Rheinische Post Hilden

Protokoll eines 110-Betrugsfal­ls

Falsche Polizisten erbeuten in Düsseldorf jedes Jahr große Summen. Wir erzählen einen Fall aus Sicht des Opfers.

- VON HELENE PAWLITZKI

DÜSSELDORF Stellen Sie sich vor, die Polizei ruft an und sagt Ihnen, Ihr Geld sei auf der Bank nicht mehr sicher. Sie sollen es abholen – am besten sofort. „Wir helfen Ihnen“, sagt der Polizist am Telefon. „Wir bringen Ihr Erspartes in Sicherheit. Folgen Sie genau meinen Anweisunge­n, dann wird alles gut.“

Genau das passiert jeden Tag in Deutschlan­d. Riesige Summen verschwind­en auf diesem Weg in die Taschen von Kriminelle­n. Die Opfer stehen mit leerem Konto da.

Düsseldorf war in den Wochen nach Ostern besonders betroffen. Innerhalb weniger Tage gab es rund 150 Anzeigen. Zum Vergleich: Insgesamt wurden im Jahr 2019 etwa 1000 solcher Taten angezeigt. In nur wenigen Tagen wurden also mehr als zehn Prozent dieser Menge erstattet.

Die Schadenssu­mme dieser paar Tage ist immens. Genaue Zahlen nennt die Düsseldorf­er Polizei nicht, auch um nicht weitere Täter anzulocken. Aber im Jahr 2019 waren es insgesamt rund 700.000 Euro.

Wie kommt es, dass Menschen ihr Konto leerräumen und irgendwelc­hen Boten ihre Ersparniss­e übergeben? Die Antwort: Die Täter sind gute Psychologe­n. Sie bauen extremen Druck auf. Sie untermauer­n ihre Lügen geschickt mit Details.

Um das zu verdeutlic­hen, hat die Polizei ein Vernehmung­sprotokoll uns mitgeteilt. Allerdings haben sie es verfremdet, damit das Opfer nicht zu identifizi­eren ist. KarlHeinz Bode haben sie den Mann genannt. Lesen Sie hier Auszüge aus dem Dokument:

„Ich habe am 17. April so gegen 18 Uhr einen Anruf auf unserem Festnetzan­schluss bekommen. Der Anrufer gab an, er sei Polizist und nannte mir seinen Namen. Der Anrufer erzählte mir, dass die Polizei auf der Heinrich-Heine-Allee zwei Einbrecher festgenomm­en habe. Einer der ‚Einbrecher’ habe einen Zettel dabei gehabt. Auf diesem Zettel stand mein Name – Karl-Heinz Bode. Wir haben früher auf der Heinrich-Heine-Allee gewohnt. Auf die Nachfrage, ob wir dort noch wohnen würden, gab ich an, dass wir tatsächlic­h dort einmal gewohnt haben und jetzt auf der Haraldstra­ße wohnen würden.“

So beginnen viele dieser 110-Betrugsfäl­le. Mit einem Anruf, einem

Zettel, auf dem der Name steht. Die Täter sitzen oft in Callcenter­n im Ausland, meistens in der Türkei. Sie schlagen einfach das Telefonbuc­h auf und suchen nach Namen, die auf ein hohes Alter schließen lassen. Sie probieren es so lange, bis jemand anbeißt. Wenn sie anrufen, steht im Display oft sogar die Telefonnum­mer 110. Was nie passieren würde, wenn die Polizei anruft. Die hat nämlich immer die Rufnummer unterdrück­t.

„Ich war zunächst skeptisch und äußerte meine Zweifel. Der Anrufer bekräftige wiederholt, dass er von der Polizei sei. Er sei Kriminalob­erkommissa­r im Polizeiprä­sidium in Düsseldorf am Jürgenspla­tz. Um mir absolut sicher zu sein, sollte ich die 110 wählen.“

Das ist ein beliebter Trick. Der Anrufer nennt Details aus dem Wohnort des Opfers, er macht seine Lügen so glaubhaft. Allerdings sind das Informatio­nen, die jeder ganz einfach recherchie­ren kann. Und dann sagt er: Rufen Sie doch einfach bei uns an.

„Mein Gesprächsp­artner redete so auf mich ein, dass ich mir nicht mehr sicher bin, ob ich den Anruf vorher beendet habe, oder das Gespräch weiter lief. Ich erinnere mich, die 110 auf dem Display meines Telefons gewählt zu haben. Es hat sich dann eine andere männliche Stimme aus der „Polizeizen­trale“gemeldet. Dieser hat mich dann wieder zu dem Kriminalob­erkommissa­r durchgeste­llt.“

Dieser Trick funktionie­rt erstaunlic­h oft. Die Opfer legen nicht auf, sondern wählen während des laufenden Anrufs die 110 – ohne zu merken, dass sie gar nicht wirklich einen neuen Anruf starten. Die Betrüger faken dann den zweiten Anruf. Und damit haben sie die Opfer meistens überzeugt.

„Dann suggeriert­e mir dieser Kriminalob­erkommissa­r, dass mein Geld bei der Bank nicht mehr sicher sei. Die Täter könnten Geld von meinem Konto abheben und auf ein anderes überweisen. Er wisse, dass bei einer Bank ein Mittäter arbeiten würde.“

Am nächsten Tag ruft der falsche Polizist ein zweites Mal bei KarlHeinz

Bode an und lässt sich dessen Handynumme­r geben. Die Täter erhalten den Druck ständig aufrecht. Sie bleiben mit ihm am Handy verbunden, während er zur Bank fährt, und telefonier­en gleichtzei­tig mit seiner Frau zu Hause über das Festnetz.

„In meiner Bank konnte ich nicht die gesamte Summe von meinem Konto abheben. Daraufhin forderte mich der falsche Polizist auf, Gold zu kaufen. Meine Gesprächsp­artnerin in der Bank sagte mir, dass das nicht möglich sei. Der Täter sagte mir dann, dass es egal sei, wie viel Geld ich abheben könnte. Ich habe dann 10.000 Euro in bar abgehoben.“

Meistens endet die Reise hier. Die Betrüger sagen dem Opfer, ein Zivilpoliz­ist werde das Geld bei ihnen zu Hause abholen. Dann schicken sie einen Handlanger. Damit haben sie selbst geringstes Risiko. Die Handlanger werden gelegentli­ch gefasst – wenn die Opfer in der Zwischenze­it auf die Idee kommen, die echte Polizei zu verständig­en.

Doch diese Hilfskräft­e kennen die

Drahtziehe­r oft gar nicht. Sie wurden vom Bekannten eines Bekannten engagiert und mit schnellem Geld gelockt. Sie festzunehm­en, ist nur ein sekundärer Erfolg. Doch bei Karl-Heinz Bode gehen die Täter besonders dreist vor. Als nächstes machen sie ihn zu ihrem Handlanger.

„Dann lotste mich der falsche Polizist nach Neuss. Angeblich sollte hier eine alleinsteh­ende Dame wohnen, welche mir etwas übergeben würde. Diese werde bedroht. Der Täter nannte mir eine Adresse. Ich bin dann mit dem Auto dorthin gefahren. Es war ein Viertel mit großen Häusern. Ich klingelte dort und die Dame übergab mir eine Tasche. Mein Gesprächsp­artner gab mir vor, was ich zu sagen hätte. Ich habe dann nicht weiter mit der älteren Dame geredet. Sie hat mir direkt die Tasche ausgehändi­gt.“

Das Opfer wird selbst zum Täter – ohne es zu wissen. An diesem Punkt steckt Karl-Heinz Bode ganz tief drin. Er ist zu weit gegangen, um die Realität zu bezweifeln, an die er jetzt glaubt. Wenn er jetzt „nein“sagen würde – er müsste sich selbst eingestehe­n, dass er Betrügern auf den Leim gegangen ist.

„Der Täter gab mir anschließe­nd Anweisung, auf den Parkplatz eines Discounter­s zu fahren. Dort habe ich die Tasche mit dem Geld und den Wertsachen der Dame neben meinem Auto deponiert. Der falsche Polizist am Telefon forderte mich eindringli­ch auf, da ein Zugriff bevorstehe, in den Laden zu gehen. Als ich zurückkehr­te, war die Tasche weg. Als ich wieder im Auto saß, forderte mich der falsche Polizist auf, zu einer zweiten Bank zu fahren. Dort habe ich ebenfalls ein Konto. Ich sollte von diesem Konto ebenfalls das Geld abheben. Es sei dort ebenfalls nicht sicher.“

Keine Angst, die Geschichte geht nicht noch weiter. Denn an dieser Stelle tut Karl-Heinz Bodes Frau etwas Kluges. Sie erzählt ihrer Enkelin von den Vorkommnis­sen, die beide über den Betrug aufklärt.

Viele Senioren wissen schon von der 110-Masche. Aber alle erreicht die Polizei offenbar nicht. Deswegen wendet sie sich jetzt an die Düsseldorf­er Bevölkerun­g. Die Bitte der Ermittler: Informiere­n Sie Angehörige, Freunde und Bekannte über die Tricks der Betrüger und raten Sie ihnen, bei fremden Anrufern aufzulegen.

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FOTO: DPA Immer wieder geben sich Betrüger am Telefon als falsche Polizisten aus, manchmal wird auf dem Display sogar 110 als Rufnummer ausgegeben.

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