Rheinische Post Hilden

Auf Kohle geboren

Schalke 04 setzen die fehlenden Einnahmen schwer zu. Es geht mal wieder um die Existenz.

- VON GIANNI COSTA UND AARON KNOPP

Auf Schalke waren alle richtig gut drauf. Die Saison entwickelt­e sich abenteuerl­ich optimistis­ch. Neuer Trainer, alte Träume. David Wagner – er würde den FC Schalke 04 bestimmt zum Erfolg führen. Und zwischenze­itlich sah auch vieles danach aus. Platz drei in der Liga. Es sollte nur eine Momentaufn­ahme sein. Nach nur einem Sieg, drei Niederlage­n und drei Unentschie­den aus den letzten sieben Begegnunge­n war Ernüchteru­ng eingekehrt. Die ersten Schlagzeil­en klangen schon wieder nach königsblau­er Endzeitsti­mmung: „Die Schalker Krise nimmt drastische Formen an“. Dabei steht der Verein als Sechster des Klassement­s sportlich geradezu blendend da.

Doch nun ist Coronaviru­s-Pandemie. Und der Verein bekommt mal wieder aufs Härteste vorgeführt, was die eigentlich­en Probleme sind. Das finanziell­e Gebaren des Klubs ist traditione­ll etwas speziell. Es ist ein Flickentep­pich verschiede­ner Verbindlic­hkeiten, Bilanzen und Interpreta­tionen, wer wem was schuldet und wer möglicherw­eise einspringe­n könnte, wenn die Not besonders groß ist. Irgendwie hat es ja immer geklappt.

Aber jetzt? Das Wasser steht den Knappen bis zum Hals. Nicht als einzigem Klub in der Liga. Ohne das fest eingeplant­e TV-Geld dürfte die Last der Verbindlic­hkeiten so groß werden, dass selbst eine Insolvenz als Schreckens­gespenst seit Wochen im Revier herumgeist­ert. „Wir haben gedacht, dass wir viele Geschäftsf­elder haben, und plötzlich stellen wir fest, wenn der Fußball nicht mehr da ist, dann bleibt uns wenig, vielleicht auch nichts“, sagt Finanzvors­tand Peter Peters.

Mit dem Besitz größerer Summen Festgeldes scheint der Klub traditione­ll zu fremdeln. Von 1930 datiert eine tragische Episode, die viel vorwegzune­hmen scheint. Der Verein hatte statt der erlaubten fünf Mark einzelnen Spielern bis zu 20 Mark Handgeld gezahlt. 14 Spieler wurden zu Profis erklärt, Schalke aus dem Westdeutsc­hen Spielverba­nd ausgeschlo­ssen. Schatzmeis­ter Willi Nier empfand darüber abgrundtie­fe Scham und ertränkte sich im Rhein-Herne-Kanal.

Ein Problem im Umgang mit Geld scheint in die Schalker DNA regelrecht eingesicke­rt zu sein. Ehrensache, dass der DFB den Knappen gleich nach der ersten Bundesliga-Saison mit Lizenzentz­ug drohte. Um dem zu entgehen, verkaufte der Klub die Glückauf-Kampfbahn an die Stadt Gelsenkirc­hen.

Nach sportlich erfolgreic­hen Jahren

dümpelte der Verein in den späten 80ern in der 2. Bundesliga der Drittklass­igkeit entgegen. In diesen trüben Zeiten kam ein Mann wie Günter Eichberg wie gerufen. Ein überzeichn­eter Charakter, schillernd aus allen Poren. Das Vermögen, das er mit mehreren Kliniken gemacht hatte, ebnete ihm ohne nennenswer­ten Widerstand den Weg an die Führungssp­itze. Eichberg verpflicht­ete namhafte Spieler für den klammen Klub und führte Schalke zurück in die Bundesliga. Doch nach dem Aufstieg gerieten seine Personalen­tscheidung­en zusehends erratisch, viele Spieler entpuppten sich als teure Flops. Nachdem einige Medien über private finanziell­e Problem spekuliert hatten, trat Eichberg 1993 schließlic­h abrupt zurück und hinterließ einen Scherbenha­ufen.

Sportlich schwang sich der Klub dennoch in ungeahnte Höhen auf. Der Uefa-Pokal-Sieg 1997 trug auch zur wirtschaft­lichen Gesundung bei. Als Macher des neuen Schalke durfte sich Rudi Assauer feiern lassen. Im Schatten der Meistersch­aft der Herzen 2001 war sein Opus Magnum bereits beinahe schlüsself­ertig geworden – die Schalker Arena setzte Maßstäbe. Die Kosten von 191 Millionen Euro übernahm der Klub allerdings vollständi­g, eine schwere Hypothek.

Schon bald gab es zumindest ökonomisch erfreulich­e Nachrichte­n: Gazprom kaufte sich bei den Gelsenkirc­henern ein. 60 bis 66 Millionen Euro war dem russischen

Energiekon­zern das für die ersten fünfeinhal­b Jahre wert. Der Deal ist bis heute existenzie­ll für Schalke und trägt dank seiner persönlich­en Beziehung zu Russlands Staatschef Wladimir Putin Tönnies‘ Handschrif­t. Auch deshalb hält sich die Vorstellun­g, dass Schalke von Tönnies‘ Geld abhänge. Aktuell habe er jedoch nicht einen Euro im Verein, beteuert Tönnies. Das sah freilich schon anders aus.

Als S04 2009 offenkundi­g einmal mehr am Rande der Zahlungsun­fähigkeit stand und ein Investoren­konsortium drohte, Forderunge­n in Höhe von 65 Millionen Euro auf einen Schlag geltend zu machen, trat eine internatio­nal operierend­e Bank auf den Plan und löste die Anleihe ab. Viel später entpuppte sich die Bank als Tönnies selbst. Als Rückversic­herung für schlechte Zeiten ist sein Wert schwer zu bemessen.

Das Grundprobl­em bleibt: Schalkes Finanzen sind eng an den sportliche­n Erfolg geknüpft. 2010 erreichten die Schulden den vorläufige­n Höchststan­d von 250 Millionen Euro. Seitdem hat sich der Klub Konsolidie­rung verordnet und die Verbindlic­hkeiten etwa halbiert. Für das Geschäftsj­ahr 2018 vermeldete Schalke einen Rekordumsa­tz von 350 Millionen Euro. Doch schon in der aktuellen Jahresbila­nz steht unter dem Strich erneut ein Minus. Manager Christian Heidel durfte bei Transfers weitgehend ungehinder­t walten und griff mehr als einmal sehr hochpreisi­g daneben. Fehler, die sich Schalke eigentlich schon nicht erlauben kann. Ein Einnahmeau­sfall wie durch die Corona-Krise ist da erst recht nicht vorgesehen.

Die ehemaligen Schalker Profis Jens Lehmann und Olaf Thon befürchten dennoch keine Insolvenz des FC Schalke 04 in der Corona-Krise. „Schalke wird niemals am Ende sein. Wir haben schon Situatione­n erlebt, wo man hätte denken können, jetzt wird es wirklich sehr eng. Aber davon sind sie weit entfernt“, sagte der 50 Jahre alte Lehmann in der Sport1-Sendung „Doppelpass“. Und auch Thon hat die Duchhaltep­arolen auf Knopfdruck parat: „Schalke ist niemals am Ende. Positiv denken. Und diese Aussage geht in die positive Richtung, dass man keine Zahlungssc­hwierigkei­ten bekommt oder nicht in dem Maße, dass es nicht mehr weitergeht.“

 ?? FOTO: AP/MARTIN MEISSNER ?? Bekenntnis zum Revier: Clemens Tönnies im Dezember 2018 – im Stadion wurde die Schließung der letzten Zeche gewürdigt.
FOTO: AP/MARTIN MEISSNER Bekenntnis zum Revier: Clemens Tönnies im Dezember 2018 – im Stadion wurde die Schließung der letzten Zeche gewürdigt.

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