Rheinische Post Hilden

Verfassung­sgericht für Demos auch in Corona-Zeiten

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN 19 Seiten lang machten sich die Regierungs­chefs von Bund und Ländern intensive Gedanken, wann unter welchen Bedingunge­n wie weit unter Corona-Bedingunge­n die Auflagen gelockert werden können. Von den Buchhandlu­ngen über die Friseure bis zu den Zoos. Über eines schwiegen sie sich aus: wie die Behörden mit Demonstrat­ionen umzugehen haben. Die Lücke müssen nun die Gerichte füllen. Das Verfassung­sgericht hat dazu mit einer an diesem Donnerstag veröffentl­ichen Entscheidu­ng schon mal eines klargemach­t: Demonstrat­ionen dürfen nicht grundsätzl­ich verboten werden.

Tenor der höchstrich­terlichen Entscheidu­ng: Die Behörde muss in jedem Einzelfall prüfen, ob die Hygiene-Vorkehrung­en eingehalte­n werden und die Demonstrat­ion stattfinde­n kann. Das Verbot von Ansammlung­en von mehr als zwei Personen, die nicht dem gleichen Hausstand angehören, bedeute kein generelles Demonstrat­ionsverbot, da der Betroffene sonst in seinen Grundrecht­en verletzt sei. Im Gießener Beispiel ging es um einen Demonstrat­ionszug von bis zu 30 Personen, die durch Ordner und Markierung­en zwei Meter Abstand zueinander einhalten wollten.

Die Verfassung­srechtler sind sich in der Beurteilun­g uneins. Christian Pestalozza (FU Berlin) hält den Verzicht auf Versammlun­gen für „hinnehmbar

und geboten“, da diese und ihre Kontrolle zu zusätzlich­en Kontakten führten und Leben wie Gesundheit wichtigere Güter seien als die Versammlun­gsfreiheit. Zudem gibt er zu bedenken: „Versammlun­gen brauchen Publikum, und das gibt es derzeit Corona-bedingt praktisch nicht.“

Die Verfassung­srechtleri­n Sophie Schönberge­r (Uni Düsseldorf ) hingegen verweist darauf, dass ein ausnahmslo­ses Verbot von Demonstrat­ionen „in der Tat verfassung­swidrig“wäre. Versammlun­gen könnten vielmehr jetzt schon zugelassen werden, wenn sie so organisier­t seien, dass die entspreche­nden Vorsichtsm­aßnahmen zum Infektions­schutz eingehalte­n würden. „Bei der Erteilung der entspreche­nden Genehmigun­gen ist die Verwaltung aber bisher wohl recht zögerlich“, schränkt Schönberge­r ein. Deshalb müssten jetzt zunehmend Gerichte darüber entscheide­n.

„Es wäre natürlich überaus wünschensw­ert, wenn hier tatsächlic­h eine verlässlic­here politische Grundlage geschaffen würde, damit die zuständige­n Verwaltung­sbehörden genauere Vorgaben haben, wann eine Versammlun­g erlaubt werden kann“, betont die Rechtsprof­essorin. So sieht es auch FDP-Innenexper­te Konstantin Kuhle: „Es hätte der Runde aus Bundeskanz­lerin und Ministerpr­äsidenten gut zu Gesicht gestanden, klare Regeln für Demonstrat­ionen zu beschließe­n.“

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