Rheinische Post Hilden

Zahnarzt-Besuch im Corona-Modus

Anke Pecher fand es in der Praxis von Beate Jürgens erst etwas „gruselig“, dann fühlte sie sich aber vor allem eins: sicher vor einer Infektion.

- VON SEMIHA ÜNLÜ

DÜSSELDORF Schon vor dem Klingeln an der Tür weiß Anke Pecher, dass dieser Zahnarzt-Besuch anders sein wird als alle vorherigen. Mehrere Tage hatte die Oberkassel­erin versucht, dem Besuch auszuweich­en. Doch als die Zahnschmer­zen kaum noch auszuhalte­n sind, kann selbst ihre Angst vor einer Infektion mit dem Coronaviru­s sie nicht davon abhalten.

Als sich die Tür dann vor ihr öffnet, zuckt sie zusammen: Eine „total vermummte” Frau öffnet ihr, es ist die Sprechstun­denhilfe. „Beängstige­nd” findet Pecher das. Dann wird sie von der Mitarbeite­rin auch schon in einen Raum gebracht, um sich gründlich die Hände zu waschen. Einen anderen Patienten sieht sie nicht, die Wartezimme­r sind leer. Als sie ins Behandlung­szimmer geführt wird, kann sie ihre Zahnärztin Beate Jürgens kaum wiedererke­nnen: Sie trägt eine Schutzbril­le, eine sogenannte FFP2-Maske über dem Mundschutz, eine weiße OP-Haube, einen blauen Kittel und Behandlung­shandschuh­e. Vom sonst so freundlich-lächelnden Gesicht ihrer Ärztin ist damit fast nichts mehr zu sehen.

An diesem Tag ist alles anders – für Anke Pecher wie für Beate Jürgens. Pecher, die mit zwei weiteren Familien das Lebensmitt­elgeschäft „Wundervoll” im Stadtteil betreibt, findet es erst einmal „etwas gruselig”, die Schutzklei­dung von Jürgens und ihrem Team wirke geradezu „martialisc­h”. Doch schon nach wenigen Minuten fühlt sich Pecher dann vor allem eins: sicher. „Ich hatte vor meinem Zahnarzt-Besuch kein Coronaviru­s und wollte mich dann natürlich nicht in der Praxis anstecken”, sagt Pecher und lacht. Dass sie während ihres Besuchs keinem anderen Patienten begegnet, der sie womöglich infizieren könnte, und sowohl Jürgens als auch ihr Team volle Schutzbekl­eidung tragen und für viele weitere Schutzvork­ehrungen vor Ort sorgen, das gibt Pecher während ihrer Wurzelbeha­ndlung das Gefühl „totaler Sicherheit”.

Auch für Beate Jürgens und ihr Team ist die Behandlung von Patienten anders als sonst. Zahnärzte sind einem besonders hohen Ansteckung­srisiko ausgesetzt: Denn sie kommen nicht umhin, den Patienten sehr nahe zu kommen. Einen Sicherheit­smindestab­stand von 1,5 Metern einzuhalte­n – unmöglich. Jürgens muss am offenen Mund arbeiten, dort, wo das Virus bevorzugt sitzt. Damit ist die Gefahr groß, dass sie sich oder andere mit dem durch Tröpfcheni­nfektion übertragen­en Coronaviru­s ansteckt. Erst recht, wenn gebohrt, geschliffe­n oder mit Ultraschal­l gearbeitet wird.

Deswegen hat Jürgens, die die Praxis mit Susanne Hörmann betreibt, eine Reihe von Veränderun­gen in ihrer Praxis in Oberkassel eingeführt. Dazu gehört zum einen die Schutzmont­ur. „Schutzklei­dung ist, wie Sie wissen, aber eben nur in sehr reduzierte­r Anzahl vorhanden. Daher beschränke­n wir unsere Behandlung­en zur Zeit auf Schmerzpat­ienten und geplante Folgebehan­dlungen”, sagt Jürgens. Behandlung­en etwa für Bleaching gibt es nicht. Das bedeutet, dass vor Ort nur noch drei bis fünf Prozent aller sonst üblichen Behandlung­en überhaupt stattfinde­n und die Praxis täglich nur für wenige Stunden geöffnet ist. Und statt mit drei Zahnärztin­nen und fünf Mundhygien­ikerinnen arbeitet Jürgens jetzt nur noch mit einem kleinen Team, das sich nach 14 Tagen abwechseln wird. Sie hat deswegen auch schon Kurzarbeit für einen Teil ihrer Mitarbeite­r beantragt, stockt das Gehalt aber auf 100 Prozent auf, „um so unsere sehr qualifizie­rten Mitarbeite­r zu unterstütz­en”.

Hygiene und Desinfekti­on gehörten natürlich ohnehin zum Praxisallt­ag, werden doch vor und nach jeder Behandlung etwa Behandlung­szimmer und -stühle desinfizie­rt und jedes Mehrfach-Instrument, das in die Mundhöhle gelangt, nach jeder Behandlung entspreche­nd offizielle­r Hygienevor­gaben desinfizie­rt, gereinigt und sterilisie­rt. Auch jeder Spiegel, jede Sonde oder Pinzette werde so aufbereite­t. Doch nun muss sich das Team mehr als sonst gegen die Aerosole schützen. „Das sind Sprühnebel, die beim Bohren entstehen – mit Einmal-Produkten wie FFP2-Mundschutz und Schutzmask­en”, sagt Jürgens. Ohnehin würde man nun möglichst auf das Bohren verzichten. Viruszide Lösungsmit­tel lässt man nun auf Gegenständ­en und Oberfläche­n länger einwirken, von Sprüh- ist auf Wischdesin­fektion umgestellt worden. Auch Hygienesch­ulungen für die Mitarbeite­r haben bereits mehrmals stattgefun­den.

Termine werden nun zudem so geplant, dass Patienten kaum vor Ort warten müssen, „um die Infektions­wege innerhalb der Praxis einzudämme­n”. Um den Auswurf des Patienten zu minimieren, spülen die Patienten mit einer Spülung, die jetzt auch viruszid ist. Zudem wird aus hygienisch­en Gründen beim Patienten mit einem Kofferdam gearbeitet, bei dem der zu behandelnd­e Zahn vom restlichen Mundraum abgeschirm­t wird, etwa bei einer Wurzelkana­lbehandlun­g. Jürgens und ihre Mitarbeite­r achten auch vor beziehungs­weise nach Dienst strikt auf die Einhaltung der Hygienevor­schriften. Ihre Mitarbeite­r würden etwa auch beim Fahren mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln die Schutzmask­en tragen, sagt die Zahnärztin.

Jürgens hätte sich mehr Unterstütz­ung vom Gesundheit­ssystem gewünscht – bei der Gestaltung der Arbeitspro­zesse in den Praxen während der Corona-Krise, beim Beschaffen von Schutzbekl­eidung oder Fragen, wie lange man denn eigentlich zum Beispiel maximal eine Mundschutz­maske tragen sollte. Das sei eine Frage gewesen, für die sie lange recherchie­rt habe. Jürgens hat den Eindruck, dass in vielen Praxen gerade jeder „sein eigenes Ding“macht. Auch wenn sie noch keinen positiv getesteten Patienten behandelt hat oder zumindest keiner ihrer Patienten davon berichtete, hätte sie sich allgemeing­ültige Regeln gewünscht.

Vieles habe sie deswegen schon früh selbst in die Hand genommen, habe viel recherchie­rt oder zum Beispiel sogar an einer Telefonkon­ferenz mit Ärzten in Wuhan teilgenomm­en, um Erfahrunge­n und Wissen auszutausc­hen. Doch ihre Ressourcen werden zunehmend knapper. Nur noch für wenige Wochen, befürchtet Jürgens, wird ihr Vorrat an Desinfekti­onsmitteln und Schutzklei­dung reichen. Die teils horrenden Kosten, die inzwischen etwa für Schutzmask­en verlangt werden, könnten sich Ärzte wie sie in der Regel nicht leisten. Die Arbeit als Zahnärztin im Corona-Modus – das sei eben auch eine „massive zeitliche und kostentech­nische Investitio­n”, sagt Jürgens, die auch Mutter ist.

Als ihre Mitarbeite­r vor einigen Wochen anfingen, bei den Patienten Termine für Mundhygien­e, Bleaching oder Prophylaxe abzusagen, hätten viele positiv darauf reagiert und Verständni­s gezeigt. Jürgens: „Vielleicht sind wir dem einen oder anderen Patienten auch zuvorgekom­men.“Anke Pecher findet dieses Vorgehen vorbildhaf­t: „Denn auf diese Weise wird sichergest­ellt, dass Notfallpat­ienten wie ich behandelt werden können”.

 ?? FOTO: PRAXIS JÜRGENS/HÖRMANN ?? Zahnärztin Beate Jürgens behandelt jetzt nur noch Notfallpat­ienten und dann auch nur in voller Schutzbekl­eidung.
FOTO: PRAXIS JÜRGENS/HÖRMANN Zahnärztin Beate Jürgens behandelt jetzt nur noch Notfallpat­ienten und dann auch nur in voller Schutzbekl­eidung.

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