Statistik widerspricht Lockdown
Anders als etwa in Schweden sind in Deutschland viele Menschen äußerst beunruhigt. Sie sorgen sich, mit dem Coronavirus infiziert zu werden und womöglich daran zu sterben. In dieser Angst werden sie von Bundeskanzlerin Angela Merkel bestärkt, die scharf vor Lockerungen des seit dem 23. März geltenden Lockdown warnt.
Die Faktenlage erscheint vielen unklar, weil die öffentlichen Debatten meist um eine ominöse „Reproduktionszahl“kreisen, die man nicht direkt beobachten, sondern nur mittels mathematischer Verfahren schätzen kann. Dieser Artikel versucht einen anderen Ansatz, der keine Mathematik-Kenntnisse voraussetzt, sondern nur gesunden Menschenverstand. In der zugehörigen Abbildung sind alle täglich gemeldeten Corona-Diagnosen in Deutschland dargestellt, beginnend am 2. März. Die Daten stammen von der Johns-Hopkins-Universität. Sie sind für jedermann kostenfrei im Internet zugänglich und ermöglichen es, die Situation in weit über 100 Staaten grafisch darzustellen und zu vergleichen.
Sieht man über die Zacken hinweg, die auf Meldeverzögerungen beruhen, zeigt die Abbildung ein für Epidemien typisches Muster: Viren vermehren sich anfangs immer rascher, bevor die Entwicklung ein Plateau erreicht und hernach abebbt. Bei Influenzaviren bezeichnet der Volksmund die Kurvenform als „Grippewelle“. Die hiesige Abbildung zeigt entsprechend die Coronawelle. Dasselbe Wellenmuster gilt auch für andere Atemwegsinfektionen, weil es einen tieferen Grund hat: Je stärker das jeweilige Virus schon verbreitet ist, desto länger dauert es, Personen zu finden, die empfänglich für eine weitere Infektion sind. Die Gefährlichkeit einer Virenwelle hängt davon ab, wie infektiös das Virus ist und welche gesundheitlichen Wirkungen es hat. Beide
Einflussgrößen sind beim Coronavirus noch nicht genau bekannt, doch ähnelt die Gesamtwirkung nach Ansicht der Mediziner und auf Grundlage der beobachteten Sterbezahlen denen der Influenzaviren, in Deutschland ist sie eher geringer. Von Sterblichkeit sind überwiegend Personen betroffen, deren Immunsystem geschwächt ist; beim Coronavirus liegt ihr Durchschnittsalter bei 82 Jahren.
Die Abbildung zeigt, dass die Meldungen um den 30. März herum ihren Höhepunkt erreichen und die Coronawelle im April abklingt. Über diese Tatsache kann keine Zahlenspielerei hingewegtäuschen; sie ist offenkundig. Was bedeutet das für den Höhepunkt der Infektionen? Hierüber informiert die Abbildung ebenfalls, weil zwischen Infektion und Meldung nach Schätzung des bundeseigenen Robert Koch-Instituts (RKI) zwei bis drei Wochen vergehen: Ein neu infizierter Patient ist zunächst beschwerdefrei, diese Inkubationszeit wird auf rund fünf Tage geschätzt. Treten Beschwerden auf, geht der Patient nach einiger Zeit zum Arzt, der einen Abstrich macht und an ein Labor schickt.
Positive Testergebnisse werden an die örtlichen Gesundheitsämter übermittelt, von dort an die Landesgesundheitsämter und schließlich an das RKI, das die Meldungen zentral sammelt und veröffentlicht. Die Zeitverzögerung von zwei bis drei Wochen, gemittelt also rund 17 Tagen, führt zu einer wichtigen Schlussfolgerung.
Da nämlich die neu gemeldeten Corona-Fälle um den 30. März herum ihren Höhepunkt erreichten, müssen die tatsächlichen Neuinfektionen, die man nicht direkt beobachten kann, rund 17 Tage zuvor, also am 13. März, ihr Maximum erreicht haben. Zu diesem Zeitpunkt waren Großveranstaltungen verboten worden (9. März), während die Schulschließungen (16. März) und der Lockdown großer Teile der Wirtschaft (23. März) erst später folgten. Die Grafik ist schwerlich vereinbar mit der These, nur Schulschließungen und Lockdown hätten Schlimmeres verhindert.
Ganz im Gegenteil legt die Grafik nahe, dass die Virusausbreitung auch ohne drastische Maßnahmen zum Stillstand gekommen wäre. Hierfür sprechen zwei weitere Argumente. Erstens waren Ende Februar und Anfang März sämtliche Infektionskrankheiten der Atemwege auf dem Rückzug. Man mag einwenden, der Lockdown habe eben auch die Verbreitung von Influenza und anderen Viren gestoppt. Nach Daten des RKI sanken die Atemwegserkrankungen aber auch in den Vorjahren gegen Ende der kalten Jahreszeit automatisch. Damals hat es bekanntlich weder Hysterie noch einen Lockdown gegeben.
Auch in Südkorea, Schweden und Taiwan, die auf Lockdowns verzichteten und weit mildere Maßnahmen ergriffen, ist die von der Bundesregierung unterstellte exponentielle Vermehrung nicht eingetreten. Das war zu erwarten, weil sich Epidemien nur in der Fantasie mancher Politiker (und der von ihnen bevorzugten Berater) exponentiell verbreiten. In der Realität folgen Atemwegsinfektionen stets dem Verlauf einer „epidemiologischen Kurve“mit erst zunehmender und dann abnehmender Ausbreitungsgeschwindigkeit. Rückblickend erkennt man dieses Muster in den Daten vieler Staaten, und zwar unabhängig davon, ob sie Bürger und Wirtschaft durch historisch beispiellose Maßnahmen geschädigt haben.
Warum beschäftigt sich ein Ökonom mit diesen Fragen? Weil Epidemiologen keine Patienten heilen, was natürlich nur Ärzte vermögen, sondern mit Daten, Computerprogrammen und mathematischen Modellen arbeiten. Von der Qualifikation her sind Epidemiologen oft Mathematiker und Statistiker, und sie setzen dieselben Methoden wie Ökonomen ein. Virologen hingegen sind Biologen, die Interaktionen von Zellen und Viren studieren.
Der Politik sind die obigen Zahlen und Sachverhalte bekannt; sie weiß nur nicht, wie sie aus der Nummer wieder herauskommt, und schürt weiter Ängste. Schon bald werden jene Politiker in den Umfragen vorn liegen, die jetzt eine rasche Aufhebung der überzogenen Maßnahmen unterstützen.
Die von der Regierung unterstellte exponentielle Vermehrung ist nicht eingetreten