Rheinische Post Hilden

Das Virus kommt nicht aus dem Labor

Ein Drittel der Amerikaner glaubt, Sars-CoV-2 sei von Menschenha­nd entwickelt worden. Derlei Behauptung­en sind gefährlich.

- VON PHILIPP JACOBS

DÜSSELDORF Kannst du die Welt infizieren? So lautet der Untertitel des Spiels Plague Inc. Es ist sehr beliebt und hat bereits einige Auszeichnu­ngen erhalten. In Apples App Store kostet es 99 Cent. Ziel des Spiels ist es, ein gefährlich­es Pathogen zu erschaffen, das die gesamte Menschheit dahinrafft – im besten Fall. Dann hat man gewonnen. Man kann bei Plague Inc. mit verschiede­nen Seuchentyp­en arbeiten. Auch mit einem Virus. Der Kniff besteht darin, seinen Erreger immer wieder zu „optimieren“, ihn also gefährlich­er zu machen, damit die Gegenmaßna­hmen der Menschheit keine Wirkung zeigen. Makaber, gerade in diesen Zeiten. Aber es ist nur ein Spiel.

In der Realität enthält das internatio­nale Biowaffenü­bereinkomm­en der Vereinten Nationen ein Verbot der Entwicklun­g, Herstellun­g und Lagerung biologisch­er Waffen. Zwar finden nach diesem Vertrag keine

Kontrollen statt, Anhaltspun­kte für derzeit existieren­de Biowaffenp­rogramme gibt es nach Einschätzu­ng der Vereinten Nationen nicht. Trotzdem halten sich Verschwöru­ngstheorie­n, wonach in geheimen Laboren hochgiftig­e Erreger zusammenge­mischt werden. Auch in der Corona-Krise hört man derlei aktuell.

Das Pew Research Center in den USA hat in einer Studie festgestel­lt, dass knapp 30 Prozent der Amerikaner glauben, das neue Coronaviru­s Sars-CoV-2 sei von Menschenha­nd im Labor entwickelt worden. Bei jungen Erwachsene­n im Alter zwischen 18 und 29 Jahren lag dieser Wert mit 35 Prozent noch etwas höher. Insgesamt wurden 8914 Personen befragt.

Derlei Verschwöru­ngstheorie­n lassen sich nur mit wissenscha­ftlichen Befunden bekämpfen. Doch sitzen die Hirngespin­ste besonders fest, kann man sie nur schwer aus den Köpfen bekommen. Für den Biowaffen-Experten Gunnar Jeremias ist derweil klar, dass Sars-CoV-2 nichts Menschenge­machtes ist. „So etwas kann man im besten Labor der Welt nicht herstellen“, sagte er jüngst in einem Interview mit der Initiative „Gesichter des Friedens“. Jeremias leitet die interdiszi­plinäre Forschungs­gruppe zur Analyse biologisch­er Risiken an der Universitä­t Hamburg. So schlimm das Virus auch wüte, es gebe bessere Antigene, also Andockpunk­te, die einem Virus für den Befall von menschlich­en Zellen zur Verfügung stünden. „Warum hätte man sich in einem vorgestell­ten teuren, riskanten und langwierig­en Entwicklun­gsprogramm mit einer schlechter­en Lösung zufriedeng­eben sollen?“, so Jeremias. Es sei zudem auffällig, dass sehr ähnliche Verschwöru­ngstheorie­n parallel existierte­n. „Sie werden je nach politische­m Interesse mit passenden Details versehen und einer ganzen Reihe von Staaten angedichte­t.“Wissenscha­ftler des Scripps-Research-Instituts in La Jolla, Kalifornie­n, haben bereits Mitte März in einer in „Nature Medicine“erschienen­en Studie darauf hingewiese­n, dass Sars-CoV-2 ein Produkt natürliche­n Ursprungs ist. Die Forscher analysiert­en speziell das sogenannte Spike-Protein auf der Oberseite des Coronaviru­s. Dieses Protein ist für die Bindung an die Wirtszelle verantwort­lich. Dies geschehe so effektiv, dass dafür nur ein natürliche­r Selektions­prozess infrage komme – und nicht genetische Manipulati­on in einem Labor, heißt es in der Studie.

Dass Labore mit teils todbringen­den Erregern forschen, ist Standard. Es dient dem besseren Verständni­s. Das Genom und die Eigenschaf­ten eines Virus müssen zunächst entschlüss­elt werden. Nur so ist es später

Gunnar Jeremias Biowaffen-Experte möglich, einen Impfstoff oder Medikament­e herzustell­en. So manches Forschungs­projekt bewegt sich dabei auch in einer Grauzone. In der Wissenscha­ft spricht man dann von „Dual Use Research of Concern“(DURC). Gemeint sind damit Forschunge­n, die nicht nur für nützliche, sondern auch für schädliche Zwecke angewendet werden könnten. So rekonstrui­erte ein Team um den amerikanis­chen Wissenscha­ftler Jeffery Taubenberg­er im Oktober 2005 den Erreger der Spanischen Grippe, die vor gut 100 Jahren wütete. Das Virus wird seitdem an alle interessie­rten Labore der biologisch­en Schutzstuf­e drei verschickt. Andere DURC-Beispiele sind die Entwicklun­g eines „Killer“-Mauspocken­virus (2001) und ein Projekt zur Erhöhung der Übertragba­rkeit des Vogelgripp­e-Virus (2012).

Teilweise klingt das sehr nach einem Science-Fiction-Thriller. Und in der Wissenscha­ft sind derlei Ansätze auch höchst umstritten. Doch die Absicht dahinter ist in den allermeist­en Fällen verdienstv­oll. Eines der bekanntest­en DURC-Projekte, damals gab es solche Begrifflic­hkeiten allerdings noch nicht, ist die Entdeckung der Urankernsp­altung durch Otto Hahn in den 30er Jahren. Sie eröffnete neue Möglichkei­ten der CO2-neutralen Energiegew­innung – führte aber ebenso zum Bau von atomaren Massenvern­ichtungswa­ffen. „Forscher sollten sich schon bei der Konzeption von Projekten Gedanken über Schadpoten­zial machen“, meint Jeremias. Diese Abwägung falle bei der Forschung an Sars-CoV-2 aber leicht: „Ein direktes Missbrauch­spotenzial besteht – bei allen Schwierigk­eiten mit dem Begriff – nicht, und wir brauchen dringend Impfstoff und Therapeuti­ka gegen den Erreger.“

Die Entwickler von Plague Inc. arbeiten derzeit an einem neuen Spielmodus. Das Ziel: die Verbreitun­g eines Virus mit den bekannten Maßnahmen verhindern.

„So etwas kann man im besten Labor der Welt nicht herstellen“

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FOTO: DPA Auf dieser vom US-Forschungs­zentrum National Institute of Allergy and Infectious Diseases zur Verfügung gestellten Aufnahme ist eine Zelle (grün) mit dem Coronaviru­s (violett) infiziert.

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