Die Toten von New York
Die Metropole kämpft nicht nur mit den Folgen der Corona-Pandemie, sondern auch mit Gerüchten, Halbwahrheiten und Datensalat.
NEW YORK
Bereits seit 1869 ist Hart Island ein unzugänglicher Friedhof für Arme und unbekannte Tote. Einmal pro Woche – neuerdings öfter – heben Arbeiter auf der Insel Gräben aus, in denen einfache Särge reihenweise unter die Erde kommen; akribisch halten sie nach, wer wo liegt. Um Aufmerksamkeit für das Hart Island Project zu schaffen, das online die Geschichten der Toten erzählt, veröffentlichte die Künstlerin Melinda Hunt Anfang April das Drohnenvideo eines typischen Massenbegräbnisses – und bereitete damit den Boden für Missverständnisse. Bald verbreitete sich das Gerücht, New York plane Massenbegräbnisse in einem Park – angestoßen von einer Serie von Tweets des New Yorker Stadtrats Mark Levine, die dieser bald wieder löschte.
Tatsächlich steigt die Anzahl der Menschen nicht mehr, die mit Covid-19
ins Krankenhaus müssen, und auch beim Notruf scheint sich die Lage zu entspannen. Am Sonntag registrierte man mit ungefähr 4000 medizinischen Notrufen erstmals wieder das übliche Tagesniveau. Zu Spitzenzeiten Ende März waren 6500 medizinische Notrufe an einem Tag eingegangen – einer alle 15 Sekunden. Um das Aufkommen abzufedern, schickte die US-Katastrophenschutzbehörde Fema Anfang April 250 Krankenwagen samt Besatzung, und die New Yorker Feuerwehr steuert schnelle Einsatzkräfte bei, mit deren Fahrzeugen zwar kein Krankentransport möglich ist, wohl aber eine Behandlung.
Doch nun berichten Sanitäter immer öfter von Menschen, denen sie nicht mehr helfen können. In den ersten Apriltagen mussten New Yorker Krankenwagen-Teams deutlich mehr als 200 Todesfälle am Tag bewältigen. Vor Beginn der Pandemie lag der New Yorker Durchschnitt für Todesfälle nach einem Notruf bei 20 bis 25. Das hat zu Spekulationen darüber geführt, wie viele dieser Menschen an Covid-19 gestorben sind – und dennoch nicht in der Statistik auftauchen.
Wie anderswo beziehen sich die New Yorker Daten zu „Infizierten“nicht auf alle Erkrankten, sondern nur auf Personen, die positiv auf das Virus getestet wurden. Dass dasselbe auf die Anzahl der an Covid-19 Gestorbenen zutrifft, brockte der Stadt aber Vorwürfe ein, sie unterschlage Daten.
Schließlich führte das Gesundheitsamt am Dienstag eine neue Spalte in die Covid-19-Statistik ein: Neben „bestätigt“gibt es da nun auch „wahrscheinlich“– für ungetestete Menschen, bei denen man von einem Covid-19-Tod ausgeht. Diese neue Zählart ließ nun die Gesamtzahl der Coronavirus-Toten in New York mit fast 4000 neuen Daten über die 10.000er-Schwelle springen – kein realer, sondern ein statistischer Anstieg.