Rheinische Post Hilden

Kirchen ringen um Gottesdien­ste

Religionsv­ertreter sprachen gestern mit Ministerpr­äsident Laschet über Feiermögli­chkeiten in der Corona-Krise.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF Wenn Politiker eigens betonen, wie sehr „gelebter Glaube Kraft und Zuversicht“spende, lässt eine Einschränk­ung in aller Regel nicht lange auf sich warten. Wie auch im aktuellen Corona-Papier von Bundeskabi­nett und Ministerpr­äsidenten. Darin heißt es unter Punkt 12, dass „Zusammenkü­nfte in Kirchen, Moschee und Synagogen sowie religiöse Feiern weiter nicht stattfinde­n“. Der unmittelba­re Einspruch der Religionsv­ertreter war ebenso erwartbar wie auch verständli­ch. Allerdings ist das offenbar nicht die mehrheitli­che Meinung der Gläubigen: Lediglich 15 Prozent der Katholiken und 13 Prozent der Protestant­en halten es für notwendig, dass Gläubige in Zeiten der Corona-Krise in Gottesdien­sten persönlich anwesend sein müssen. Das ergab jetzt eine repräsenta­tive Untersuchu­ng durch das Meinungsfo­rschungsin­stitut Insa Consulere.

Vor diesem Hintergrun­d scheinen die Religionsv­ertreter, die gestern mit Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) sprachen, nur eine Minderheit hinter sich zu haben. Ohnehin ist der Gottesdien­stbesuch bei den christlich­en Kirchen seit etlichen Jahren rückläufig. Nicht einmal zehn Prozent der Getauften wohnen inzwischen den Gottesdien­sten bei.

Solche Zahlenspie­le zeichnen jedoch ein schiefes Bild der Problemlag­e. Denn nach jüngsten Zahlen waren es allein in der katholisch­en Kirche insgesamt noch 2,1 Millionen Menschen, die die Heilige Messe am Sonntag besuchten. Zudem gab es über 42.000 katholisch­e Trauungen und über 243.000 Bestattung­en – auch dies ein Hinweis darauf, wie „systemrele­vant“Kirche noch immer ist, wie es Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkom­itees der deutschen Katholiken, formuliert­e.

Die Ungeduld der Kirchen nimmt zu: So kündigte der Kölner Erzbischof, Rainer Maria Kardinal Woelki, an, dass sein Erzbistum bereits öffentlich­e Gottesdien­ste vorbereite, allerdings unter Beachtung von Schutz- und Hygieneauf­lagen. Woelki nahm gestern an einem Sondierung­sgespräch mit Laschet über größtmögli­che Lockerunge­n des

Verbots teil. Mit dabei waren Präses Annette Kurschus sowie Vertreter der jüdischen und muslimisch­en Gemeinden. Das Ergebnis, das mehr ein Bekenntnis ist: Die „Bereitscha­ft zum Verzicht braucht auch eine Aussicht auf Normalisie­rung. Wenn nun das soziale und öffentlich­e Leben wieder mehr geöffnet wird, muss das auch für das gemeinsame religiöse Leben gelten.“Man sei sich deshalb einig, heißt es in der Abschlusse­rklärung, „in den nächsten Tagen gemeinsam nach Wegen zu suchen, wie das religiöse Leben in den Gemeinden Nordrhein-Westfalens so schnell wie möglich wieder mehr äußere Gestalt annehmen kann, ohne die bisherigen Erfolge im Kampf gegen die Ausbreitun­g des Corona-Virus zu riskieren.“Wann das sein wird, könnte heute bei den Beratungen in Berlin konkreter werden.

Zuvor hatte die Islamische Gemeinscha­ft Milli Görüs verlauten lassen, dass es nicht mehr nachvollzi­ehbar sei, warum nun das Shoppen in begrenztem Maße erlaubt werde, Moscheen, Kirchen und Synagogen aber geschlosse­n blieben.

Zuletzt war es die Türkisch Islamische Gemeinde in Mönchengla­dbach, die Polizei und Ordnungsam­t auf den Plan rief. Ihr hatte man den Muezzin-Ruf zwar erlaubt, allerdings hatten 200 Menschen den Gebetsaufr­uf als Aufforderu­ng verstanden, zur Moschee zu kommen.

Die Unruhe und Unzufriede­nheit über die Beschränku­ng wächst in vielen Bundesländ­ern. In Baden-Württember­g kündigte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) an, bald Gottesdien­ste zu erlauben; sein Amtskolleg­e im Saarland, Tobias Hans (CDU) spekuliert zumindest mit einer Öffnung zu Pfingsten Ende Mai.

Auch Armin Laschet hat im Vorfeld eine Lockerung der Auflagen für Kirchen in Aussicht gestellt. Zumal nach seinen Worten Gottesdien­ste in Nordrhein-Westfalen nie untersagt worden seien. Ob Nordrhein-Westfalen in dieser Lage einen Alleingang wagt und Gottesdien­ste unter Auflagen – mit begrenzter Zahl an Teilnehmer­n unter Wahrung des vorgeschri­ebenen Sicherheit­sabstandes – früher zulässt als der Bund, blieb auch gestern reine

Spekulatio­n. Ganz ausgeschlo­ssen wird ein Sonderweg nicht.

Derweil wird in Kirchenkre­isen noch eine andere Diskussion geführt, die zwar auf die aktuelle Notlage zurückgeht, die aber über die Pandemie hinausweis­en könnte. So wirke die Krise „wie ein Katalysato­r für die Selbsterkl­ärungsproz­esse vieler Menschen, die schon lange mit Gestalt und Form der Kirche hadern“, so der Münsterane­r Moraltheol­oge Daniel Bogner. Die Sehnsucht nach einem Kirchenbes­uch sei momentan zwar groß; doch dürfte das nicht darüber hinwegtäus­chen, dass schon kurz nach der Öffnung der Gotteshäus­er viele Menschen den Kirchen wieder fernbliebe­n. Was tun? Bogner erinnert an die urchristli­che Gemeinde und die Praxis des Feierns, „vollzogen von jenen, die diese Gegenwart Gottes wirklich ersehnen“. Im Klartext heißt das auch: ein kultisches Abendmahl im kleinen Kreis und ohne Priester. Das wäre mehr als Neuland, es wäre eine kleine Revolution. Aber, so fragt Bogner, „verlangt nicht der Notstand, in dem sich das Volk Gottes ohne Zweifel befindet, danach, über ungewöhnli­che Schritte nachzudenk­en?“

Ähnlich argumentie­rt der Freiburger Theologe Michael N. Ebertz, wenn er dazu ermuntert, dass sich die Kirche von einer flächendec­kenden Präsenz verabschie­den sollte und pastorale Räume nicht mehr geographis­ch begreife, sondern als „Beziehungs­räume“. So würde die „Kirche der Gesellscha­ft“viel stärker wieder eine „Kirche in der Gesellscha­ft“. Die Krise, so scheint es, hat der Kirche Zukunftsfr­agen gestellt. Und diese dürften nicht allein von Klerikern, sondern auch von Gläubigen beantworte­t werden.

 ?? FOTO: AFP ?? Der evangelisc­he Pastor Klaus-Martin Pothmann vor Bildern seiner Gemeindemi­tglieder in Hamm.
FOTO: AFP Der evangelisc­he Pastor Klaus-Martin Pothmann vor Bildern seiner Gemeindemi­tglieder in Hamm.

Newspapers in German

Newspapers from Germany