Der Sieg über Saddam Hussein brachte Chaos und Terror
Vor 17 Jahren eroberten amerikanische Soldaten die irakische Hauptstadt Bagdad – ein Ereignis, das die Machtverhältnisse in der Region verschob.
BAGDAD Als amerikanische Panzer am Nachmittag des 9. April 2003 auf den Firdos-Platz im Zentrum der irakischen Hauptstadt Bagdad rollten, wurden sie von einer jubelnden Menge begrüßt. US-Soldaten legten eine Kette um eine Statue des Diktators Saddam Hussein und zogen die Bronze-Skulptur mit einer Seilwinde vom Sockel. Der Moment wurde zum Symbol eines Wendepunktes für den Irak und den ganzen Nahen Osten.
Die damalige amerikanische Regierung von Präsident George W. Bush hoffte nach dem Sturz des Diktators auf einen pro-westlichen Domino-Effekt, der Stabilität, Wohlstand und Demokratie in der ganzen Region verbreiten sollte. Doch 17 Jahre nach dem historischen Augenblick auf dem Firdos-Platz sieht die Bilanz ganz anders aus. Sie lautet: Destabilisierung des Irak, Entstehung des Islamischen Staats (IS), Machterweiterung des Iran und Rückzug der USA aus Nahost.
Schon an jenem 9. April registrierten Beobachter in Bagdad erste Zeichen von Chaos und Unrecht, die in den Folgejahren die Entwicklung im Irak bestimmen sollten. Im
Zentrum der iranischen Hauptstadt waren Plünderer unterwegs, wie der amerikanische Journalist John Lee Anderson damals notierte: „Jeder nahm sich, was er konnte.“Gebäude wurden in Brand gesetzt, Geschäfte leergeräumt, Autos gestohlen. Die irakischen Ordnungskräfte waren geflohen. Bushs „geopolitisches Fiasko“, wie die „Financial Times“den Irak-Krieg einmal beschrieb, nahm seinen Anfang.
Unter dem Vorwand, Saddam besitze Massenvernichtungswaffen, hatten USA und Großbritannien die Operation „Irakische Freiheit“losgetreten. Doch sie kümmerten sich nicht um eine Nachkriegsordnung. Saddams Sicherheitsapparat und die regierende Baath-Partei wurden aufgelöst, was viele Offiziere radikalisierte und die öffentliche Verwaltung zerstörte. Die Wirtschaft des ölreichen Landes stürzte ins Bodenlose – noch heute lebt jeder fünfte der 40 Millionen Iraker unterhalb der Armutsgrenze.
Der Konflikt zwischen der schiitischen Mehrheit im Irak und der sunnitischen Minderheit, die unter Saddam im Land geherrscht hatte, brach sich Bahn. Nach einer Zählung der spendenfinanzierten Aktion „Iraq Body Count“starben bis zum Jahr 2017 mehr als 200.000 Zivilisten bei Gewalttaten.
Misshandlungen und sogar Folter von Gefangenen durch die US-Truppen unterminierten die Glaubwürdigkeit der westlichen Supermacht und nützte islamischen Extremisten. Der Iraker Abubakr al Bagdadi, der spätere Chef des Islamischen Staats, lernte einige seiner Gesinnungsgenossen in amerikanischer Haft kennen.
Als die US-Wähler genug hatten vom Krieg und Bushs Nachfolger Barack Obama im Jahr 2011 den Rückzug der letzten amerikanischen Invasionstruppen aus dem Irak anordnete, lag das Land immer noch in Trümmern. Drei Jahre später geriet rund ein Drittel von Syrien und fast die Hälfte des irakischen Staatsgebietes unter die Kontrolle von Bagdadis IS. Die Kurden im Nordirak scheiterten nur knapp mit dem Vorhaben, ihr Gebiet vom Rest des Landes abzuspalten.
Das politische Vakuum im Irak rief den Nachbarn Iran auf den Plan. Über schiitische Milizen und Politiker baute Teheran seinen Einfluss in Bagdad immer weiter aus. Zudem nutzte der Iran den geschwächten Irak als Brücke nach Syrien: Pro-iranische Kämpfer mischen seit Jahren im syrischen Bürgerkrieg mit. Mit der Zeit wurde der Irak zum Schlachtfeld der geopolitischen Auseinandersetzung zwischen den USA und dem Iran.
Im Januar töteten die USA den iranischen General Qassem Soleimani am Flughafen von Bagdad. Auch der Machtkampf zwischen dem Iran und der sunnitischen Führungsmacht Saudi-Arabien hat sich verschärft. Proteste der Bevölkerung gegen Korruption, Misswirtschaft und den iranischen Einfluss haben die irakische Politik seit dem vergangenen Herbst in eine neue Krise gestürzt. Ein Streit unter diversen schiitischen Gruppen lähmt die Suche nach einem neuen Ministerpräsidenten, dabei wäre wegen des Verfalls der Ölpreise und der Ausbreitung des Coronavirus entschlossenes Handeln gefragt.
Die katastrophalen Folgen des Irak-Kriegs sind ein Grund dafür, warum die USA heute im Nahen Osten anderen Akteuren das Feld überlassen: Obama verzichtete auf eine Intervention gegen den syrischen Machthaber Baschar al Assad, weil er Amerika nicht in einen neuen Krieg in Nahost verwickeln wollte. Donald Trump setzt diesen Kurs fort und will auch die letzten amerikanischen Soldaten der Anti-IS-Koalition aus Syrien abziehen.
Russland hat seine Chance erkannt und ist mit seiner massiven Militärhilfe für Assad zur neuen Nahost-Macht geworden. Heute ist klar: Die Zerstörung der Saddam-Statue auf dem Firdos-Platz in Bagdad führte zu einer Machtverschiebung im Nahen Osten, mit der die Sieger von damals zu Verlierern werden.