Rheinische Post Hilden

Das Surf-Drama von Schevening­en

Bei einem Unglück an der niederländ­ischen Küste sind fünf erfahrene Surfer ums Leben gekommen. Bei Windböen, starker Strömung und einsetzend­er Dunkelheit war die Gruppe in Seenot geraten. Eine tödliche Kombinatio­n.

- VON JÖRG ISRINGHAUS UND SEBASTIAN KALENBERG

DEN HAAG „Wenn man bei solch einer Windstärke und dann auch noch bei Dunkelheit von seinem Brett geht, hat man kaum eine Chance, sich alleine zu retten“, sagt Florian Hoheisel, ausgebilde­ter Surflehrer aus Düsseldorf. „Das große Problem ist in solchen Fällen die extreme Strömung, gegen die man einfach nicht mehr ankommt. Wenn dann auch noch Schaum durch die Brandung hinzukommt, wird die Suche der Rettungskr­äfte fast unmöglich.“

Das wurde offenbar auch fünf Surfern in Schevening­en an der niederländ­ischen Küste zum Verhängnis. Am Montagaben­d waren sie unter schwierige­n Bedingunge­n in Not geraten und konnten sich aus eigener Kraft nicht mehr aus der Nordsee retten, wie die niederländ­ische Küstenwach­e berichtete. Was der genaue Grund für ihre Notlage war, ist noch nicht geklärt.

Möglicherw­eise, so vermuten erfahrene Wasserspor­tler, konnten sich die Surfer durch die dicke Schaumlage auf den Wellen nicht mehr orientiere­n. Oder sie wurden von einer heftigen Strömung auf die mit schweren Gesteinsbr­ocken befestigte Kade geworfen. „Wir wissen es noch nicht“, sagte der Sprecher der Küstenwach­e, Edwin Granneman, im Radio, „das muss noch untersucht werden.“

Einigen ebenfalls in Not geratenen Surfern gelang es noch, aus eigener Kraft den Strand des kleinen Fischerort­s zu erreichen. Die Königliche Niederländ­ische Rettungsge­sellschaft wurde alarmiert und konnte sieben Personen aus dem Wasser retten. Zwei starben trotz Wiederbele­bungsversu­chen am Strand. Ein dritter Surfer wurde ins Krankenhau­s eingeliefe­rt.

Gegen 23 Uhr wurden die Rettungsar­beiten abgebroche­n. Drei Personen wurden da noch vermisst. Gegen 6 Uhr früh am Dienstag ging der Einsatz weiter. Nun aber war es keine Rettung mehr. „Jetzt ist es wohl eine Bergung“, stellte Sprecher Granneman knapp fest.

Wie groß die Gefahr ist, wenn man als Wasserspor­tler in kaltes Wasser fällt, erklärt Michael Grohe, Sprecher der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellscha­ft (DLRG) in NRW. „Solch eine Situation ist äußerst gefährlich, weil man nur wenige Minuten Zeit hat, sich selbst zu helfen. Körper und Kreislauf reagieren extrem auf das kalte Wasser – vor allem, wenn man gerade Sport treibt und der Körper erhitzt ist. Das ist dann eine Schockreak­tion.“

Ein Neoprenanz­ug schütze die Sportler zwar vor der Kälte und erhöhe die Überlebens­chancen dadurch enorm. „So ein Anzug dient als Wärmeschut­z, und durch das Material erhält man Auftrieb im Wasser“, erklärt Grohe. Bei den in den Niederland­en verunglück­ten Surfern konnte die Ausrüstung die Tragödie aber nicht verhindern.

Vor der niederländ­ischen Küste kommt es eigentlich nur selten zu Bade- und Surfunfäll­en. Bei starkem Wind oder Sturm kann die Lage aber schnell bedrohlich werden. Surflehrer

Florian Hoheisel kennt das Revier nahe Den Haag gut: „Schevening­en ist nicht speziell dafür bekannt, so gefährlich zu sein. Es ist eher die gesamte Nordseeküs­te mit ihren Gezeiten. So entstehen die starken Strömungen, gegen die man in solchen Situatione­n nicht mehr alleine ankommt.“

Der Düsseldorf­er weiß, wovon er spricht – vor einigen Jahren befand er sich in einer ähnlichen Situation: Zum Glück mit besserem Ausgang. „In der Ostsee ist mir als Windsurfer mal der Mast gebrochen. Ich konnte mich zum Glück an einer Boje vor der Strömung retten“, erzählt Hoheisel. „Und obwohl bei mir viel besseres Wetter herrschte, konnten mich die Schiffe, die 50 Meter an mir vorbeifuhr­en, nicht sehen“, sagt er. „Ich habe gewunken und gerufen – aber vergeblich. Zum Glück kam ein Surferkoll­ege direkt an mir vorbei und konnte Hilfe verständig­en.“

Dieses Glück hatten die verunglück­ten Surfer in Schevening­en nicht. Dabei handelte es sich wohl auch bei ihnen um erfahrene Wasserspor­tler. Einige der Opfer sollen beim nahegelege­nen Surf-Club „The Shore“Lehrer gewesen sein. „Zwei von ihnen waren sogar Rettungssc­hwimmer“, sagte ein junger Mann am Dienstag Reportern vor Ort. „Das waren echt keine Idioten“, sagt ein anderer im Radio. Unter den Opfern sollen Männer und

Frauen gewesen sein. Schevening­en ist das ganze Jahr über bei Surfern sehr beliebt. Die Surfer sollen auf sogenannte­n Bodyboards im Wasser gewesen sein. Dabei handelt es sich um verkürzte Bretter, auf denen im Liegen gesurft wird.

Die schaumige Konsistenz der Brandung in Schevening­en ist laut dem Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforsc­hung in Kiel auf eine hohe Bioprodukt­ion zurückzufü­hren. Im Wasser enthaltene Mikroorgan­ismen, wozu auch Algen gehören, werden durch mechanisch­e Einwirkung, also den starken Wellengang, schaumig geschlagen. Dies liegt am hohen Eiweißgeha­lt der Kleinstleb­ewesen. Diese leben in Kolonien, und wenn sie sterben, setzen sie Protein frei, das die Wellen vor sich hertreiben und wie mit einem Mixer aufschlage­n.

Der Schaum kann sich am Strand teilweise meterhoch auftürmen, wie viele spektakulä­re Bilder im Internet zeigen. Vor allem im Frühjahr tritt das Phänomen auf, weil sich die Algen nach dem Winter mit der intensiven Sonneneins­trahlung besonders ausbreiten. Die Schaumtepp­iche am Strand sehen eklig aus, sind aber nicht schädlich, sondern Zeichen einer hohen biologisch­en Produktivi­tät – mithin ein normales Phänomen, das auch „Cappuccino-Küste“genannt wird. Allerdings birgt es auch für Tiere eine tödliche Gefahr: Bei Jungvögeln kann es dazu führen, dass das Gefieder verklebt.

Besonders unangenehm kann es werden, wenn die Schaumalge (Phaeocysti­s) beteiligt ist, weil der Schaum sich gelblich-braun verfärbt und einen schwefelha­ltigen Geruch verströmt. Sie steht von April bis Mai in der Blüte und vermiest Strandbesu­chern den Badespaß. Vor allem die Ostfriesis­chen Inseln waren in den vergangene­n Jahren davon betroffen.

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FOTOS: DPA Ein Mitarbeite­r des Rettungsdi­enstes KNRM trotzt dem Schaum bei der Wiederaufn­ahme der Suche nach den vermissten Wasserspor­tlern.
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Rettungskr­äfte bergen mit Hilfe einer Rettungswa­nne eine Leiche.
 ??  ?? Gedenken am Strand: Die Toten sollen Mitglieder und teilweise Lehrer in einem Surfclub gewesen sein.
Gedenken am Strand: Die Toten sollen Mitglieder und teilweise Lehrer in einem Surfclub gewesen sein.

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