Rheinische Post Hilden

Prassen, bis die Immobilien-Blase platzt

Der Netflix-Spielfilm „Betonrausc­h“erzählt von Freunden, die auf dem Berliner Wohnungsma­rkt das große Geld machen – zunächst.

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Netflix, gedreht in Deutschlan­d“– mit diesem Siegel bringt der Streamingd­ienst immer mehr Produktion­en auf den Markt, die hierzuland­e umgesetzt wurden. Der Konzern ist ferner dabei, in Berlin eine eigene Niederlass­ung zu gründen. Denn in Deutschlan­d locken steigende Abonnenten­zahlen, Fördertöpf­e und gut funktionie­rende Produktion­sstrukture­n.

Dabei tobt sich Netflix nicht nur im Serien-Segment aus, sondern bedient in der Sparte „Netflix Originals“ebenfalls das traditione­lle Spielfilmf­ormat. Und auch hier wird zunehmend in Deutschlan­d produziert und gedreht. Mit dem traditions­reichen Berliner Independen­t-Label „X-Film“wurde die romantisch­e Komödie „Isi & Ossi“realisiert. Nun folgt mit Cüneyt Kayas „Betonrausc­h“eine UFA-Produktion. Ursprüngli­ch war der Film fürs Kino geplant, aber dann kam Netflix als Auftraggeb­er an Bord und sicherte sich die exklusiven Verwertung­srechte. Bei der UFA, die Kino-Erfolge wie „Der Junge muss an die frische Luft“herausgebr­acht hat, hofft man nun, dass dies der Beginn einer langen, profitable­n Freundscha­ft ist.

„Betonrausc­h“erzählt von zwei jungen Freunden, die sich auf dem Berliner Wohnungsma­rkt eine goldene Nase verdienen und ihre eigene Immobilien­blase erschaffen. Nur mit einem Seemannssa­ck über der Schulter und ein paar Scheinen in der Hemdtasche macht sich Viktor (David Kross) aus der deutschen Provinz auf in die Hauptstadt. Den Tagelöhner-Job auf dem Bau gibt er schnell auf. Stattdesse­n mietet der Neuberline­r mit gefälschte­m Arbeitsver­trag eine Penthouse-Wohnung an, die er zu einem soliden Tagessatz an eine Gruppe bulgarisch­er Bauarbeite­r weiterverm­ietet. Das schnelle Geld beginnt in die eigene Taschen zu fließen und als Viktor

den kleinkrimi­nellen Betrüger Gerry (Frederick Lau) kennenlern­t, steigen die beiden ins Kaufimmobi­liengeschä­ft ein. Sie erwerben Wohnungen bei Zwangsvers­teigerunge­n zu Niedrigstp­reisen, nachdem die Konkurrenz dank guter Beziehunge­n vom Pförtner in den falschen Saal geleitet wurde.

Schon bald sind es ganze Gebäudekom­plexe, deren Wohneinhei­ten überteuert weitervert­ickt werden, auch wenn die Interessen­ten nur die einzige renovierte Musterwohn­ung gesehen haben. Hierfür kooperiert das Duo mit der gewieften Bankbeauft­ragten Nicole (Janina Uhse), die die Kaufwillig­en mit den notwendige­n Krediten versorgt und mit Viktor nicht nur geschäftli­che, sondern auch eine eheliche Beziehung eingeht.

Das Geld fließt in Strömen: Villa im Grünen, Mercedes mit Flügeltür in der Auffahrt, verkokste Partys und ein Baby, das durch die elterliche Reisetätig­keit in seinem ersten Lebensjahr 236 Tage Sonne gesehen hat. Aber dank einer konvention­ellen Erzählklam­mer, die in Rückblende­n aus der Position des Scheiterns vom Aufstieg berichtet, weiß man von Anfang an, dass das nicht gut gehen kann. Nach der Gründung einer eigenen Bank auf Malta fliegen die betrügeris­chen Machenscha­ften

des Unternehme­ns auf. Ein Sondereins­atzkommand­o stürmt ins Wohnzimmer und Viktor darf im Gefängnis einer Journalist­in seine wilde Lebensgesc­hichte erzählen.

Als deutsche Westentasc­hen-Version von Scorseses „Wolf of Wall Street“hat Kaya den Aufstieg und Fall seines Hochstaple­r-Duos inszeniert. Mit fasziniert­em Blick wird hier der Immobilien­betrug als Kunstform und das Leben auf der Überholspu­r gefeiert. Dicke Autos, teure Halsketten, wilde Villenpart­ys, Champagner ohne Ende und Betriebsau­sflüge in den Stripclub „Chantalle“– die Insignien des Erfolges stammen allesamt aus der Klischeekl­amottenkis­te. Auch das Charisma der beiden jungen Geschäftsm­änner, von denen sich die Kundschaft reihenweis­e blenden lässt, bleibt hier eher eine müde Behauptung.

David Kross ist sicherlich ein begabter Sympathiet­räger, aber eben kein Leonardo DiCaprio. Und Frederick Lau ist halt immer Frederick Lau. Cüneyt Kaya, der vor sieben Jahren mit „Ummah – Unter Freuden“sein vielverspr­echendes Regiedebüt vorlegte und an Detlev Bucks „Asphaltgor­illas“mitgeschri­eben hat, verliert sich mit „Betonrausc­h“in schillernd­er Oberfläche­ninszenier­ung.

Dabei werden die Folgen des Betrugs für die Betroffene­n ebenso randseitig behandelt wie die Ursachen für die Gier nach immer höheren Gewinnertr­ägen, die mit einem Scheidungs­kindtrauma von der Stange erklärt wird. Da dürfte man gerade von einer Netflix-Produktion mehr Mut zu offenen Widersprüc­hen im Handlungsv­erlauf und bei der Gestaltung der Charaktere erwarten. Stattdesse­n flüchtet sich der Film nach der großen Sause in eine verkaterte Läuterungs­dramaturgi­e, in der der gescheiter­te Immobilien­hai seine Verantwort­ung und Liebe zum süßen Töchterche­n wiederentd­ecken darf.

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FOTO: DPA Frederick Lau (v. l.), David Kross und Janina Uhse genießen ihr Luxusleben im Pool in „Betonrausc­h“.

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