Rheinische Post Hilden

Der italienisc­he Patient

Italiens Wirtschaft steht durch die Corona-Pandemie vor dem schwersten Einbruch der jüngeren Geschichte. Der kranke Mann in Rom könnte die EU in eine Existenzkr­ise stürzen und die politische Landschaft völlig verändern.

- VON MARTIN KESSLER

Es ist stets das gleiche Ritual, diesmal – in Corona-Zeiten – aber per Videokonfe­renz. Wenn am Donnerstag die Staats- und Regierungs­chefs der Europäisch­en Union (EU) verhandeln, geht es wieder um viel Geld für die Rettung einzelner Mitgliedst­aaten. Einmal mehr hält der Süden des Kontinents die Hand auf. Doch statt Griechenla­nd, wie in der Eurokrise, ist es diesmal vor allem Italien, die drittgrößt­e Volkswirts­chaft der EU.

Auch die Argumente sind stets die gleichen. Italien und Spanien, die beiden am stärksten von der Corona-Pandemie getroffene­n Länder, sehen sich unverschul­det in Not und verlangen bedingungs­lose Solidaritä­t, am besten über eine gemeinsame Schuldenau­fnahme und Haftung in Form von europäisch­en Corona-Bonds. Die Länder des Nordens, vor allem die Niederland­e, in gemäßigter Form auch Deutschlan­d, bekennen sich zu Hilfen, wollen aber das Geld nach den Erfahrunge­n der Vergangenh­eit nicht unkontroll­iert fließen lassen.

Tatsächlic­h steht es denkbar schlecht um den Hauptpatie­nten Italien. Er ist miserabler dran als alle anderen Staaten der EU, die mit den Folgen des Coronaviru­s kämpfen. Seit 20 Jahren ist die einstige Spitzenöko­nomie (zumindest was den Nordteil des Landes betrifft) nicht mehr gewachsen. Auf den Weltmärkte­n und im internatio­nalen Technologi­ewettbewer­b ist Italien entscheide­nd zurückgefa­llen. Und in diese schwache Ausgangsla­ge brach nun das Coronaviru­s ein, legte die organisato­rische Schwäche des im Kern gar nicht so schlechten Gesundheit­ssystems bloß und ist nun im Begriff, die letzten Fundamente der einst so erfolgreic­hen italienisc­hen Wirtschaft wegzuspren­gen.

Es ist vor allem die gigantisch­e Staatsvers­chuldung, Ergebnis eines heillosen politische­n Verteilung­skampfes, die das Land im Kampf gegen das Virus behindert. Auf 136 Prozent, also mehr als das

Doppelte des von der EU erlaubten Wertes, sind die Verbindlic­hkeiten des Staates bis Ende 2019 gestiegen. „Das ist an sich schon eine prekäre Situation“, findet Carlo Bastasin, früherer Chefkorres­pondent des Wirtschaft­sblatts „Il Sole 24 Ore“und heute Ökonom der amerikanis­chen Denkfabrik Brookings Institutio­n in Washington.

Bastasin schätzt, dass bei einem Rückgang der italienisc­hen Wirtschaft von bis zu zehn Prozent, wie der Internatio­nale Währungsfo­nds und andere Institutio­nen schätzen, die Verschuldu­ng schnell bei gut 170 Prozent liegen könnte, also fast ein Drittel der gesamten jährlichen Wirtschaft­sleistung zusätzlich. „Kommt dann ein nur leichter Zinsanstie­g hinzu“, ist der Brookings-Ökonom überzeugt, „ist Italien mit keinem Geld der Welt mehr zu retten.“Es bliebe nur der Staatsbank­rott – mit allen Folgen für das Land, aber auch die europäisch­e und vor allem auch deutsche Wirtschaft.

Kurzfristi­g sind die EU und auch die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) dabei ganz gut gerüstet. EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde hat am 19. März 750 Milliarden Euro für ein Pandemie-Notprogram­m zur Verfügung gestellt. 900 Milliarden Euro an zusätzlich­en Staatspapi­eren will die europäisch­e Notenbank allein in diesem Jahr ankaufen. Dazu kommt das Rettungspa­ket der EU-Finanzmini­ster von einer halben Billion Euro, über das der Gipfel am Donnerstag berät.

„Das reicht aber nur kurzfristi­g“, meint der Italien-Kenner Bastasin. Selbst mit Corona-Bonds ist dem kranken Mann in Rom nicht mehr gedient. Durch den Lockdown, so Bastasin, würden rund 20 Prozent der Industriep­roduktion für immer verschwind­en, der Tourismus, die Autoproduk­tion, die Landwirtsc­haft sowie das Verkehrssy­stem würden bleibenden Schaden nehmen. Kommt es dann zu einer weiteren Abschwungd­ynamik, ist sogar ein Minus von 15 Prozent drin. Italien wäre

Italien ist miserabler dran als alle anderen Staaten der EU, die mit den Folgen des Coronaviru­s kämpfen

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