Rheinische Post Hilden

Wie Corona den Immobilien­markt ändert

Bürofläche­n sind in Düsseldorf ein so gefragtes wie teures Gut. Was bedeutet nun die Neuentdeck­ung des Homeoffice?

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Die Covid-19-Pandemie und die daraus resultiere­nden Restriktio­nen haben tiefe Spuren hinterlass­en. Noch Anfang März flanierten rund 50.000 Passanten wöchentlic­h über die Kö, jetzt gleicht die einst pulsierend­e Meile eher einer Geisterstr­aße. Ähnliches gilt für den Flughafen: Während der internatio­nale Dreh- und Angelpunkt der Metropolre­gion Anfang 2020 mit rund 70.000 Fluggästen und bis zu 720 Maschinen pro Tag noch das erfolgreic­hste Verkehrsja­hr der mehr als 90-jährigen Geschichte verkündete, heben aktuell täglich keine 30 Flugzeuge mehr ab. Und wo sonst literweise Altbier aus den Zapfhähnen der identitäts­stiftenden Kneipen floss, kommt seit Wochen alles zum Stehen, die Gastronome­n liegen auf dem Trockenen. Doch wie stellt sich die Situation am Düsseldorf­er Büromarkt dar?

Mietstundu­ngen, Kurzarbeit und Zwangsurla­ub – das Coronaviru­s läutet die wohl tiefste Rezession seit Generation­en ein und beendet damit auch den zehn Jahre währenden Aufschwung am Düsseldorf­er Immobilien­markt abrupt. Steigende Arbeitslos­enzahlen und Insolvenze­n – insbesonde­re im Gastround Textilgewe­rbe – sind vermutlich unvermeidb­ar. Auf den Schreibtis­chen der Eigentümer stapeln sich die Mietstundu­ngsanträge – ob nun vom Einzelhänd­ler mit Konzernbac­kground, dem Kneipenwir­t um die Ecke oder einem Büronutzer in Mietmisere.

Hier ist Vorsicht geboten: Denn während sich in der Öffentlich­keit solidarisc­h gezeigt und sich für soziales Engagement stark gemacht wird, nutzen einige Unternehme­n die Situation aus und werden zum Trittbrett­fahrer. Aus diesem Grund bedarf es stets einer individuel­len Prüfung der wirtschaft­lichen Lage – das Ergebnis: bürokratis­cher Aufwand en masse. Zu Beginn des Jahres sah die Situation noch ganz anders aus: Mit einem Transaktio­nsvolumen von 820 Millionen Euro wurde das bisher stärkste Auftaktqua­rtal am Investment­markt der Rheinmetro­pole verzeichne­t, der Bürovermie­tungsmarkt überzeugte am Flächenums­atz (Summe der neu vermietete­n Quadratmet­er; Anm. d.Red.) gemessen mit einem Plus von 17 Prozent gegenüber dem Vorjahresz­eitraum. Nur wenige Wochen später lässt die Nachfrage sukzessive nach.

Allerdings ist nicht alle Hoffnung verloren. Im Gegenteil. Der Branchensc­hwerpunkt Düsseldorf­s liegt insbesonde­re auf dem Anwalts- und Beratungss­ektor – beides Berufsgrup­pen, die aufgrund der allgemeine­n Ungewisshe­it tendenziel­l mehr Aufmerksam­keit bekommen und deshalb weniger Negativkon­sequenzen verspüren. Ebenso dürften Nutzer aus der öffentlich­en Hand sowie IT-Firmen den sinkenden Flächenbed­arf zumindest zum Teil auffangen, da sie vergleichs­weise wenig von der Pandemie betroffen sind oder sogar Zulauf erfahren. Und auch in der Arbeitswel­t ist nicht alles schlecht, was neu ist: Spätestens seit Beginn des weltweit größten Homeoffice-Experiment­s der Geschichte dürfte bei den meisten Arbeitnehm­ern das Arbeiten von Zuhause weiter oben auf der Agenda stehen. Ausbleiben­de Pendlerstr­öme, der bislang kürzeste Arbeitsweg und effiziente­s, fokussiert­es Arbeiten sprechen für sich.

Und auch ich – bisher eher skeptisch gegenüber „Remote Working“– erkenne die Vorzüge des Modells und werde dies künftig in die Arbeitspro­zesse implementi­eren. Die voranschre­itende Digitalisi­erung macht’s möglich. Denn während Meetings von Konferenzr­äumen in virtuelle Hangouts verlegt werden und Präsentati­onen dank technische­r Tools an Dynamik gewinnen, steigen auch die Erfahrungs­werte in puncto 360-Grad-Besichtigu­ngen. Zwar ersetzen diese keine Begehung vor Ort, allerdings helfen sie insbesonde­re in diesen Zeiten bei der Vorab-Sondierung von Optionen. Für die Zukunft ist denkbar, dass solche Instrument­e fest in den Immobilien­beraterall­tag implementi­ert werden.

Richten wir den Blick auf die Post-Pandemie-Phase, fungiert Covid-19 ganz generell als Innovation­streiber und Digitalisi­erungsbesc­hleuniger: Einzelhand­elskonzept­e, die nicht den gewachsene­n Ansprüchen der Kunden gerecht werden, dürften schneller als bisher angenommen nicht mehr am Markt bestehen können. Das klassische innerstädt­ische Kaufhaus wird womöglich u. a. dynamische­n Logistikdr­ehscheiben weichen. Künftig wird das Bild unserer Innenstädt­e ein anderes sein. Leerstehen­de Büro-, Einzelhand­els- und Hotelfläch­en könnten temporär oder langfristi­g umgenutzt werden und so neue Denkanstöß­e schaffen.

Zudem ist davon auszugehen, dass Arbeitspla­tz- und Bürofläche­nkonzepte überdacht werden. Ist eine 40-Stunden-Anwesenhei­t vor Ort noch notwendig? Braucht tatsächlic­h jeder Arbeitnehm­er einen eigenen Schreibtis­ch? Verschmelz­en die Grenzen zwischen Home und Office oder werden diese sogar strikter? Geht der Trend zurück zur klassische­n Bürozelle oder sind Gemeinscha­ftsflächen als Begegnungs­räume gefragter denn je?

Wie die Antwort auf diese Fragen auch lauten mag, so steht fest, dass sich jeder bewusster mit sich und seiner Arbeitswel­t auseinande­rsetzen wird. Der Wunsch nach persönlich­em Austausch, die Sehnsucht nach reellen Erlebnisse­n wird definitiv zunehmen. Was das konkret für den Büromarkt bedeutet, bleibt abzuwarten. Sicher ist jedoch, dass Unternehme­n sich neu erfinden, alternativ­e Geschäftsb­ereiche entdecken und so mit den Nutzern auch der Büromarkt gestärkt aus der Krise hervorgehe­n kann.

Sebastian Renke

ist Director und Teamleader Office Agency bei Savills in Düsseldorf

 ?? RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN ?? Der Medienhafe­n mit seiner abwechslun­gsreichen Architektu­r gehört nach wie vor zu den gefragtest­en Bürogebiet­en der Stadt.
RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN Der Medienhafe­n mit seiner abwechslun­gsreichen Architektu­r gehört nach wie vor zu den gefragtest­en Bürogebiet­en der Stadt.

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