„Was wir machen, ist Chinesen zu lasch“
Die Sprecherin des Rats der Künste reist oft nach China. Die Menschen dort rette jetzt Humor und Geduld.
DÜSSELDORF Corina Gertz ist Sprecherin des Düsseldorfer Rats der Künste. Die Fotografin pflegt seit 20 Jahren Kontakte nach China, wo sie ausstellt und lehrt. Auch in Wuhan war sie tätig. Gertz besucht und fotografiert Tiermärkte, ist aber Vegetarierin. Wir führen das Gespräch mit ihr am Telefon.
Frau Gertz, können Sie sich vorstellen, in naher Zukunft wieder nach China zu fliegen?
GERTZ Das ist schwer zu sagen. Ich müsste sowohl in China als auch nach meiner Rückkehr in Deutschland in Quarantäne, was keine schöne Vorstellung ist. Andererseits sind mir seit Januar Ausstellungen in China weggebrochen. Ich hätte etwa im Februar eine große Ausstellung im Shanghai Art Museum gehabt, die verschoben wurde. Die Kunst ist mein Beruf und meine Lebensgrundlage – also ja, wenn es möglich wäre, würde ich wohl fliegen.
Wann waren Sie zuletzt in China? GERTZ Im Dezember 2019. Ich habe ein Fotofestival in Lianzhou besucht und meine Galeristin in Shanghai getroffen, um die Ausstellung zu besprechen, die für Februar geplant war. Visum und Ticket hatte ich mir schon besorgt. Drei Tage vor meinem Abflug in Düsseldorf haben wir dann aber alles abgesagt.
Haben Sie während Ihres Aufenthaltes im Dezember von der mysteriösen Lungenkrankheit in Wuhan gehört?
GERTZ Nein. Damals war noch nichts bekannt.
Wuhan war eine Ihrer ersten Stationen als Gastprofessorin. Wie haben Sie die Stadt und die Menschen, die dort leben, wahrgenommen?
GERTZ Die chinesischen Universitäten sind wie Kleinstädte, mit Supermärkten, Cafés und Restaurants. Alle Studenten und Dozenten leben auf dem Campus, sechs Studenten teilen sich während ihrer Studienzeit einen Raum. Zu Beginn des Studiums müssen die jungen Menschen vier Monate lang eine Art Militärdienst absolvieren. Alle tragen Overalls in Camouflage und treiben sehr viel Sport. Die Lebensumstände unterscheiden sich deutlich von denjenigen deutscher Studenten.
Kennen Sie den Wildtiermarkt, von dem jetzt so häufig die Rede ist? GERTZ Ich bin ein neugieriger Mensch und war auf sämtlichen Märkten, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich auf dem Markt war. Kann sein. Ich war eigentlich überall.
Vor allem europäische Tierschützer und Veterinäre fordern die Schließung solcher Märkte. Wie sehen Sie das?
GERTZ Die Essgewohnheiten der Chinesen haben sich in den vergangenen 20 Jahren, also seitdem ich dorthin reise, sehr verändert. Ich bin Vegetarierin, was anfangs kein Problem darstellte. Es gab immer viel Gemüse, ein Schälchen Reis dazu, manchmal etwas Fisch. Das veränderte sich, als der Wohlstand anstieg. Städte wie Shenzhen, wo ich vor 20 Jahren vor lauter Schmutz keine Vögel in der Luft oder Fische im Fluss gesehen habe, haben sich zu modernen und reichen Metropolen entwickelt, die mit Hongkong konkurrieren. Mit dem Wohlstand kamen neue Ernährungsgewohnheiten. Plötzlich stand jeden Tag Fleisch auf dem Tisch. Das ist vielleicht vergleichbar mit den 1950er Jahren in Deutschland. Vor 20 Jahren war in China niemand dick. Inzwischen gibt es dort immer mehr Kinder, die leicht übergewichtig sind. Die Menschen essen wahnsinnig viel Fleisch. Selbst der Beilagen-Reis enthält jetzt Formfleisch. Als Vegetarierin habe ich mittlerweile mehr Probleme als früher, etwas auf der Speisekarte zu finden.
Haben Sie viele Freunde in China? GERTZ Ja, ich habe einen großen Freundeskreis dort. Da sind in erster Linie meine Galeristen, zu denen ich ein fast familiäres Verhältnis pflege. In China basieren geschäftliche Verbindung auf Vertrauen. Ein anderer sehr guter Freund ist Yang Shu. Er lebt in Düsseldorfs Partnerstadt Chongqing und kümmert sich dort um den Künstleraustausch zwischen beiden Städten. Wir haben uns 2014 kennengelernt, als mein Mann und ich in Chongqing einen Dokumentarfilm anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Städtepartnerschaft gedreht haben. Wir haben zwei Monate lang in Chongqing gelebt. Yang Shu hat uns letztes Weihnachten besucht. Da war die Welt noch in Ordnung.
Was wissen Sie von Ihren Freunden aktuell?
GERTZ Meine Galeristin in Shanghai, die eine kleine Tochter hat, hat in den vergangenen zweieinhalb Monaten ihre Wohnung genau zwei Mal verlassen. Um einzukaufen. Sie hat den Wagen mit Lebensmitteln vollgeladen und ist wieder nach Hause gefahren. Sie sagt, man muss ruhig bleiben und warten. Ich dachte zwischendurch, so viele Filme können die Chinesen gar nicht anschauen, um die drastischen Beschränkungen zu vergessen. Für die Kinder ist das schlimm gewesen. Die kleine Tochter meiner Galeristin hatte zu ihren Freunden ausschließlich über die sozialen Medien Kontakt.
Beschweren sich Ihre Freunde über die Restriktionen?
GERTZ Die chinesische Mentalität ist sehr humorvoll, man hörte wenig Unmut. Auch wenn eine zweimonatige Kontakt- und Ausgangssperre natürlich der Horror ist, bewahren sich die Menschen einen Galgenhumor, der sie rettet. Uns sagen unsere Freunde: „Bleibt zu Hause, haltet Abstand. Das ist jetzt wichtig.“Wir beherzigen das. Ich gehe einkaufen, mein Mann, der über 60 ist, bleibt zu Hause. Ich muss gesund bleiben, dann ich habe einen schwerkranken Vater, den ich einmal in der Woche besuche.
Was lernen Sie von Ihren chinesischen Freunden in Zeiten von Corona?
GERTZ Disziplin und Gelassenheit. Ich glaube, dass wir zu ungeduldig sind. Gleichzeitig muss man mit solchen Bemerkungen vorsichtig sein, denn es ringen ja gerade sehr viele Menschen um ihre Existenz. Aber es wäre schön, wenn, sobald wir unser Leben zurückbekommen, nicht jeder gegen jeden kämpft, sondern der Grundgedanke von Solidarität erhalten bleibt. Das funktioniert ja jetzt auch.
Haben Sie den Eindruck, dass die Chinesen die Krise besser managen als wir?
GERTZ Die Asiaten sind in solchen Dingen erfahrener, aber sie können natürlich auch viel rigoroser vorgehen. China ist eine Diktatur, die vorgibt, was gemacht wird. Ohne Rücksicht auf Verluste. Ich möchte nicht wissen, wer alles auf der Strecke bleibt. Ich denke da an die vielen kleinen Restaurants. Die Chinesen gehen sehr gerne aus, sie kochen nur selten zu Hause. Sie sind nicht gerne für sich. Allein zu sein macht sie nervös. Es werden viele Cafés und Restaurants auf der Strecke bleiben. Staatliche Hilfen gibt es kaum, auch nicht für Künstler und Galeristen.
Wie sehen Ihre Freunde unsere Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Krise?
GERTZ Sie finden, wir sind zu lasch.
China präsentiert gute Zahlen und demonstriert Normalität. Ist dem zu trauen. Wie sind Ihre Erfahrungen?
GERTZ Das weiß man nie.
Hatten Sie als Künstlerin schon mal Probleme?
GERTZ Nein. Das liegt vermutlich daran, dass sich meine fotografische Arbeit um Kleidung als nonverbales Kommunikationsmittel dreht. Ich mache abgewandte Porträts, bei denen die Gesichter keine Rolle spielen. Das kann man politisch deuten, passiert aber so gut wie nie. Nur einmal hatte ich in China Schwierigkeiten. Es ging um eine Ausstellung von Bildern, die italienische Witwen von hinten zeigen. Wie immer kam kurz vor der Eröffnung die Zensur. Einige Motive interpretierten sie als muslimische Frauen mit Schleier. Religiöse Attribute sind aber nicht gestattet, also mussten wir die betreffenden Bilder abhängen. Dabei waren es nur italienische Witwen.