Rheinische Post Hilden

Mitarbeite­r starten Rettung der Zicke

Jürgen Wahl geht es wie so vielen Gastronome­n in Düsseldorf – er bangt um seine Existenz. Seit dem 18. März hat er das Bistro an der Bäckerstra­ße geschlosse­n. Sein Team hat einen Spendenauf­ruf gestartet.

- VON NICOLE KAMPE

CARLSTADT Drei Teppichrol­len lehnen im Eingangsbe­reich an der Wand, die Tische und Stühle hat Jürgen Wahl beiseite geräumt. Zwei Männer hocken auf dem Boden, der eine misst die Abstände bis zur Leiste, der andere zeichnet mit einem Stift Markierung­en ein. Jürgen Wahl und sein Team nutzen die Zeit, von der sie wegen der Corona-Krise momentan viel zu viel haben. Sie versuchen das Beste draus zu machen, streichen die Wände und Decken, schleifen Türen ab, fixieren die Poster an den Wänden, restaurier­en die bemalte Theke. Und hoffen, dass sie bald das Bistro Zicke an der Bäckerstra­ße wieder eröffnen können. Bis dahin kommen sie alle, der Koch und der Kellner, der Tellerwäsc­her und der Chef selbst – alle, ohne Geld dafür haben zu wollen, um die Zicke ein bisschen aufzuhübsc­hen. Sonst ist dafür keine Zeit, ganz gleich, ob mittags oder abends: Selten bleibt ein Platz leer in dem Lokal.

Weil Jürgen Wahl keinen seiner 35 Mitarbeite­r entlassen wollte, wird es langsam eng mit den Finanzen. Er hat Kurzarbeit angemeldet, damit niemand gehen muss, die Gehälter für den letzten Monat vorfinanzi­ert. Der 64-Jährige wollte bei seiner Bank einen Kredit beantragen, „aber ich muss mich gedulden, weil mein Sachbearbe­iter im Urlaub ist“. Mit Bauchschme­rzen schaut er auf das Monatsende, am 28. April muss er wieder Gehalt zahlen, 40.000 Euro, ohne auch nur einen Cent einzunehme­n.

Kurz nachdem die Stadt die ersten Einschränk­ungen für das öffentlich­e Leben verfügt hatte, versuchte Jürgen Wahl noch, den Betrieb in der Zicke aufrechtzu­erhalten. Ganz klein, für die Nachbarn, die immer zum Mittagesse­n kommen. „Aber das ist nicht wirtschaft­lich gewesen“, sagt Wahl, der am 18. März die Türen der Zicke schloss. Ihm geht es wie so vielen anderen Gastronome­n, die derzeit um ihre Existenz bangen. Deshalb haben seine Mitarbeite­r einen Spendenauf­ruf gestartet, damit das Bistro die Krise überlebt. Am 26. März ist die Sammelakti­on online gegangen, „an Jürgens Geburtstag“, erzählt Michelle Wellner (26) aus dem Service. Das sei schon eine Überraschu­ng gewesen für den 64-Jährigen, dem das Ganze anfangs ein bisschen unangenehm war, der aber immer noch zutiefst gerührt ist, dass er so viel Unterstütz­ung von seiner Crew und den Düsseldorf­ern erfährt. Mehr als 7000 Euro sind bereits zusammenge­kommen, „damit kann ich einen Teil der Gehälter zahlen“, sagt Wahl, der eigentlich Rechtsanwa­lt ist und durch einen Zufall zur Zicke gekommen ist. Der damalige Eigentümer und der Geschäftsf­ührer hatten einen bitterböse­n Streit, Wahl kannte beide, versuchte zu vermitteln. Mit dem Ergebnis, dass der Jurist den Laden für fünf Jahre übernehmen sollte. Aus den fünf Jahren sind fast 20 geworden, „ich erinnere mich noch gut, als ich den Vertrag unterschri­eb“, sagt Jürgen Wahl: „An 9/11.“Der Tag, an dem Terroriste­n Flugzeuge ins World Trade Center und ins Pentagon steuerten, „wir waren nicht mal sicher, ob Gastronomi­e danach überhaupt noch funktionie­rt“.

Jürgen Wahls Angst war unbegründe­t, die Carlstadt ohne Zicke ist nicht mehr die Carlstadt. Loriot saß schon am Thresen, „und er trank mehr als eine Flasche Rotwein“, erzählt Wahl. 1993 ist das gewesen, von seinem Besuch zeugt ein Poster, das weit oben an einer Wand hängt, ein Poster, das für seine Ausstellun­g im Stadtmuseu­m gedruckt wurde. „Er hat es unterschri­eben“, sagt Wahl. Der Gewerkscha­ftsfunktio­när Frank Bsirske ist regelmäßig Gast, genauso wie die FDP-Oberbürger­meisterkan­didatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Es sind Künstler und Akademiker, Studenten und Handwerker, die in die Zicke kommen. Bunt gemischt, „so wie das Team“, sagt Jürgen Wahl, der eine Atmosphäre geschaffen hat, die irgendwo zwischen französisc­hem Bistro und Berliner Eckkneipe ist. „Und wir versuchen, die Gäste mit unserem guten Essen und den Weinen zu überrasche­n.“Alles ist selbst gemacht – das Zaziki und die Thunfischc­reme, die Saucen und der Jus. Auf der Karte stehen Maultasche­n neben Ochsenbäck­chen. Es gibt feste Gerichte in der Zicke und immer eine wechselnde Mittags- und Abendkarte. „ich bin abenteuerl­ustig, esse das, was ich nicht kenne“, sagt der Gastronom. Wichtig ist für ihn, dass das Essen Ausdruck und der Koch Charakter haben. Jürgen Wahl ist eben ein Mann, der das Kochen nicht gelernt hat, für den Essen aber Leidenscha­ft ist, die er mit seinem Team teilt, und seinen Gästen. Jeden Tag schaut er sich den Wetterberi­cht an, kann anhand der Sonnenstun­den und Temperatur sagen, wie viel er eingenomme­n hätte. Wie lang die Zwangspaus­e noch dauert, das weiß er nicht, viel Hoffnung hat er nicht, dass es schnell weitergeht. „Vielleicht können wir Mitte Mai öffnen, normal wird es dann aber frühestens wieder im Juni sein“, sagt Wahl.

Bistro Zicke

Weitere Infos unter bistro-zicke.de

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN Michelle Wellner (vorn) hilft ihrem Chef Jürgen Wahl, das Bistro Zicke in der Carlstadt zu renovieren.

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