichkeitswirksame Gerangel mit Kaeser Respekt.
Wie sie ihn im Rückblick sieht? „Herr Kaeser hat für Klimaaktivisten ein Stück weit die Tür geöffnet zu der Welt der CEOs. Volkswagen will nun auch mit uns sprechen“, erzählt sie. Sie glaubt ihm, dass er etwas gegen den Klimawandel und für die Jugend tun möchte. Wenn sie über ihn spricht, hat es nicht die Härte wie auf Twitter. Dann nennt sie ihn auch mal „Joe“. Überhaupt wirkt Neubauer im persönlichen Gespräch sanfter, was nichts daran ändert, dass sie genauso präzise und scharf formuliert. Es kommen nur mehr Humor und Höflichkeit dazu. Und was aus der Ferne wie für sie aufgeschrieben wirken mag, weil man bezweifelt, dass das ein junger Mensch so aus dem Ärmel schüttelt, fällt aus der Nähe als falsche Vermutung in sich zusammen. Neubauer ist so.
Sie kommt allein, ohne Sprecher und Berater oder Unterstützer. Pünktlich sowieso. Und dass Kaffee auf dem Tisch steht, findet sie „sehr, sehr nett, vielen Dank“. Kritik aus ihren Reihen nimmt sie einfach an, zu Fragen, die sie blöd findet, stellt sie erst einmal Gegenfragen. Wenn ihr etwas missfällt, sagt sie es, bleibt aber freundlich. Man darf Neubauer
getrost ein Ausnahmetalent nennen. Nicht nur Herr Kaeser in der Wirtschaft, auch die Politik sucht nach solchen Leuten. Womöglich steigt Neubauer bei den Grünen, deren Mitglied sie ist, einmal tiefer ein. Ausschließen will sie das nicht.
Persönlich getroffen hat sie schon Ex-US-Präsident Barack Obama und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron. Auf die Frage in einem Interview, wie sie Begegnungen mit wichtigen Politikern erlebe, sagte sie einmal: „In der überwiegenden Mehrheit ernüchternd. Ich gehe aus vielen dieser Gespräche raus und denke: Kein Wunder, dass wir in dieser Krise stecken!“An Selbstbewusstsein mangelt es Neubauer eben auch nicht. Was mitunter daran liegt, dass sie nicht nur vom Siemenschef, sondern auch vom AxelSpringer-Chef oder in Talkshows mit Millionen-Publikum eingeladen wurde und wird. Aber hinterher ist dann manches anders, der Druck ist größer. So wie nach einer ZDF-Sendung: „Markus Lanz“im vorigen Jahr. Bis dahin hatte sie die nächtliche Talkrunde noch nie gesehen. Umso unbekümmerter setzte sie sich da rein. „Bevor ich bei Markus Lanz war, habe ich die Sendung nicht geguckt. Wenn ich vorher gewusst hätte, dass ich ein halbes Jahr lang auf jeden Satz angesprochen werde, hätte ich mir vermutlich einen Kopf gemacht.“
Einen Kopf muss sie sich inzwischen um sehr viel mehr machen. Der ganze Rummel hat auch eine verletzende Kehrseite: Neider und Hasser. „Auf Twitter habe ich hunderte Hater, und es ist keine Ausnahme, dass über meine Vergewaltigung fantasiert wird.“Ihre schärfsten Kritiker
seien aber „feministische Veteraninnen“, sagt sie. Luisa Neubauer tue zu wenig für die Frauen, heißt es. Dabei spricht auch sie von einer „Männer-gemachten-Frauen-Unterdrückungsdenke“. Und davon, wie unfassbar sie es finde, dass Frauen in den ersten Wochen der Schwangerschaft nicht frei über eine Abtreibung und damit nicht über ihr eigenes Leben bestimmen dürften. „Das macht womöglich Sinn, wenn man im Dritten Reich lebt, wo alle Frauen Kinder bekommen sollen“, sagt sie und verlässt damit ihre in Klimafragen sachliche Argumentation. Ethische Fragen stellt sie sich hier nicht.
Die Erwartung an Neubauer ist hoch. Die Medien, die Politik, die Klimaschutzbewegung. Die Studentin kämpft in Zeiten von Corona darum, die Klimakrise nicht zu vergessen. Diese sei die Fundamentalkrise der Gegenwart. Und Corona habe gezeigt, wie Regierungen wirkungsvoll auf Krisen reagieren können, wenn sie nur wollten. Sobald die Kontaktsperren aufgehoben werden, werde man Fridays for Future auch wieder in der realen Welt sehen. Neubauer macht weiter. Und weiter. Immer weiter. So wie sie ist, und nicht wie die Leute denken, dass sie sei. „Ich habe keinen Perfektionsanspruch an mich“, sagt sie. „Manche Sachen mache ich gut und manche nicht. Das ist aber ok für mich. Ich probiere es so gut zu machen, wie ich kann. Und meine Grenzen zu erkennen.“Ganz schön weit für eine 23 Jahre junge Frau.