Das Surf-Drama von Scheveningen
Bei einem Unglück an der niederländischen Küste sind fünf erfahrene Surfer ums Leben gekommen. Bei Windböen, starker Strömung und einsetzender Dunkelheit war die Gruppe in Seenot geraten. Eine tödliche Kombination.
DEN HAAG „Wenn man bei solch einer Windstärke und dann auch noch bei Dunkelheit von seinem Brett geht, hat man kaum eine Chance, sich alleine zu retten“, sagt Florian Hoheisel, ausgebildeter Surflehrer aus Düsseldorf. „Das große Problem ist in solchen Fällen die extreme Strömung, gegen die man einfach nicht mehr ankommt. Wenn dann auch noch Schaum durch die Brandung hinzukommt, wird die Suche der Rettungskräfte fast unmöglich.“
Das wurde offenbar auch fünf Surfern in Scheveningen an der niederländischen Küste zum Verhängnis. Am Montagabend waren sie unter schwierigen Bedingungen in Not geraten und konnten sich aus eigener Kraft nicht mehr aus der Nordsee retten, wie die niederländische Küstenwache berichtete. Was der genaue Grund für ihre Notlage war, ist noch nicht geklärt.
Möglicherweise, so vermuten erfahrene Wassersportler, konnten sich die Surfer durch die dicke Schaumlage auf den Wellen nicht mehr orientieren. Oder sie wurden von einer heftigen Strömung auf die mit schweren Gesteinsbrocken befestigte Kade geworfen. „Wir wissen es noch nicht“, sagte der Sprecher der Küstenwache, Edwin Granneman, im Radio, „das muss noch untersucht werden.“
Einigen ebenfalls in Not geratenen Surfern gelang es noch, aus eigener Kraft den Strand des kleinen Fischerorts zu erreichen. Die Königliche Niederländische Rettungsgesellschaft wurde alarmiert und konnte sieben Personen aus dem Wasser retten. Zwei starben trotz Wiederbelebungsversuchen am Strand. Ein dritter Surfer wurde ins Krankenhaus eingeliefert.
Gegen 23 Uhr wurden die Rettungsarbeiten abgebrochen. Drei Personen wurden da noch vermisst. Gegen 6 Uhr früh am Dienstag ging der Einsatz weiter. Nun aber war es keine Rettung mehr. „Jetzt ist es wohl eine Bergung“, stellte Sprecher Granneman knapp fest.
Wie groß die Gefahr ist, wenn man als Wassersportler in kaltes Wasser fällt, erklärt Michael Grohe, Sprecher der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) in NRW. „Solch eine Situation ist äußerst gefährlich, weil man nur wenige Minuten Zeit hat, sich selbst zu helfen. Körper und Kreislauf reagieren extrem auf das kalte Wasser – vor allem, wenn man gerade Sport treibt und der Körper erhitzt ist. Das ist dann eine Schockreaktion.“
Ein Neoprenanzug schütze die Sportler zwar vor der Kälte und erhöhe die Überlebenschancen dadurch enorm. „So ein Anzug dient als Wärmeschutz, und durch das Material erhält man Auftrieb im Wasser“, erklärt Grohe. Bei den in den Niederlanden verunglückten Surfern konnte die Ausrüstung die Tragödie aber nicht verhindern.
Vor der niederländischen Küste kommt es eigentlich nur selten zu Bade- und Surfunfällen. Bei starkem Wind oder Sturm kann die Lage aber schnell bedrohlich werden. Surflehrer
Florian Hoheisel kennt das Revier nahe Den Haag gut: „Scheveningen ist nicht speziell dafür bekannt, so gefährlich zu sein. Es ist eher die gesamte Nordseeküste mit ihren Gezeiten. So entstehen die starken Strömungen, gegen die man in solchen Situationen nicht mehr alleine ankommt.“
Der Düsseldorfer weiß, wovon er spricht – vor einigen Jahren befand er sich in einer ähnlichen Situation: Zum Glück mit besserem Ausgang. „In der Ostsee ist mir als Windsurfer mal der Mast gebrochen. Ich konnte mich zum Glück an einer Boje vor der Strömung retten“, erzählt Hoheisel. „Und obwohl bei mir viel besseres Wetter herrschte, konnten mich die Schiffe, die 50 Meter an mir vorbeifuhren, nicht sehen“, sagt er. „Ich habe gewunken und gerufen – aber vergeblich. Zum Glück kam ein Surferkollege direkt an mir vorbei und konnte Hilfe verständigen.“
Dieses Glück hatten die verunglückten Surfer in Scheveningen nicht. Dabei handelte es sich wohl auch bei ihnen um erfahrene Wassersportler. Einige der Opfer sollen beim nahegelegenen Surf-Club „The Shore“Lehrer gewesen sein. „Zwei von ihnen waren sogar Rettungsschwimmer“, sagte ein junger Mann am Dienstag Reportern vor Ort. „Das waren echt keine Idioten“, sagt ein anderer im Radio. Unter den Opfern sollen Männer und
Frauen gewesen sein. Scheveningen ist das ganze Jahr über bei Surfern sehr beliebt. Die Surfer sollen auf sogenannten Bodyboards im Wasser gewesen sein. Dabei handelt es sich um verkürzte Bretter, auf denen im Liegen gesurft wird.
Die schaumige Konsistenz der Brandung in Scheveningen ist laut dem Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel auf eine hohe Bioproduktion zurückzuführen. Im Wasser enthaltene Mikroorganismen, wozu auch Algen gehören, werden durch mechanische Einwirkung, also den starken Wellengang, schaumig geschlagen. Dies liegt am hohen Eiweißgehalt der Kleinstlebewesen. Diese leben in Kolonien, und wenn sie sterben, setzen sie Protein frei, das die Wellen vor sich hertreiben und wie mit einem Mixer aufschlagen.
Der Schaum kann sich am Strand teilweise meterhoch auftürmen, wie viele spektakuläre Bilder im Internet zeigen. Vor allem im Frühjahr tritt das Phänomen auf, weil sich die Algen nach dem Winter mit der intensiven Sonneneinstrahlung besonders ausbreiten. Die Schaumteppiche am Strand sehen eklig aus, sind aber nicht schädlich, sondern Zeichen einer hohen biologischen Produktivität – mithin ein normales Phänomen, das auch „Cappuccino-Küste“genannt wird. Allerdings birgt es auch für Tiere eine tödliche Gefahr: Bei Jungvögeln kann es dazu führen, dass das Gefieder verklebt.
Besonders unangenehm kann es werden, wenn die Schaumalge (Phaeocystis) beteiligt ist, weil der Schaum sich gelblich-braun verfärbt und einen schwefelhaltigen Geruch verströmt. Sie steht von April bis Mai in der Blüte und vermiest Strandbesuchern den Badespaß. Vor allem die Ostfriesischen Inseln waren in den vergangenen Jahren davon betroffen.