Verfassungsgericht für Demos auch in Corona-Zeiten
BERLIN 19 Seiten lang machten sich die Regierungschefs von Bund und Ländern intensive Gedanken, wann unter welchen Bedingungen wie weit unter Corona-Bedingungen die Auflagen gelockert werden können. Von den Buchhandlungen über die Friseure bis zu den Zoos. Über eines schwiegen sie sich aus: wie die Behörden mit Demonstrationen umzugehen haben. Die Lücke müssen nun die Gerichte füllen. Das Verfassungsgericht hat dazu mit einer an diesem Donnerstag veröffentlichen Entscheidung schon mal eines klargemacht: Demonstrationen dürfen nicht grundsätzlich verboten werden.
Tenor der höchstrichterlichen Entscheidung: Die Behörde muss in jedem Einzelfall prüfen, ob die Hygiene-Vorkehrungen eingehalten werden und die Demonstration stattfinden kann. Das Verbot von Ansammlungen von mehr als zwei Personen, die nicht dem gleichen Hausstand angehören, bedeute kein generelles Demonstrationsverbot, da der Betroffene sonst in seinen Grundrechten verletzt sei. Im Gießener Beispiel ging es um einen Demonstrationszug von bis zu 30 Personen, die durch Ordner und Markierungen zwei Meter Abstand zueinander einhalten wollten.
Die Verfassungsrechtler sind sich in der Beurteilung uneins. Christian Pestalozza (FU Berlin) hält den Verzicht auf Versammlungen für „hinnehmbar
und geboten“, da diese und ihre Kontrolle zu zusätzlichen Kontakten führten und Leben wie Gesundheit wichtigere Güter seien als die Versammlungsfreiheit. Zudem gibt er zu bedenken: „Versammlungen brauchen Publikum, und das gibt es derzeit Corona-bedingt praktisch nicht.“
Die Verfassungsrechtlerin Sophie Schönberger (Uni Düsseldorf ) hingegen verweist darauf, dass ein ausnahmsloses Verbot von Demonstrationen „in der Tat verfassungswidrig“wäre. Versammlungen könnten vielmehr jetzt schon zugelassen werden, wenn sie so organisiert seien, dass die entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen zum Infektionsschutz eingehalten würden. „Bei der Erteilung der entsprechenden Genehmigungen ist die Verwaltung aber bisher wohl recht zögerlich“, schränkt Schönberger ein. Deshalb müssten jetzt zunehmend Gerichte darüber entscheiden.
„Es wäre natürlich überaus wünschenswert, wenn hier tatsächlich eine verlässlichere politische Grundlage geschaffen würde, damit die zuständigen Verwaltungsbehörden genauere Vorgaben haben, wann eine Versammlung erlaubt werden kann“, betont die Rechtsprofessorin. So sieht es auch FDP-Innenexperte Konstantin Kuhle: „Es hätte der Runde aus Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten gut zu Gesicht gestanden, klare Regeln für Demonstrationen zu beschließen.“