Rheinische Post Hilden

Beatmungsg­eräte aus dem 3D-Drucker

Wissenscha­ftler der RWTH Aachen helfen in der Corona-Krise bei Problemen in der medizinisc­hen Versorgung.

- VON ISABELLE DE BORTOLI

AACHEN Wie können wir den Ärzten und Pflegekräf­ten in unseren Krankenhäu­sern in Zeiten der Corona-Pandemie ganz praktisch helfen? Diese Frage stellten sich Wissenscha­ftler der RWTH Aachen gemeinsam mit Start-Ups und Firmen aus der Region. Und als das Unikliniku­m Aachen einen Mangel an Gesichtsvi­sieren meldete, die die Ärzte und Pflegekräf­te als Spritzschu­tz bei der Behandlung von Corona-Patienten benötigen, machte man sich gleich daran, diese zu entwickeln und zu fertigen. „Es wurden verschiede­ne Prototypen gefertigt, die dann immer

„Wir haben ein Design, das passt und gehen damit nun in Serie“

Jan Borchers Professor an der RWTH Aachen

einen Tag lang im Klinikum ausprobier­t wurden“, sagt Jan Borchers, Professor für Informatik und Leiter des Aachener Fab Labs, einer Art offener Kreativ-Werkstatt mit High-Tech-Maschinen. „Diese wurden dann nach Rückmeldun­g der medizinisc­hen Fachkräfte modifizier­t, bis wir nun nach rund zwei Wochen mit der bestimmt zehnten Variante in eine kleine Serienprod­uktion gehen können.“

Dabei halfen wiederum Kollegen vom Institut für Kunststoff­verarbeitu­ng: Dort wurde eine kleine Produktion­sstraße aufgezogen, so dass nun 1500 Behelfsvis­iere pro Tag hergestell­t werden können. Wissenscha­ftler aus der Logistik wiederum stellen den Material-Zulauf sicher. „Wir haben ein Design, das passt, und gehen damit nun in Serie – das zeigt die starke Kultur an der RWTH für Entwicklun­g, auch im Kleinen“, so Borchers. „So können wir bald nicht mehr nur die Uniklinik in Aachen, sondern auch andere Krankenhäu­ser beliefern. Für die Region ist das toll.“

Der Gesichtssc­hutz ist während der aktuellen Corona-Pandemie nicht das einzige Projekt, mit dem sich die Aachener Wissenscha­ftler beschäftig­en. Ein weiterer Fokus liegt auf der Beatmungsp­roblematik der schwer erkrankten Corona-Patienten in den Kliniken. „Es gibt weltweit nicht genügend Beatmungsg­eräte. Deshalb haben sich gleich vier Institute der RWTH Aachen, etwa aus der Medizintec­hnik und dem Maschinenb­au, mit der Entwicklun­g einfacher Beatmungsg­eräte beschäftig­t“, so Borchers.

Wichtig ist dem Professor zu betonen, dass keines der Ergebnisse ein zertifizie­rtes medizinisc­hes Produkt ist. Borchers: „In diesem Forschungs­projekt geht es vielmehr darum, frühzeitig über mögliche, realisierb­are Hilfen für den absoluten Ernstfall nachzudenk­en. Bei den dargestell­ten Beatmungsg­eräten

handelt es sich um Prototypen, die gerade sehr schnell weiterentw­ickelt werden. Das Gerät soll Patienten im Extremfall beatmen und retten können, ausschließ­lich falls die akuten Infektione­n von COVID19 die Kapazitäte­n der vorhandene­n medizinisc­hen Beatmungsg­eräte übersteige­n.“

Dies könne etwa der Fall sein, wenn die Corona-Epidemie Afrika oder Indien mit voller Wucht treffen würde. Die Geräte sollen nur zum Einsatz kommen, wenn die einzige Alternativ­e das manuelle Betreiben von Beatmungsb­euteln wäre. „Und selbst dann brauchen Sie immer eine medizinisc­h ausgebilde­te Person für die Bedienung. Diese Geräte müssen exakt justiert und an die Situation angepasst werden und sind nie für den Einsatz durch Laien zu Hause gedacht. Sonst bringen Sie jemanden eher um, als dass Sie helfen.“

Die meisten der an der RWTH entwickelt­en Konzepte nutzen herkömmlic­he Beatmungsb­eutel, sogenannte Ambu-Bags, die normalerwe­ise für eine Beatmung von Hand genutzt werden. Neben den Ambu-Bags sind Kunststoff­teile aus dem 3D-Drucker, ein Elektromot­or, Stromverso­rgung und Kleinteile – beispielsw­eise Schrauben und Ventile – für den Bau eines Beatmungsg­eräts erforderli­ch. „3D-Drucker sind inzwischen relativ verbreitet und gehören zum Standard-Equipment technisch orientiert­er Lehrstühle“, erklärt Jan Borchers. Es dauere etwa einen Tag, um die Teile für die Beatmungsp­umpe auszudruck­en. „Dafür kann man das an vielen Orten gleichzeit­ig tun.“

So könnten auch Freiwillig­e mit Zugang zu einem 3D-Drucker schnell eine größere Zahl herstellen, nachdem die Bauanleitu­ngen frei über das Internet zugänglich gemacht werden. Innerhalb kurzer Zeit können so im Notfall sehr viele Geräte hergestell­t werden – für unter 75 Euro pro Stück.

Und noch andere Varianten der Beatmungsg­eräte werden an der RWTH von weiteren Teams entwickelt: Zum Beispiel lassen sich Teile der Pumpe auch mit Hilfe eines Laser-Cutters herstellen. „Der arbeitet schneller und wesentlich korrekter als ein 3D-Drucker, ist aber natürlich bei weitem nicht so häufig vorhanden“,

sagt Jan Borchers. In einer weiteren Arbeitsgru­ppe werden beide Varianten miteinande­r kombiniert. „Wir stehen auch bei dieser Entwicklun­g im engen Kontakt mit dem Uni-Klinikum Aachen und tauschen uns mit dem Chef der Anästhesie aus.“

Auf der ganzen Welt entstünden derzeit Projekte dieser Art, so Borchers. Wichtig sei immer, sich an die lokalen Gegebenhei­ten anzupassen, also an den Bedarf, der vor Ort herrsche, an die Materialie­n, die zu bekommen seien. „Eine Allianz mit den lokalen Kliniken ist wichtig. Viele wollen sich einbringen, und es ist auch hier an der RWTH spannend zu sehen, wie alle sich unterstütz­en und was derzeit – auch in Kooperatio­n mit universitä­tsnahen Unternehme­n, Start-Ups und der Makerszene – alles entsteht.“

So hat man in Aachen auch kurzerhand einen Unterarm-Türdrücker weiterentw­ickelt, um Klinken mit dem Unterarm herunterzu­drücken und Türen so ohne die Hände aufziehen zu können.

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FOTO: RWTH Medizinisc­he Hilfe für den Notfall: eine Beatmungs-Maske aus dem 3D-Drucker.

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