„Ich halte nichts von einer Maskenpflicht“
Der Präsident der Bundesärztekammer über die Corona-Beschlüsse, die Versorgung mit Schutzkleidung und die Lage in den Kliniken.
BERLIN Der Präsident der Bundesärztekammer ist als Gesundheitsexperte in der Corona-Krise ein gefragter Gesprächspartner. Zwischen vielen Video-Konferenzen findet Klaus Reinhardt trotzdem Zeit für unser Telefon-Interview.
Deutschland wird international als vorbildlich im Corona-Krisenmanagement gelobt. Können Sie das aus Sicht der Ärzte bestätigen? Reinhardt Ja, das kann ich. Die von Bund und Ländern beschlossenen Einschränkungen des öffentlichen Lebens waren richtig und werden von den Menschen akzeptiert. Aber auch Ärzte, ihre Medizinischen Fachangestellten in den Praxen und das Pflegepersonal haben viel dazu beigetragen, dass die Lage nach wie vor unter Kontrolle ist. In den Krankenhäusern haben wir so viele Kapazitäten freigehalten, dass wir in Deutschland weit von den Verhältnissen in Italien, Spanien oder Frankreich entfernt sind. Wir sind gut vorbereitet – bis auf eine Einschränkung, dass wir nicht ausreichend Schutzkleidung und Masken vorgehalten haben.
Wie ist die Stimmung in den Arztpraxen und Kliniken?
Reinhardt In den Praxen hat sich die Stimmung gebessert, weil wir jetzt endlich mehr Schutzkleidung und Masken bekommen. Viele Dinge haben sich jetzt eingespielt. Patienten mit Corona-Symptomen wissen etwa, dass sie sich zunächst telefonisch in der Praxis melden sollen, um an Randzeiten einbestellt zu werden. Derzeit haben wir nicht einmal einen Corona-Fall pro vertragsärztlicher Praxis…
Wie läuft die Ausstattung mit Schutzkleidung?
Reinhardt Wie gesagt, die Versorgung mit Schutzkleidung hat sich verbessert, weil zunehmend mehr heimische Betriebe ihre Produktion darauf umgestellt haben. Zudem funktioniert jetzt auch wieder der Import einigermaßen, obwohl es starke internationale Konkurrenz um diese Produkte gibt. Aus dieser Krise werden wir sicher lernen müssen, dass wir uns künftig entsprechende nationale Reserven für Schutzkleidung und Masken zulegen und zu einem guten Teil auch in Deutschland, mindestens aber in Europa produktionsfähig sein müssen.
Wäre eine generelle Maskenpflicht besser gewesen als eine „dringende Empfehlung“zum Maskentragen? Reinhardt Ich halte davon nichts, weil wir nicht genügend Masken zur Verfügung haben, die die Bevölkerung effektiv schützen könnten. Außerdem befürchte ich, dass wir dann die asiatische Kultur des Maskentragens in jedem Winter übernehmen. Ich finde es im Übrigen nicht wünschenswert, dass wir uns gegenseitig überwiegend als Keimträger betrachten sollten.
Wie bewerten Sie die Beschlüsse von Bund und Ländern insgesamt? Reinhardt Bund und Länder versuchen, den Bürgern eine Perspektive für eine schrittweise Normalisierung der Lage zu geben. Das finde ich gut und richtig. Im Beschlusspapier finden sich auch einige konkrete Daten, etwa für die Öffnung bestimmter kultureller Einrichtungen und für Teile des Einzelhandels. Insgesamt hätte ich mir aber einige Lockerungen mehr vorstellen können. Vor allem brauchen wir einen klaren Stufenplan für die Wiederaufnahme des Schulbetriebs. Da bleiben Bund und Länder viel zu unkonkret.
Brauchen wir die Kontaktsperre aus medizinischer Sicht wirklich noch bis 3. Mai?
Reinhardt Für dieses Datum gibt es keine konkrete wissenschaftliche oder medizinische Grundlage. Ohnehin sind weitere Studien zum Nutzen von Kontaktbeschränkungen notwendig. Insofern lässt sich
Ihre Frage nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworten. Zwischenergebnisse von laufenden Studien zeigen aber, dass besondere Gefahren von größeren Zusammenkünften auf engstem Raum ausgehen. Das konnten wir für Karnevalssitzungen nachweisen und das gilt natürlich auch für das Beisammensein von vielen Menschen in Clubs oder Bars. Hier sind Beschränkungen auch weiterhin dringend erforderlich.
Welche Regeln hätte man zusätzlich lockern können?
Reinhardt Die Akzeptanz in der Bevölkerung zum Abstandsgebot muss erhalten bleiben und weiter gesteigert werden. Das wird nur gehen, wenn die sozialen Einschränkungen auf ein erträgliches Maß begrenzt werden. Um vor allem Kinder aus prekären Verhältnissen zuhause herauszubringen, sollten jetzt schrittweise die Schulen und Kitas wieder öffnen.
Wie gut sind die Krankenhäuser jetzt auf einen Anstieg der Infektionszahlen vorbereitet?
Reinhardt Wir haben aktuell 9300 freie Intensivbetten. Planbare und weniger dringliche Eingriffe werden verschoben, damit genügend Kapazitäten für die Versorgung von Corona-Patienten zur Verfügung stehen. Im Moment gibt es überhaupt keinen Hinweis darauf, dass wir auf eine Überforderung der Krankenhäuser zusteuern. Die Belegungslage der Krankenhäuser lässt sich natürlich nicht verlässlich vorhersagen. Zum aktuellen Zeitpunkt und auf dem Boden der Entwicklung der letzten zwei Wochen besteht in dieser Hinsicht kein Grund, warum die Kontaktsperre noch weiter in diesem Umfang verlängert wird.
Müssen die Ärzte die Versorgung anderer Erkrankungen wegen der Corona-Krise vernachlässigen?
Reinhardt Es gibt tatsächlich eine Vielzahl von chronisch Erkrankten, die aktuell nicht in den Praxen erscheinen, obwohl sie das normalerweise tun würden. Auch die Zahl der Schlaganfall- und Herzinfarktpatienten in den Kliniken ist gerade rückläufig. Es ist zu befürchten, dass diese Menschen Praxen und Kliniken aus Angst vor einer Corona-Infektion meiden. Diese Begleiterscheinungen der Epidemie werden wir erst nach der Krise richtig einschätzen können. Deshalb mein Rat: Bei starken Schmerzen oder Anzeichen auf schwere Erkrankungen, wie zum Beispiel Blinddarmentzündungen oder Schlaganfall- und Herzinfarktsymptome, bitte immer einen Arzt konsultieren.
Wie lange wird es dauern, bis wir unser altes Leben zurück haben werden?
Reinhardt Ich glaube nicht, dass wir das Thema im Mai oder im Juni schon hinter uns haben. Wir sind erst dann wirklich durch, wenn wir einen wirksamen Impfschutz für die Bevölkerung haben. Ich hoffe aber sehr, dass wir nach der Krise sagen können, wir haben das Risiko überstatt unterschätzt.