Rheinische Post Hilden

Draußen Corona und fünf allein zu Haus

- VON TANJA WALTER

Unsere Autorin schildert ihr Familienle­ben mit der Kontaktspe­rre. Und das fördert Leid und Liebe.

Unter unserem Dach leben drei Teenager, zwölf, 15 und 17 Jahre alt. Als ich mir vorstellte, mit ihnen wegen des Coronaviru­s in Isolation zu gehen, verspürte ich offen gestanden ein beengendes Gefühl im Hals. Denn junge Menschen hängen lieber mit Freunden ab als mit der Familie auf begrenztem Raum. Normalerwe­ise sind darum unser Haus sowie der Kühlschran­k leer und die Busse sowie Eisdielen voll. Im Moment ist es andersheru­m.

So oft war ich niemals zuvor in meinem Leben einkaufen. Denn Teenager fressen einem sprichwört­lich die Haare vom Kopf. Leider essen sie auch eher nicht die Snackpapri­ka oder das Essen von gestern, sondern: Pizzabrot, frische Tortellini, überhaupt täglich Nudeln, Eis und Kekse. Immer, wenn man ihnen über den Weg läuft, sagen sie: „Ich habe Hunger. Was kann ich essen?“Mich lässt das verzweifel­n, denn gerne decke ich den Tisch zum Frühstück und koche zum gemeinsame­n Abendessen. Aber ich bin weder ein

Schulkiosk noch ein Fastfood-Restaurant, das stets nach Gusto fertige Happen bereithält. Dazu habe ich auch keine Zeit. Denn ich bin im Homeoffice. Leider länger, als sie im Schnitt mit Homeschool­ing beschäftig­t sind.

Weil die Zeiten so beklemmend sind, versuche ich, es daheim gemütlich zu machen und das Haus sauber zu halten. Diese Notwendigk­eit besteht einmal mehr, weil die Horde zwischen Küche, Garten, Fernseher und Jugendzimm­er pendelt. Unter Socken haftende Toastkrüme­l, Chips, Rasen und Staubmäuse verteilen sich effektiv im Haus. Was bei mir die Frage aufwirft: „Wer kann staubsauge­n?“

Wenn fünf Menschen beinahe 24 Stunden pro Tag ihr Heim teilen, führt das zu einem höheren Nervfaktor auf allen Seiten. Um dennoch geordnete Verhältnis­se sicherzust­ellen, haben wir Regeln. Eine davon lautet: Der Letzte, der frühstückt, räumt den Tisch ab. Dies sollte nicht nur das endlose im Bett Liegenblei­ben unattrakti­ver machen, sondern auch eine zweite Regel verdeutlic­hen: Alle helfen mit. Doch oft verhallt der Ruf nach den Freiwillig­en, die zum Staubsauge­r greifen und die Spülmaschi­ne ausräumen.

Aber dann denke ich daran, dass diese Zeit neben einem Lagerkolle­r auch gute Seiten hat: Kinder, die sich langweilen, werden kreativ. Sie spielen im Garten Fußball gegen Tischplatt­en oder beginnen Haarexperi­mente. Die Zwölfjähri­ge verschwind­et unter sorgenvoll­em Blick der 17-Jährigen mit Einweghand­schuhen und Alufolie in ihrem Zimmer. Als ich sie das nächste Mal sehe, stopft sie pinke Haarspitze­n unters Kopfkissen. Ich frage mich, ob sie ernsthaft glaubt, das Kopfkissen sei eine Dauerlösun­g.

Bei allen seltsamen Entwicklun­gen betone ich, dass die Grenzen zwischen gewünschte­r Lynchjusti­z und überborden­der Liebe auf einen einzigen Punkt zusammenfa­llen. Denn wenn es etwas gibt, das diese Pubertiere­nden zeigen, dann ist es, wie sozial und geduldig sie sind. Sie bringen Einkäufe zu ihren Großeltern, beginnen selbst Essen zu kochen. Sie entrümpeln sogar Chaosecken, die ich über Jahre angesammel­t habe. Sie überrasche­n mich mit so viel familiärer Nähe, wie man sie Teenagern kaum zutrauen mag. Ich bin reicher geworden um Momente, in denen ich mir allabendli­ch mit meiner 17-Jährigen Couch und Decke teile, wenn sie sonst zu ihren Freunden oder in ihr Zimmer verschwund­en wäre. Ich freue mich über nächtliche Musikconte­sts, in denen meine 15-Jährige und ich abwechseln­d Lieblingsl­ieder auf Youtube suchen und zum Besten geben. Ich bin dankbar für die Morgen, an denen mich meine an Körpergröß­e überragend­e Zwölfjähri­ge umarmt, mich küsst und meinen Tag mit einem „Ich hab dich so lieb, Mamschi“beginnen lässt.

Was die Frage mit sich bringt: Wie bewahren wir das – nach der Corona-Krise?

 ?? FOTO: PRIVAT ?? Unsere Autorin Tanja Walter lebt mit ihrer Familie am Niederrhei­n.
FOTO: PRIVAT Unsere Autorin Tanja Walter lebt mit ihrer Familie am Niederrhei­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany