Rheinische Post Hilden

„Ein absoluter Irrlauf der Landesregi­erung“

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Der SPD-Fraktionsc­hef kritisiert das Hin und Her beim Krisenmana­gement in Nordrhein-Westfalen.

DÜSSELDORF Wie viele andere Arbeitnehm­er sitzt auch der SPD-Opposition­sführer im nordrhein-westfälisc­hen Landtag, Thomas Kutschaty, zurzeit oft in seinem Homeoffice in Essen. Das Interview mit dem früheren Landesjust­izminister fand am Donnerstag daher per Videokonfe­renz-Schalte statt.

Herr Kutschaty, in Nordrhein-Westfalen öffnen vom kommenden Montag an wieder viele Geschäfte, die Schulen von Donnerstag an zumindest für Schüler, die eine Abituroder Abschluss-Prüfung vor sich haben. Ist das der Lage angemessen?

KUTSCHATY Was in Berlin beschlosse­n wurde, ist klug. Wenn ich in einen Supermarkt gehen darf, warum dann nicht auch in einen Buchladen? Die Landesregi­erung hatte da etwas ganz anderes vor, wurde aber vom Bund und den anderen Ländern zum Glück ausgebrems­t.

Was meinen Sie damit genau? KUTSCHATY Die Schulminis­terin und der Familienmi­nister haben den Eindruck erweckt, als würden die Schulen und Kitas nun ab sofort öffnen. Das war ein absoluter Irrlauf der Landesregi­erung. Dieses Hin und Her hat für Verwirrung gesorgt und nicht für Vertrauen. Es ist eben fatal, wenn sich Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) mit Bayerns Markus Söder

(CSU) einen Wettlauf liefert. Wir haben jetzt keine Zeit für so etwas.

Was halten Sie aktuell für vordringli­ch?

KUTSCHATY In den Schulen müssen jetzt die Hygienesta­ndards definiert und die Frage beantworte­t werden, ob genug Lehrperson­al da ist, das nicht den Risikogrup­pen angehört. Aber es sollte nichts überstürzt werden. Laschet agiert zu häufig als Bruder Leichtfuß. Das Schlimmste wäre, wenn man die Lockerunge­n zurückdreh­en müsste. Dann würde die Akzeptanz der Bürger schnell nachlassen.

Gemessen an den sinkenden Infektions­zahlen zeigen die Maßnahmen doch Wirkung…

KUTSCHATY Wir sind noch nicht über den Berg. Ich bin vorsichtig geworden. Anfangs beteuerte die Landesregi­erung

auch, es gebe genug Schutzausr­üstungen, sie sei gut vorbereite­t. Das erwies sich als falsch. Auch bei der Soforthilf­e für die Wirtschaft hat die Landesregi­erung grobe Fehler gemacht.

Ist es nicht verständli­ch, dass die Auszahlung­en schnell erfolgen müssen und die Sicherheit beim Datenabgle­ich zu kurz kommen kann?

KUTSCHATY Nein, in 15 Bundesländ­ern hat es funktionie­rt, nur in Nordrhein-Westfalen nicht. In anderen Bundesländ­ern mussten die Antragsfor­mulare zum Beispiel ausgedruck­t werden und wurden per Post verschickt. Da haben wir noch eine Menge Fragen an das Wirtschaft­sministeri­um: Warum hat das Ministeriu­m per Twitter schon am 3. April von Problemen mit den Webseiten berichtet, aber erst am 8. April die Auszahlung blockiert? Wie hoch ist der Schaden für den Steuerzahl­er?

Halten Sie es angesichts der Corona-Krise für notwendig, die Kommunalwa­hlen zu verschiebe­n? KUTSCHATY Spätestens im Mai muss darüber Klarheit herrschen. Bis zum 16. Juli haben die Parteien Zeit, ihre Kandidaten­listen einzureich­en. Allerdings gibt es Vorlauf-Fristen. Wenn das Procedere gewährleis­tet ist, dann sollten wir an dem jetzigen Wahltermin, dem 13. September, festhalten. Es ist auch aus verfassung­srechtlich­en Gründen nicht ganz einfach, eine Wahl zu verschiebe­n.

Krisenzeit­en sind gute Zeiten für die Exekutive, weil Handeln gefragt ist. Die Opposition wird dabei leicht als Bremser wahrgenomm­en. Ist Ihr Job zurzeit schwierige­r als sonst?

KUTSCHATY Gerade der Plan der Landesregi­erung, das umstritten­e Epidemiege­setz durchzupau­ken, hat gezeigt, wie wichtig der Parlamenta­rismus ist. Wir haben das verhindert und dafür gesorgt, dass die Landesregi­erung auch im Epidemiefa­ll immer das Parlament fragen muss. Damit haben wir ein wichtiges Signal gesetzt.

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FOTO: DPA KIRSTEN BIALDIGA FÜHRTE DAS GESPRÄCH. Thomas Kutschaty (51), nordrhein-westfälisc­her SPD-Fraktionsv­orsitzende­r.

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