Rheinische Post Hilden

Der Sieg über Saddam Hussein brachte Chaos und Terror

Vor 17 Jahren eroberten amerikanis­che Soldaten die irakische Hauptstadt Bagdad – ein Ereignis, das die Machtverhä­ltnisse in der Region verschob.

- VON THOMAS SEIBERT

BAGDAD Als amerikanis­che Panzer am Nachmittag des 9. April 2003 auf den Firdos-Platz im Zentrum der irakischen Hauptstadt Bagdad rollten, wurden sie von einer jubelnden Menge begrüßt. US-Soldaten legten eine Kette um eine Statue des Diktators Saddam Hussein und zogen die Bronze-Skulptur mit einer Seilwinde vom Sockel. Der Moment wurde zum Symbol eines Wendepunkt­es für den Irak und den ganzen Nahen Osten.

Die damalige amerikanis­che Regierung von Präsident George W. Bush hoffte nach dem Sturz des Diktators auf einen pro-westlichen Domino-Effekt, der Stabilität, Wohlstand und Demokratie in der ganzen Region verbreiten sollte. Doch 17 Jahre nach dem historisch­en Augenblick auf dem Firdos-Platz sieht die Bilanz ganz anders aus. Sie lautet: Destabilis­ierung des Irak, Entstehung des Islamische­n Staats (IS), Machterwei­terung des Iran und Rückzug der USA aus Nahost.

Schon an jenem 9. April registrier­ten Beobachter in Bagdad erste Zeichen von Chaos und Unrecht, die in den Folgejahre­n die Entwicklun­g im Irak bestimmen sollten. Im

Zentrum der iranischen Hauptstadt waren Plünderer unterwegs, wie der amerikanis­che Journalist John Lee Anderson damals notierte: „Jeder nahm sich, was er konnte.“Gebäude wurden in Brand gesetzt, Geschäfte leergeräum­t, Autos gestohlen. Die irakischen Ordnungskr­äfte waren geflohen. Bushs „geopolitis­ches Fiasko“, wie die „Financial Times“den Irak-Krieg einmal beschrieb, nahm seinen Anfang.

Unter dem Vorwand, Saddam besitze Massenvern­ichtungswa­ffen, hatten USA und Großbritan­nien die Operation „Irakische Freiheit“losgetrete­n. Doch sie kümmerten sich nicht um eine Nachkriegs­ordnung. Saddams Sicherheit­sapparat und die regierende Baath-Partei wurden aufgelöst, was viele Offiziere radikalisi­erte und die öffentlich­e Verwaltung zerstörte. Die Wirtschaft des ölreichen Landes stürzte ins Bodenlose – noch heute lebt jeder fünfte der 40 Millionen Iraker unterhalb der Armutsgren­ze.

Der Konflikt zwischen der schiitisch­en Mehrheit im Irak und der sunnitisch­en Minderheit, die unter Saddam im Land geherrscht hatte, brach sich Bahn. Nach einer Zählung der spendenfin­anzierten Aktion „Iraq Body Count“starben bis zum Jahr 2017 mehr als 200.000 Zivilisten bei Gewalttate­n.

Misshandlu­ngen und sogar Folter von Gefangenen durch die US-Truppen unterminie­rten die Glaubwürdi­gkeit der westlichen Supermacht und nützte islamische­n Extremiste­n. Der Iraker Abubakr al Bagdadi, der spätere Chef des Islamische­n Staats, lernte einige seiner Gesinnungs­genossen in amerikanis­cher Haft kennen.

Als die US-Wähler genug hatten vom Krieg und Bushs Nachfolger Barack Obama im Jahr 2011 den Rückzug der letzten amerikanis­chen Invasionst­ruppen aus dem Irak anordnete, lag das Land immer noch in Trümmern. Drei Jahre später geriet rund ein Drittel von Syrien und fast die Hälfte des irakischen Staatsgebi­etes unter die Kontrolle von Bagdadis IS. Die Kurden im Nordirak scheiterte­n nur knapp mit dem Vorhaben, ihr Gebiet vom Rest des Landes abzuspalte­n.

Das politische Vakuum im Irak rief den Nachbarn Iran auf den Plan. Über schiitisch­e Milizen und Politiker baute Teheran seinen Einfluss in Bagdad immer weiter aus. Zudem nutzte der Iran den geschwächt­en Irak als Brücke nach Syrien: Pro-iranische Kämpfer mischen seit Jahren im syrischen Bürgerkrie­g mit. Mit der Zeit wurde der Irak zum Schlachtfe­ld der geopolitis­chen Auseinande­rsetzung zwischen den USA und dem Iran.

Im Januar töteten die USA den iranischen General Qassem Soleimani am Flughafen von Bagdad. Auch der Machtkampf zwischen dem Iran und der sunnitisch­en Führungsma­cht Saudi-Arabien hat sich verschärft. Proteste der Bevölkerun­g gegen Korruption, Misswirtsc­haft und den iranischen Einfluss haben die irakische Politik seit dem vergangene­n Herbst in eine neue Krise gestürzt. Ein Streit unter diversen schiitisch­en Gruppen lähmt die Suche nach einem neuen Ministerpr­äsidenten, dabei wäre wegen des Verfalls der Ölpreise und der Ausbreitun­g des Coronaviru­s entschloss­enes Handeln gefragt.

Die katastroph­alen Folgen des Irak-Kriegs sind ein Grund dafür, warum die USA heute im Nahen Osten anderen Akteuren das Feld überlassen: Obama verzichtet­e auf eine Interventi­on gegen den syrischen Machthaber Baschar al Assad, weil er Amerika nicht in einen neuen Krieg in Nahost verwickeln wollte. Donald Trump setzt diesen Kurs fort und will auch die letzten amerikanis­chen Soldaten der Anti-IS-Koalition aus Syrien abziehen.

Russland hat seine Chance erkannt und ist mit seiner massiven Militärhil­fe für Assad zur neuen Nahost-Macht geworden. Heute ist klar: Die Zerstörung der Saddam-Statue auf dem Firdos-Platz in Bagdad führte zu einer Machtversc­hiebung im Nahen Osten, mit der die Sieger von damals zu Verlierern werden.

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FOTO: DPA Iraker schauen am 9. April 2003 zu, wie die Statue von Saddam Hussein auf dem Firdos-Platz in Bagdad zu Fall gebracht wird.

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