Jeder nach seiner Fasson
Der Weg aus dem Stillstand legt ganz nebenbei offen, wie unsere Gesellschaft arbeitet.
Corona ist nicht nur ein medizinisches, sondern auch ein soziologisches Jahrhundertereignis. Wie sich eine liberale Demokratie binnen Tagen in eine Art gesellschaftlichen Winterschlaf versetzen lässt – dazu lassen sich gerade allerorten Feldstudien anstellen. Für die kommenden Monate, wenn das soziale Leben wieder halbwegs auf Normaltemperatur gebracht wird, gilt Entsprechendes. Der „Exit“ist dabei wie gemacht für Anhänger der soziologischen Systemtheorie. Die geht davon aus, kurz gesagt, dass die Gesellschaft aus Teilsystemen besteht, die sich zwar gegenseitig beeinflussen, sich aber nur begrenzt nach äußeren Kriterien
steuern lassen, weil sie jeweils ihre eigene Logik verfolgen. Für den Exit heißt das: Die Wirtschaft hat andere Zwänge als die Kultur oder der Sport. Oder noch kleinteiliger: Wenn vielleicht Tennis wieder möglich ist, sind es Fußballspiele mit Publikum deshalb noch lange nicht. Wenn Schulen teils wieder öffnen, können die Unis doch vorerst im Online-Modus bleiben. In der nächsten Zeit wird uns schlagend deutlich werden, wie ausdifferenziert unsere Gesellschaft ist. Und wie differenziert man deshalb mit ihr umgehen muss.
Zwei Teilsysteme allerdings stechen in diesem Prozess heraus: die Politik und die Wissenschaft. Die Politik trifft und begründet verbindliche Entscheidungen. Sie steuert also – und zwar hoffentlich klug nach den Logiken der einzelnen gesellschaftlichen Systeme. Und die Wissenschaft ist zwar einerseits selbst betroffen (siehe Unis), liefert aber andererseits mehr als alle anderen Systeme die Argumente für die Politik. Der Weg aus dem Corona-Stillstand wird sich maßgeblich an medizinischen Erkenntnissen orientieren (müssen). Wenn das so geschieht, heißt das nicht, dass die Politik abgedankt hätte. Im Gegenteil: Es zeigt, dass unsere Gesellschaft funktioniert.