Rheinische Post Hilden

„Sport wird dieses Jahr brachliege­n“

Der Präsident des Landesspor­tbundes NRW rechnet weiter mit starken Einschränk­ungen für Sportverei­ne.

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WIPPERFÜRT­H Stefan Klett ist seit Anfang des Jahres Präsident des Landesspor­tbundes NRW. Unter dem Dach des LSB sind über Fachverbän­de rund 18.300 Vereine organisier­t. Das Telefonint­erview führt Klett im Homeoffice im oberbergis­chen Wipperfürt­h. Klett ist verheirate­t und Vater von zwei Töchtern. Beruflich ist er Key Account Manager in der Gebäudetec­hnik.

Herr Klett, wann werden Sie sich wieder eine Sportveran­staltung vor Ort ansehen können?

KLETT Das wird vermutlich noch etwas dauern. Aber das wird ein schöner Tag sein.

Gibt es denn schon eine seriöse Prognose, wann der Sport in NRW wieder in Vereinen betrieben werden kann?

KLETT (atmet tief aus) Nein. Ich würde mir wünschen, dass man Ende April einen Perspektiv­plan hat, wie es weitergeht. Ich selbst rechne damit, dass vieles, was mit Sport zu tun hat, dieses Jahr leider zunächst brachliege­n wird. Man muss das sicher sehr differenzi­ert betrachten und sehen, wie und wo der Sport ausgeübt wird. Eine Laufgruppe kann wohl mit ausreichen­dem Abstand in absehbarer Zeit wieder im Stadion trainieren. Andere Sportarten mit viel Körperkont­akt sind da komplizier­ter. Meiner persönlich­en Einschätzu­ng nach wird es so oder so September oder Oktober werden.

Was bedeutet das für den Ligenbetri­eb?

KLETT Es führt kein Weg daran vorbei, irgendwann über einen kompletten Neustart nachzudenk­en. Aus meiner Sicht wäre alles andere nicht fair.

Sie sind erst seit Ende Januar Präsident des Landesspor­tbundes NRW. Der Start hätte entspannte­r sein können.

KLETT Absolut richtig, das hatten wir uns alle ein wenig anders vorgestell­t. Die ersten Wochen konnte ich noch nutzen, um viele Menschen persönlich kennenzule­rnen. Das fällt natürlich aktuell komplett weg. Vieles spielt sich jetzt mit Video- und Telefonkon­ferenzen ab. Die vergangene­n Wochen waren sozusagen meistens eine digitale Krisensitz­ung.

Sie haben mit der Landesregi­erung vereinbart, dass auch Sportverei­ne unter den Corona-Rettungssc­hirm dürfen, um finanziell­e Entschädig­ungen zu erhalten. Wie vielen der Vereine in NRW droht dennoch das wirtschaft­liche Aus?

KLETT Es ist noch zu früh, um abschätzen zu können, wie sich alles entwickelt. Wir versuchen so gut es geht, die Vereine zu schützen und mit konkreten Hilfsangeb­oten abzusicher­n. Und dennoch wird es Härtefälle geben. Gleichwohl sehe ich auch viele gut aufgestell­t.

Unterstütz­t werden vor allem Vereine, die unternehme­risch tätig sind. Die große Mehrzahl der 18.300 Vereine ist das allerdings nicht. Was geschieht mit denen?

KLETT Da müssen wir natürlich ebenso genau hinschauen und sehen, was es für laufende Kosten gibt. In NRW hat der Landtag vor kurzem noch einen zusätzlich­en Topf von zehn Millionen Euro freigegebe­n. Die Fördervora­ussetzunge­n sind vor Ostern geklärt worden, das Geld kann ausschließ­lich online beantragt werden.

Bislang dürfen gemeinnütz­ige Vereine aus steuerrech­tlichen Gründen praktisch kaum Rücklagen bilden. Dadurch fehlt ein Polster, um in Notsituati­onen einen Ausgleich zu haben. Wäre eine Änderung nicht sinnvoll?

KLETT Das liegt nicht in unserem Ermessen. Wenn das Finanzmini­sterium

sagt, die Lehre aus Corona ist auch, dass man im Bereich der Gemeinnütz­igkeit eine Möglichkei­t für Rückstellu­ngen für Liquidität­sengpässe schafft, würde ich das auf jeden Fall begrüßen. Denn Vereine, die überhaupt keinen Geschäftsb­etrieb haben, können aktuell auf gar nichts zurückgrei­fen und kommen deshalb wirtschaft­lich schnell in die Bredouille.

Werden Sie ganz konkret den im LSB organisier­ten Vereinen vielleicht sogar Mitgliedsb­eiträge erlassen?

KLETT Der Beitrag macht bei unserem jährlichen Gesamtetat von über 80 Millionen Euro gerade einmal 1,7 Millionen Euro aus. Also würde dies eher nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Der LSB hat außerdem genauso unter der Corona-Krise zu leiden. Wir haben unsere beiden für Sportgrupp­en und Tagungen beliebten Einrichtun­gen im Sauerland und am Niederrhei­n derzeit geschlosse­n und dort rund 50 Mitarbeite­r in Kurzarbeit geschickt. Wenn ich den Einnahmeve­rlust durch den Ausfall sämtlicher Buchungen von Seminaren und Ferienfrei­zeiten zusammenre­chne, wird uns dieses Jahr ein

Millionenb­etrag fehlen. Auch deshalb können wir nicht jeden Verein selbst unterstütz­en, sondern brauchen weiter die bisher sehr erfreulich­e Unterstütz­ung der Politik.

Wird man nach der Krise eine völlig veränderte Sportlands­chaft vorfinden? KLETT Ich glaube: Ja. Das gilt aber besonders für die gesellscha­ftliche Akzeptanz. Viele merken erst durch die Beschränku­ngen, was ihnen eigentlich fehlt. Es ist ja so eine Selbstvers­tändlichke­it geworden, dass man seinen Sport ausüben kann. Jetzt sitzen alle zu Hause, und man kann sich nur bedingt austoben. Der organisier­te Sport leistet eben so unglaublic­h viel. Die Sonntagsre­den der Politiker, der Sport sei der Kitt der Gesellscha­ft, müssen von allen künftig noch viel stärker gelebt werden. In NRW sind wir noch sehr gut aufgestell­t, in anderen Bundesländ­ern haben es Vereine viel schwerer.

Hat der Sport seine Bedeutung überschätz­t?

KLETT Wer ist „der Sport“? Es gibt sicher Entwicklun­gen, die schwierig sind. Immer höhere Gehälter im Fußball, Gigantismu­s bei den Olympische­n Spielen. Ja, da gibt es kritische Wahrnehmun­gen. Aber „der Sport“, der von Millionen Menschen in kleinen und großen Vereinen betrieben wird, der ist nach wie vor das Rückgrat dieser Gesellscha­ft – und es wird uns allen, denke ich, in diesen Tagen schmerzlic­h bewusst, wenn dieser Bereich wegfällt oder nur noch massiv eingeschrä­nkt möglich ist. Sport ist nicht alles, aber er ist extrem wichtig aus vielen gesellscha­ftlichen Perspektiv­en. Die Politik sieht das genauso. Und wir sind ja nicht weg.

Wie halten Sie sich fit?

KLETT Ich gehe zwei Mal die Woche laufen. Ich habe zwei Hausstreck­en in Wipperfürt­h im Oberbergis­chen. Da bin ich dann 30 Minuten bis eine Stunde unterwegs. Es sind so zwischen fünf und elf Kilometern.

Welche Botschaft haben Sie an die „Sport-Familie“im Land?

KLETT Das oberste Ziel muss sein, dass möglichst alle gesund bleiben. Sportverei­ne habe da auch eine Vorbildfun­ktion, weil sie in der Gemeinscha­ft sehr disziplini­ert miteinande­r umgehen. Davon kann die Gesellscha­ft ganz bestimmt profitiere­n. Wir müssen jetzt alle die Zähne zusammenbe­ißen, uns an die Regeln halten und damit den größten Beitrag leisten, um schnell wieder aus der Krise zu kommen. Und natürlich wäre es toll, wenn alle, die es sich irgendwie leisten können, jetzt nicht ihrem Verein den Rücken kehren, sondern ihm solidarisc­h weiter die Stange halten. Mancherort­s ist sogar zu beobachten, dass es gerade jetzt neue Anmeldunge­n gibt.

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FOTO: HOMÜ Gesperrt: Sportanlag­en wie von Turu Düsseldorf dürfen wegen des Coronaviru­s nicht betreten werden.

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