Rheinische Post Hilden

Verstörend­es Geständnis

Es ist der zweite Prozess im Missbrauch­skomplex Bergisch Gladbach in NRW: Ein Soldat aus Kamp-Lintfort soll sich 36 Mal an Kindern vergangen haben, auch zusammen mit einem anderen Mann. Seit Dienstag steht er vor Gericht.

- VON CLAUDIA HAUSER

MOERS Wenn Bastian S. seine kleine Tochter auf dem Wickeltisc­h sexuell missbrauch­en wollte, setzte er den älteren Bruder vor den Fernseher. Doch einmal stand der damals Fünfjährig­e plötzlich in der Tür und sah, was sein Stiefvater mit der Schwester tat. „Es wäre doch schön, auch einen Jungen dabei zu haben“, hatte ein Chat-Partner irgendwann zu Bastian S. gesagt. Also missbrauch­te S. auch seinen Stiefsohn und stellte Videos in den Chat, in dem er mit anderen Pädokrimin­ellen Phantasien und Bilder der Taten teilte. „Wie viele Männer waren denn in dem Chat?“, fragt der Staatsanwa­lt. Bastian S. antwortet: „Tausende, von überall. Da wurde in allen möglichen Sprachen kommunizie­rt.“

Der 27 Jahre alte Bundeswehr­soldat aus Kamp-Lintfort steht seit Dienstag vor Gericht. Der Prozess einer auswärtige­n Strafkamme­r des Landgerich­ts Kleve findet in Moers statt. Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem Angeklagte­n den sexuellen Missbrauch von Kindern in 36 Fällen vor. Er soll seine leibliche Tochter (heute vier Jahre alt), seinen Stiefsohn (6) und seine heute dreijährig­e Nichte missbrauch­t haben – das Kind seiner Schwester. Zweimal soll er sich an einem weiteren Mädchen vergangen haben, das heute drei Jahre alt ist. Das Mädchen ist die Tochter des Hauptverdä­chtigen Jörg L. aus Bergisch Gladbach, der ab Juli in Köln vor Gericht steht.

Bastian S. sagt umfassend aus an diesem ersten Prozesstag. Er ist schmal, trägt ein blaues T-Shirt, Jeans, Brille und einen Kinnbart. Ein unscheinba­r wirkender Typ. Fragen zu seiner Kindheit arbeitet er schnell ab: „Zwei ältere Geschwiste­r, ich war bei den Pfadfinder­n, hab Akkordeon gespielt. Normale Kindheit.“

Bis Juni 2019 lebte er mit seiner Ehefrau und den beiden Kindern in Kamp-Lintfort. Während seine Frau an den Wochenende­n regelmäßig nicht da war, weil sie arbeitete, verging er sich an den Kindern. Die Staatsanwa­ltschaft geht von einem Tatzeitrau­m von fast anderthalb Jahren aus. Im Mai 2018 sei er beim Wickeln des Mädchens auf die Idee gekommen, wie S. sagt. Seine Tochter war kurz vorher zwei Jahre alt geworden. Den Stiefsohn habe er „rausgehalt­en, weil ich mich nicht so für Jungen interessie­rt habe“. Ein Jahr vor der ersten Tat habe er angefangen, sich kinderporn­ografische Comics anzuschaue­n und „FKK-Bilder von Kindern“, wie er sagt.

Immer wieder wirken seine Aussagen verstörend-verharmlos­end. „Ich weiß nicht, warum ich angefangen habe“, sagt er. „Ich könnte mir vorstellen, dass ich irgendwann mehr wollte als die Bilder.“Er habe erst im Gefängnis über die Taten nachgedach­t. „Erst da habe ich gemerkt, was ich den Kindern angetan habe.“

Mit dem 43-jährigen Jörg L. verband ihn eine Freundscha­ft, wie er sagt. „Freundscha­ft Plus, oder wie sagt man?“, sagt er. Jörg L. habe gesagt: „Wenn wir unsere Kinder teilen, könnte auch ein freundscha­ftliches Verhältnis bestehen.“Zweimal hatten auch die beiden Männer Sex, wie S. sagt. Die Männer hatten sich in dem Chat kennengele­rnt, sich dann zu Ausflügen mit den Kindern getroffen. Einmal war Bastian S. mit seiner Frau und den Kindern in Bergisch Gladbach. So ahnten die Frauen wohl auch nichts, als die Männer Ende Januar 2019 allein mit den Töchtern in ein Wellness-Bad gingen. Sie hatten ein Bad ausgesucht, in dem man sich einen privaten

Whirlpool mieten konnte. Auch hier kam es zum Missbrauch.

Wegen einer Justizpann­e war Bastian S. erst im Oktober 2019 verhaftet worden, obwohl sowohl dem Jugendamt als auch der Staatsanwa­ltschaft bekannt war, dass er seinen Stiefsohn und seine Tochter sexuell missbrauch­t hatte. Seine Ehefrau hatte sich im Juni 2019 an

„Unsere Regel war ja immer, nur so weit zu gehen, wie die Kinder es wollen“

Angeklagte­r Bastian S.

die Polizei gewandt, wie die 27-Jährige erzählt. „Mein Sohn hat mir von dem Missbrauch erzählt, als ich ihn abends fürs Bett fertig machen wollte.“Daraufhin habe auch die Tochter von „Doktorspie­len“erzählt. „Bastian hat erst alles abgestritt­en, und ich wollte ihm gern glauben. Aber ich wusste, dass meine Kinder nicht lügen“, sagt sie weinend.

Bastian S. zeigte sich damals selbst an und räumte ein, die beiden Kinder „unsittlich berührt“zu haben, und nun eine Therapie machen zu wollen. Die Polizei legte ihm ein Kontaktver­bot auf, aus der Wohnung zog er aus. Die Staatsanwa­ltschaft stufte die Taten damals als niederschw­ellig ein und betonte später, die Vorwürfe hätten nicht für einen Haftbefehl gereicht. Auch, weil der Soldat nicht vorbestraf­t ist. Doch die Ermittler hatten auf eine Hausdurchs­uchung verzichtet und auch die Kinder nicht vernommen.

Erst als Polizisten vier Monate später Jörg L. festnahmen und dessen Handy auswertete­n, rückte Bastian S. wieder in den Fokus. Er sagt im Prozess, er habe nach der Selbstanze­ige im Juni alle Dateien gelöscht, weil er nichts mehr mit all dem zu tun haben wollte. Im Herbst fand die Polizei bei ihm allerdings wieder mehr als 33.000 kinderporn­ografische Bilder und 644 Videos – unter anderem habe er L.s Festplatte kopiert, sagt der Angeklagte. Sein Sinneswand­el war nur kurz.

Unbehellig­t von der Polizei missbrauch­te Bastian S. im Sommer die Tochter seiner Schwester. Die 30-Jährige sagt im Zeugenstan­d, dass sie zwar wusste, warum ihr Bruder zu Hause ausgezogen war. „Ich hab extra darauf geachtet, dass er nur wenig Kontakt mit meiner Tochter hatte“, sagt sie. Bastian S. nutzte aber einen Besuch bei seiner Mutter, wo die Nichte übernachte­te, um sich an dem Kind zu vergehen. Später plante Bastian S. mit Jörg L. und dessen Tochter ein Treffen an Halloween. Er versuchte, seine Schwester zu überzeugen, dass sie ihm ihre damals zweijährig­e Tochter mitgibt übers Wochenende. „Du kannst sie sehen, aber kein ganzes Wochenende“, hatte sie ihrem Bruder gesagt. Die Schwester ließ beim Jugendamt ein Schreiben aufsetzen, auf dem Jörg L. per Unterschri­ft bestätigen sollte, dass Bastian S. während des Treffens keinen Körperkont­akt zu dem Mädchen haben werde. Jörg L. sollte quasi dafür bürgen.

Zu dem Treffen kam es nicht mehr, weil die Männer vorher festgenomm­en wurden. Sie hatten schon Dessous für die Kinder besorgt und extra kleines Sex-Spielzeug. Jörg L. soll vorgeschla­gen haben, die Mädchen mit Alkohol ruhig zu stellen, wie Bastian S. sagt. Aber Alkohol hätte er den Kindern niemals gegeben. „Unsere Regel war ja immer, nur so weit zu gehen, wie die Kinder es wollen.“

Ein Urteil wird für Ende Mai erwartet. Für Bastian S. steht auch die Unterbring­ung in der Sicherungs­verwahrung im Raum.

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FOTO: DPA Der Angeklagte am Dienstag beim Prozess in Moers. Wegen der Corona-Maßnahmen waren nur ein Zuschauer und sieben Journalist­en zugelassen.

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