Warum die deutsche Todesrate so niedrig ist
Hierzulande endet ein deutlich kleinerer Teil der Covid-19-Fälle tödlich als in Spanien, Italien oder Großbritannien. Experten glauben, dass viele Faktoren eine Rolle spielen. Trotz mancher Probleme und Engpässe: Unser medizinisches Versorgungssystem funk
DÜSSELDORF In diesen Tagen wird der Mensch unweigerlich zum Hobby-Statistiker. Er betrachtet Kurven, Tabellen, Wachstumskoeffizienten; er weiß zwischen exponentiell und linear zu unterscheiden. Sogar die ominöse Reproduktionszahl ist in aller Munde. Doch eine Erklärung liefert ihm keine Statistik dieser Welt: warum es in Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern so wenige Covid-19-Tote gibt.
Aktuell rechnet das Robert-Koch-Institut in Deutschland mit knapp 150.000 Infizierten und gut 4800 Toten. In Frankreich, Spanien oder Italien (von der Bevölkerungszahl her deutlich kleineren Ländern) sind es aber um ein Vielfaches mehr. Gewiss sind die Zahlen nicht gleichmäßig belastbar. Noch dazu ist die Dunkelziffer ein sehr komplexer Faktor.
Unbestreitbar haben aber die relativ günstigen deutschen Zahlen viel mit medizinischer Kompetenz gerade auf lokaler Ebene zu tun. Während in anderen Ländern Covid-19-Kranke erst einmal – und oft leider viel zu lange – warten, bis sie sich in ein fernes Krankenhaus aufmachen, greift unsere ärztliche Versorgungsstruktur wesentlich schneller und besser. Vor allem ist die in sich sehr bewegliche Kette aus Hausarzt-Facharzt-Rettungsdienst-Klinik-Intensivstation seit vielen Jahren eingeübt; nicht grundlos gelten etwa die deutschen Herzinfarkt-Netzwerke als vorbildlich.
Hierzulande gibt es aber auch zahlreiche hochqualifizierte Intensivmediziner, die in diesen Tagen eine abermalige Lernkurve erleben und dafür gesorgt haben, dass in kurzer Zeit große Kapazitäten etwa an Betten verfügbar wurden. Mittlerweile
gibt es in Deutschland etwa 40.000 Intensivbetten, die im Ernstfall belegt werden können. Davon können andere Länder nur träumen; in Frankreich waren die Kapazitäten schon früh erschöpft. Hinzu kommt, dass hierzulande auch kleinere Kliniken jenseits der Maximalversorger-Kompetenz der Universitätskliniken mit Herz-Lungen-Maschinen (etwa dem Ecmo-System) ausgestattet sind; sie können in der heiklen Intensiv-Phase eine überlebenswichtige Option sein.
Wichtiger noch: Trotz gewisser Anlaufschwierigkeiten wurde in Deutschland, nachdem die ersten Fälle bekannt wurden, auch sehr schnell getestet; Infizierte wurden rasch isoliert (und im Bedarfsfall behandelt), Kontaktpersonen wurden nachverfolgt und Quarantänen angeordnet; die deutschen Gesundheitsämter haben hier Beispielhaftes geleistet. Dies hat das exponentielle Wachstum der Fallzahlen flacher ausfallen lassen als in anderen Ländern, wo Menschen schon sehr bald sturmflutartig in die Kliniken kamen. Dort lag es aber auch daran, dass Kranke – typisch etwa für Italien – erst einmal im Mehr-Generationen-Familienverbund gepflegt wurden, bis das nicht mehr ausreichte. Dann saßen die Kranken auf Klinikfluren, wo sie zu Virenschleudern wurden, während sie auf die Ärzte warteten.
Gleichwohl nennen Experten auch andere Faktoren. Etwa im Vergleich zu Italien, wo es mehr Menschen über 65 Jahren gibt; dort sind es 22,8 Prozent der Bevölkerung, in Deutschland 21,5 Prozent. Je älter die Menschen aber sind, desto mehr Begleiterkrankungen schleppen sie mit sich herum und desto stärker geraten sie ins Risikogruppen-Profil für eine Covid-19-Erkrankung.
Weiterhin führen Lungenärzte immer wieder zwei nicht unerhebliche Faktoren an: erstens die hohe Feinstaubbelastung anderswo (vor allem in China), zweitens die deutlich größere Zahl starker Raucher in anderen Ländern (etwa Italien, China oder Frankreich). Raucher haben ein eingeschränktes Immunsystem; es scheint so, als trügen die Anti-Raucher-Kampagnen, die in Deutschland aufgelegt wurden, jetzt Früchte.
Nicht zuletzt lässt sich feststellen: In Deutschland gab es schon früh eine ausführliche und differenzierte Begleitung der Pandemie durch die Medien. Hygiene- und Abstandsregeln wurden breit und weitgehend ohne Panikmache kommuniziert, über die Gefährlichkeit des Virus wurde diskutiert, das Für und Wider von Lockdowns und Behelfsmasken erörtert. Auch dies hat zu einer Sensibilität gegenüber einem Virus geführt, das unser Leben noch viele Monate beschäftigen und wohl auch erheblich einschränken wird – bis endlich ein Impfstoff auf dem Markt ist.