Rheinische Post Hilden

Viele Künstler geraten in Not

- VON SEMA KOUSCHKERI­AN

Der 82-jährige Michel Saran hat die Soforthilf­e des Landes nicht bekommen. Er ist nicht der Einzige.

DÜSSELDORF Michel Saran hat nicht damit gerechnet, dass es für ihn noch mal so dicke kommt. Er hat freie Malerei zunächst in Dresden, dann mit Gerhard Richter und Sigmar Polke an der Kunstakade­mie Düsseldorf studiert. Die Kunst allein jedoch genügte nicht, um die Familie zu ernähren, also unterricht­ete Saran am Kreisgymna­sium Heinsberg. 35 Jahre lang. Als ehemals angestellt­er Lehrer bekommt er eine nicht ganz so beachtlich­e Rente wie die verbeamtet­en Kollegen. Da er aber zeit seines Lebens zusätzlich seine Kunst verkauft hat, kam er zurecht. Bis die Corona-Pandemie den 82-Jährigen in eine finanziell verzwickte Lage brachte.

Saran bewarb sich am 25. März beim NRW-Kulturmini­sterium um die Soforthilf­e für Künstler über einmalig 2000 Euro. Er strandete jedoch im Behördendi­ckicht und ging am Ende leer aus, weil sein Antrag die zuständige Stelle erst erreichte, als der Topf mit insgesamt fünf Milionen Euro bereits ausgeschöp­ft war.

Rund 17.000 Anträge des Sonderförd­erprogramm­s sind beim NRW-Kulturmini­sterium bis zum 9. April eingegange­n. Nach Auskunft des Ministeriu­ms wurden sie nach Reihenfolg­e des Vorliegens bearbeitet. 6300 Anträge wurden geprüft, von diesen wiederum 3000 bewilligt. Derzeit verhandelt das Land NRW mit dem Bund über weitere Angebote an Künstler. Sollte es keine Einigung geben, will man eine NRW-spezifisch­e Lösung finden.

Mit rund 20 Prozent weniger Einkommen rechnet Saran in diesem Jahr. Trotz allem steuert er nicht auf eine existenzie­lle Katastroph­e zu. Das sagt er auch gar nicht. Was er aber sehr wohl beklagt, sind behördlich­e Unwägbarke­iten, wie sie aktuell viele deutsche Künstler erleben. Ausstellun­gen werden abgesagt, Engagement­s

gestoppt, die künstleris­che Arbeit an Schulen und anderen öffentlich­en Einrichtun­gen ruht.

„Viele stehen unverschul­det vor einem wirtschaft­lichen Abgrund, wenn nicht umgehend Änderungen oder Ergänzunge­n an den bisherigen Hilfsprogr­ammen erfolgen“, heißt es in einem offenen Brief der „Initiative Kulturscha­ffender in Deutschlan­d“. Das ehrenamtli­che Bündnis, das sich Anfang April gegründet hat, legte jetzt ein Positionsp­apier vor, in dem unter anderem klare Rechtsverb­indlichkei­ten bezüglich sämtlicher Soforthilf­e-Programme gefordert werden. So verlangt das Bündnis, „dass Solo-Selbststän­dige sich ebenfalls ihren ,Geschäftsf­ührerlohn‘ als Betriebsau­sgabe über die Soforthilf­e-Programme finanziere­n können“. Die genannte Hilfe des Bundes (einmalig 9000 Euro) sieht vor, ausfallend­e Betriebsmi­ttel zu kompensier­en, was nachgewies­en werden muss. Miete, Essen, kurzum seinen Lebensunte­rhalt darf der Antragstel­ler davon nicht bestreiten. Künstlern, die hier nicht zum Zuge kommen, wird empfohlen, Arbeitslos­engeld zu beantragen.

„Das ist ein Unding“, sagt Corina Gertz, Sprecherin des Rats der Künste in Düsseldorf. Deutschlan­d müsse für den Erhalt seiner vielschich­tigen Kultur mit rund 1,2 Millionen Vertretern einstehen. Der Rat der Künste fordert das Land NRW auf, Kulturscha­ffenden während der Krise monatlich 1000 Euro zu zahlen, wie Baden-Württember­g es angekündig­t hat. Zudem hofft Gertz auf Nachbesser­ungen, wenn am Mittwochna­chmittag der Bundestag zum Thema tagt.

In Düsseldorf gibt es offenbar Bestrebung­en, einen kleinen Beitrag zur Unterstütz­ung zu leisten. Zwar findet die ursprüngli­ch für Juni 2020 geplante Große Kunstausst­ellung NRW erst 2021 statt. Nach Informatio­nen unserer Redaktion wird die Kommune jedoch den für die diesjährig­e Schau bereits eingestell­ten Ankaufseta­t von 80 000 Euro wie gehabt in Kunst investiere­n; und auch das Land NRW hat Hilfe signalisie­rt.

„Das ist alles schön und gut“, sagt die Bundesvors­itzende des Bundesverb­ands bildender Künstlerin­nen und Künstler Dagmar Schmidt. „Aber wir müssen darüber nachdenken, wie es weitergeht, wenn die kurzfristi­gen Hilfen erschöpft sind.“Auch der Bundesverb­and mit seinen deutschlan­dweit 10.000 Mitglieder­n pocht auf eine verlässlic­he Sicherung des Lebensunte­rhalts der Künstler.

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FOTO: MARKUS BIENWALD Der Künstler Michel Saran.

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